Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
Untersuchung der Frage, inwieweit sich für die Steuerhinterziehung ein bestimmtes Verhalten herausarbeiten lässt, welches als wesentlicher Tatbeitrag im Sinne der funktionellen Tatherrschaft zu qualifizieren ist und inwieweit ein solches Verhalten kausal für den Hinterziehungserfolg sein muss.
E. Fehlende normative Begründung des Tatherrschaftsbegriffs
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Kritik wird jedoch nicht nur an den praktischen Auswirkungen der Tatherrschaftslehre, sondern auch an ihren dogmatischen Grundannahmen geübt. Roxin lasse beispielsweise offen, „auf welchem axiologischen Grund sich die Tatherrschaft als maßgebliches Unterscheidungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme stütze“.[1] Axiologie ist ein Begriff der Werteethik. Sie beschreibt einerseits – in formaler Hinsicht – das Verhältnis verschiedener Werte zueinander und andererseits – in materieller Hinsicht – den Inhalt von Werten an sich. Zustände oder Sachverhalte werden damit als „gut“ oder „schlecht“ kategorisiert.[2] Es geht hierbei mithin um die Frage, warum gerade das Kriterium der Tatherrschaft darüber entscheiden soll, dass derjenige, der mit Tatherrschaft handelt, „schlechter“ ist als derjenige, der ohne Tatherrschaft handelt – worin also der normative beziehungsweise wertende Gehalt von Tatherrschaft bestehen soll.
Hierzu äußere sich die Tatherrschaftslehre nur äußerst rudimentär. Lediglich im Rahmen der Nötigungsherrschaft des mittelbaren Täters berufe sich Roxin normativ auf das Verantwortungsprinzip.[3] Roxin spricht im Rahmen der Nötigungsherrschaft – als Ausfluss des Verantwortungsprinzips – dort von Herrschaft, wo der Einfluss des Hintermannes so stark ist, dass dem unmittelbar Handelnden sein Tatverhalten nicht zugeschrieben werden kann.[4] Normativ soll hier also die Entlastung des unmittelbar Handelnden von strafrechtlicher Verantwortung zur Belastung des Hintermannes mit täterschaftlicher Verantwortung führen. Die Nötigungsfälle seien jedoch der einzige Bereich, in dem Roxin eine derartige Wertung vornehme, sich also klar zu einem axiologischen Prinzip bekenne. In allen anderen Bereichen der Tatherrschaftslehre werde nicht deutlich, auf welchem axiologischen Prinzip sie beruhe.[5]
Der Begriff der Tatherrschaft sei allerdings schon seiner dogmatischen Herkunft nach wenig geeignet, Antworten auf die Frage zu geben, worin der normative Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme bestehe. Die Tatherrschaftslehre leite sich nämlich aus der finalen Handlungslehre ab, die bereits ihrerseits einer normativen Fundierung entbehre und daher erst Recht keine Anhaltspunkte für eine normative Verankerung der Tatherrschaftslehre liefern könne.[6]
Somit sind Ausgangspunkt der Kritik an der fehlenden normativen Begründung des Tatherrschaftsbegriffs die folgenden Befunde: Die Tatherrschaftslehre verdeutliche im ganz überwiegenden Teil nicht, auf welchem axiologischem Prinzip sie beruhe. Grund hierfür sei die vornehmlich naturalistisch phänomenologische Prägung des Tatherrschaftsbegriffes, der in dieser Form nicht dazu beitragen könne, die wertungsmäßigen Unterschiede zwischen Täterschaft und Teilnahme zu verdeutlichen. Die Tatherrschaftslehre stelle nur im Bereich der Nötigungsfälle auf ein normatives Prinzip, nämlich das Verantwortungsprinzip, ab. Darüber hinaus sei jedoch unklar, wie das Tatherrschaftskriterium bei der wertungsmäßigen Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme behilflich sein könne. Dies folge im Ausgangspunkt bereits daraus, dass sich die Tatherrschaftslehre aus der finalen Handlungslehre ableite, die ihrerseits eine normative Fundierung vermissen lasse.
