Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Malte Wietfeld
Abgrenzung von Täter- und Teilnehmerverhalten ermögliche, was zu einer generellen Untauglichkeit des Kriteriums der Handlungsherrschaft führe.[14]
Für die vorliegende Untersuchung wirft dieser Einwand gegen die Tatherrschaftslehre die Frage nach der Tauglichkeit der Roxinschen Definition von Handlungsherrschaft als der eigenhändigen Vornahme der Tatbestandshandlung für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf. Hierbei bedarf es insbesondere einer Klärung der Frage, ob es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO um ein Verursachungsdelikt im oben verdeutlichten Sinne handelt, oder ob sich für die Steuerhinterziehung eine konkrete Handlungsbeschreibung definieren lässt, die bereits auf objektiver Tatbestandsebene eine Unterscheidung von unmittelbarer Täterschaft und Teilnahme zulässt. Sollte dies nicht möglich sein und müsste die Steuerhinterziehung deshalb als Verursachungsdelikt eingeordnet werden, würde sich die von Roxin vertretene Definition von Handlungsherrschaft tatsächlich nicht dazu eignen, unmittelbare Täterschaft für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dogmatisch herzuleiten. In diesem Fall wäre es für die Anwendbarkeit der Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung in der Tat notwendig, nach Konkretisierungsmöglichkeiten für die Definition von Handlungsherrschaft zu suchen und – sollten sich derartige Konkretisierungsmöglichkeiten nicht finden lassen – das Kriterium der Handlungsherrschaft als für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft untauglich einzustufen.
Anmerkungen
Siehe dazu oben Rn. 8.
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 127.
Für die Steuerhinterziehung Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 107.
Siehe zu einem vergleichbaren Fall SK-Hoyer § 25 Rn. 33.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 98.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56 ff.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 57.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56 f.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 57 ff.
Marlie diskutiert in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Konkretisierungsmöglichkeiten. Zum einen sei zu erwägen, die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft als eigenkörperlich unmittelbare Vornahme der Tatbestandshandlung zu konkretisieren und zum anderen sei zu erwägen, die Tatbestandshandlung als Vornahme der letzten kausalen Handlung zu konkretisieren, siehe Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 61 ff.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 59.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 60 ff.
B. Willensherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des mittelbaren Täters
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Ansatzpunkt der kritischen Auseinandersetzung mit Tatherrschaft bei mittelbarer Täterschaft ist das von Roxin geprägten Kriterium der „Willensherrschaft“. Wie oben[1] gezeigt, geht Roxin davon aus, dass der mittelbare Täter Tatherrschaft kraft Willensherrschaft habe. Willensherrschaft gliedere sich wiederum auf in Nötigungsherrschaft, Irrtumsherrschaft und Tatherrschaft kraft der Beherrschung eines organisatorischen Machtapparates. Es wird zunächst ganz grundsätzlich bezweifelt, ob es möglich sei, diese drei – dem ersten Anschein nach völlig unterschiedlichen Herrschaftsformen – aus demselben Oberbegriff, also der Willensherrschaft, abzuleiten. Auch der Terminus der „Willensherrschaft“ sei für sich genommen missverständlich, da die Gefahr bestehe, „Willensherrschaft“ mit „Willensbeeinflussung“ gleichzusetzen, was aber mit dem Gedanken der Tatherrschaft, der eben „Herrschaft“ und nicht lediglich „Einfluss“ verlange, unvereinbar sei.[2]
Anmerkungen
Siehe dazu oben Rn. 9.
Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 98 f.
Teil 3 Neueste Kritik an der Tatherrschaftslehre › B. Willensherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des mittelbaren Täters › I. Das Kriterium der Irrtumsherrschaft
I. Das Kriterium der Irrtumsherrschaft
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Im Anschluss an diese grundsätzlichen Einwände findet eine kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Erscheinungsformen von Willensherrschaft statt.
Im Rahmen dieser kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Irrtumsherrschaft ist Ansatzpunkt die Annahme, Roxin knüpfe Irrtumsherrschaft im Wesentlichen an zwei Voraussetzungen. Dies sei zum einen das „Mehrwissen des Hintermannes, welches ihm die Möglichkeit einer sinngebenden Überdetermination verleihe“ (zielgerichtete beziehungsweise finale Überdetermination) und zum anderen „der Irrtum des Vordermannes, durch den dessen freiem Willen keine Hemmungsmotive entgegengesetzt würden“ (fehlende Hemmungsmotive).[1] Der entscheidende Einwand, der hier gegen das Kriterium der Irrtumsherrschaft angeführt wird, besteht darin, dass das Roxinsche Verständnis von Irrtumsherrschaft in Fällen versage, in denen mehrere Personen den Kausalverlauf vorsätzlich und in Ausnutzung eines „Mehr an Wissens“ beeinflussten. In Fällen, in denen mehrere Personen den Kausalverlauf beeinflussten, ließe sich nämlich nicht ohne weiteres feststellen, welche der Personen die Möglichkeit der sinngebenden beziehungsweise finalen Überdetermination habe. Finale Überdetermination bedeute, dass der Hintermann zielgerichtet (final) in die Kausalfaktoren des Tatgeschehens eingreife und dieses dadurch beherrsche. Erst durch dieses zielstrebige Eingreifen würden die Kausalfaktoren