Internal Investigations. Dennis Bock
Insbesondere in großen Unternehmen mit vielen Hierarchieebenen ist jedoch fraglich und bislang nicht geklärt, ob der Vorstand selbst wegen jedem noch so kleinen Verstoß zu einer Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist. Unproblematisch ist bei Verdachtsmomenten in Bezug auf Personen, deren Auswahl dem Vorstand obliegt (Mitarbeiter der oberen Führungsebene), von einer Sachverhaltsermittlungspflicht auszugehen, da deren Überwachung auch gleichzeitig die Prüfung der Eignung für das jeweilige Amt darstellt.[18] Ebenso kann eine Untersuchungspflicht dann angenommen werden, wenn der betreffende Sachverhalt erhebliche Bedeutung für das Unternehmen und damit auch für die weiteren Leitungsentscheidungen des Vorstands hat.[19] Auch liegt es nahe, dass der Vorstand bei einem Verdacht oder bei Kenntnis von Gesetzesverstößen in der Gesellschaft nicht einfach untätig bleiben darf.[20] Da es in der Praxis jedoch eher unüblich ist, dass der Vorstand selbst die Untersuchungen durchführt, ist er dazu berechtigt, diese Aufgabe an untere Ebenen zu delegieren. Er ist dann nur noch für deren Auswahl, Einweisung und Kontrolle zuständig (siehe hierzu ausführlich Rn. 28 f.).
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Eine Pflicht zum Einschreiten obliegt dem Vorstand nicht nur bei Verstößen durch Mitarbeiter, sondern auch bei dem Verdacht auf Fehlverhalten durch Aufsichtsratsmitglieder.[21] Zwar ist es nicht die originäre Aufgabe des Vorstands, den Aufsichtsrat zu überwachen. Gleichwohl obliegt es dem Vorstand im Rahmen seiner vorrangigen Überwachungszuständigkeit, bei rechtswidrigen Beschlüssen oder Verhaltensweisen hiergegen einzuschreiten. In der Praxis stellt sich hierbei das Problem, dass der Vorstand über kein Handlungsinstrumentarium verfügt, um gegen den Aufsichtsrat vorzugehen. Letztendlich ist er darauf verwiesen, den Aufsichtsrat zu einer Erklärung über das Fehlverhalten und zur Abstellung aufzufordern. Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, muss der Vorstand die Hauptversammlung einberufen, damit diese über die Abberufung der betreffenden Aufsichtsräte entscheiden kann. Dennoch ist es in den letzten Jahren zu gravierenden Kompetenzüberschreitungen durch Vorstände von Aktiengesellschaften im Rahmen von Untersuchungen gegen Aufsichtsräte gekommen.[22] Dem Vorstand bleibt es hingegen unbenommen zu versuchen, die Vorwürfe gegen den Aufsichtsrat aufzuklären. Der Aufsichtsrat ist jedoch nicht gezwungen, sich zu Anschuldigungen zu äußern. Die Eingriffsmöglichkeit durch den Vorstand ist von besonderer Bedeutung, da nur der Vorstand den nötigen Einblick in die Vorgänge der Gesellschaft und die Tätigkeit des Aufsichtsrats hat, um auf Missstände reagieren zu können.
bb) § 130 OWiG: Aufsichtspflicht
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Neben den gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Vorstands resultiert die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen auch aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht. Nach § 130 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig „wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist […], wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.“ § 130 OWiG statuiert also eine allgemeine Aufsichtspflicht. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG trifft diese Pflicht den Vorstand als vertretungsberechtigtes Organ der AG. Im Falle eines zurechenbaren Fehlverhaltens seiner Aufsichtspflichtigen haftet das Unternehmen selbst, §§ 130, 9, 30 OWiG.