Im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Tatherrschaftslehre im Rahmen der Steuerhinterziehung wirft dieser Einwand gegen die rechtstheoretischen Grundlagen des Tatherrschaftsbegriffes die Frage nach einer normativen Fundierung des Tatherrschaftskriteriums im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung auf. Zunächst bedarf es hierbei einer Klärung der Frage, ob eine solche normative Fundierung überhaupt notwendig ist, um die Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung anwenden zu können. Sollte sich diese Notwendigkeit herausstellen, wäre in einem weiteren Schritt klärungsbedürftig, ob sich Kriterien definieren lassen, die eine normative Begründung dafür liefern können, weshalb gerade das Handeln mit Tatherrschaft zu einer täterschaftlichen Verantwortung führen soll.
Anmerkungen
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 23 ff.
Röhl/Röhl Allgemeine Rechtslehre, S. 86.
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 23.
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 147.
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S, 23 f.
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 24.
F. Kritik an der Herleitung von Mittäterschaft im Rahmen der Tatherrschaftslehre
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Weiterhin geht es im Rahmen der Kritik an der Tatherrschaftslehre um die Frage, ob es möglich sei, anhand von Tatherrschaftskriterien die Haftung eines Mittäters ausschließlich auf dessen eigenes Verhalten zu stützen und damit vollständig auf eine Zurechnung des Verhaltens anderer Tatbeteiligter zu verzichten.[1] In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass Roxin ursprünglich zur Begründung von Mittäterschaft vollständig auf die Zurechnung fremder Verursachungsbeiträge verzichtet und demgegenüber Mittäterschaft ausschließlich auf den eigenen Tatbeitrag gestützt habe.[2] Diesen Grundsatz habe er jedoch zwischenzeitlich teilweise aufgegeben und vertrete, gemeinsam mit anderen, nunmehr die Auffassung, dass zur Begründung von Mittäterschaft sehr wohl eine Zurechnung von Verursachungsbeiträgen vorgenommen werden könne.[3] Ein solches Verständnis von Mittäterschaft setze sich jedoch in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Tatherrschaftslehre. Zur Begründung dieser These wird auf die Einordnung der Anstiftung als bloße Teilnahmeform verwiesen: Werde im Rahmen der Tatherrschaftslehre eine Zurechnung von Verursachungsbeiträgen vorgenommen, ließe sich nicht erklären, warum dann nicht auch im Rahmen der Anstiftung der Beitrag des Angestifteten dem Anstifter zugerechnet werden und dieser damit als Täter eingestuft werden könne.[4] Somit verdeutlicht sich der Ausgangspunkt der Kritik: Unter den Anhängern der Tatherrschaftslehre werde Mittäterschaft heute nicht mehr ausschließlich aus dem eigenen Verursachungsbeitrag, sondern auch aus einer Zurechung von Verursachungsbeiträgen anderer Beteiligter hergeleitet. Ein solches Verständnis von Tatherrschaft verstoße aber gegen Grundannahmen der Tatherrschaftslehre. Richtigerweise müsse die strafrechtliche Haftung des Mittäters ausschließlich auf dessen eigenes Verhalten gestützt werden können, weil sonst nicht zu erklären sei, warum nicht auch der Anstifter Täter sei. Hierbei stelle sich aber ganz grundsätzlich die Frage, ob dies auf der Basis der Tatherrschaftslehre überhaupt möglich sei.[5] Eine Antwort auf diese Frage müsse in einer Analyse der funktionellen Tatherrschaft als dem Mittäterschaft begründenden Element der Tatherrschaftslehre gesucht werden. Einige Vertreter der Tatherrschaftslehre hätten Roxins Terminologie von der funktionellen Tatherrschaft aufgenommen und präzisiert. Daran anknüpfend lasse sich im Rahmen der funktionellen Tatherrschaft zwischen „positiver“ und „negativer“ funktioneller Tatherrschaft unterscheiden.[6] Danach sei unter positiver funktioneller Tatherrschaft die Möglichkeit zu verstehen, durch das positive Leisten eines wesentlichen Tatbeitrages die gesamte Tat ablaufen lassen und damit beherrschen zu können.[7] Negative funktionelle Tatherrschaft bezeichne hingegen das auch von Roxin vertretene Korrektiv, durch die Verweigerung des eigenen Tatbeitrages den gemeinsamen