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Die Pflicht zur Aufsicht nach § 130 OWiG umfasst neben der Pflicht zur präventiven und begleitenden Überwachung im Sinne einer sorgfältigen Auswahl, Koordination, Instruktion und Kontrolle der Mitarbeiter gerade auch die Pflicht gegen bereits eingetretene Verstöße einzuschreiten und diese gegebenenfalls zu sanktionieren.[23] Notwendige Vorstufe hierzu ist aber, Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten nachzugehen und den Sachverhalt aufzudecken.[24] Außerdem hat die Aufdeckung vergangener Zuwiderhandlungen auch immer einen präventiven Effekt bzgl. eventuell in der Zukunft stattfindender Taten.[25] Mit der h.M. ist also eine aus § 130 OWiG resultierende Untersuchungspflicht zu statuieren. Dies zeigt auch, dass die Zubilligung eines Ermessensspielraums der Business Judgement Rule leerlaufen würde, da bereits aus § 130 OWiG eine Verpflichtung bzgl. des „Ob“ der Durchführung von Untersuchungen besteht.
cc) § 91 Abs. 2 AktG: Einrichtung eines Überwachungssystems
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Eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen lässt sich unter Umständen auch aus der Pflicht des Vorstands zur Einrichtung eines Überwachungssystems herleiten. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Teilweise wird eine Heranziehung des § 91 Abs. 2 AktG als Grundlage für unternehmensinterne Untersuchungen mit dem Argument abgelehnt, dieser fordere ja ausdrücklich Überwachungssysteme, und beziehe sich nicht auf einzelfallbezogene Sachverhaltsermittlungen.[26] Dies überzeugt jedoch nicht, da § 91 Abs. 2 AktG nur „insbesondere“ auf Überwachungssysteme als Maßnahme zur Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft abstellt. Andere Stimmen sehen in § 91 Abs. 2 AktG nur eine rein präventive Schutzrichtung, sodass die Reaktion auf verwirklichte Risiken nicht hierunter gefasst werden kann.[27] Problematisch bei § 91 Abs. 2 AktG ist jedenfalls, dass dieser nur bestandsgefährdende Entwicklungen verhindern will. Ließe man allerdings nur in diesen Fällen unternehmensinterne Untersuchungen zu, so wäre deren Anwendungsbereich über Gebühr eingeschränkt. Daher ist § 91 Abs. 2 AktG allein als nicht ausreichende Rechtsgrundlage für unternehmensinterne Untersuchungen anzusehen. Jedoch steht § 91 Abs. 2 AktG einer Pflicht des Vorstands zur Untersuchung aufgrund anderer Rechtsgrundlagen nicht im Wege.[28]
dd) Allgemeine Compliance-Verantwortung des Vorstands
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Bejaht man eine allgemeine Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Systems und sieht man unternehmensinterne Untersuchungen als Bestandteil von Compliance an, so kann daraus grds. auch eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen abgeleitet werden.[29]
(1) Allgemeine Compliance-Verantwortung
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Während zunächst nur im Bankaufsichtsrecht auf Grundlage des § 33 WpHG eine allgemeine Compliance-Pflicht aus dem angelsächsischen Raum übernommen wurde,[30] besteht mittlerweile Einigkeit über die allgemeine Verpflichtung aller Unternehmensleiter – unabhängig von der Branche – zur Errichtung eines Compliance-Management-Systems.[31]
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Compliance ist die „Gesamtheit aller Maßnahmen, um das rechtmäßige Verhalten der Unternehmen, der Organmitglieder und der Mitarbeiter im Blick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote zu gewährleisten.“[32]
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Eine explizite Compliance-Verpflichtung ist im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)[33] festgeschrieben. Nach Ziff. 4.1.3 DCGK hat „der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmerischen Richtlinien zu sorgen“ und „auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken (Compliance)“. Der Kodex ist allerdings nicht rechtsverbindlich, sondern spricht nur Empfehlungen für die Selbstverpflichtung von Unternehmen aus, sodass aus ihm keine unmittelbare Verpflichtung des Vorstands zur Einführung eines Compliance-Systems abgeleitet werden kann.[34]
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Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Compliance-Verantwortung in den Kernbereich der Leitungsaufgaben des Vorstands