Internal Investigations. Dennis Bock
Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen beruht also auf zwei Säulen. Zum einen kann die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen direkt aus einer Gesamtschau der Normen §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 130 InsO hergeleitet werden, zum anderen resultiert die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen aus der allgemeinen Verpflichtung zur Einrichtung eines Compliance-Systems.[60]
ee) Recht zur Delegation auf untere Ebenen
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Adressat der oben genannten Regelungen ist der Vorstand. Allerdings wird der Vorstand in der Praxis die in Rede stehenden Sachverhalte nicht selbst im Detail aufarbeiten, Interviews mit den Verdächtigen oder Zeugen führen oder sämtliche Unterlagen sichten. Vielmehr ist eine Delegation der Aufgaben an untere Ebenen der Normalfall. Der Vorstand darf und wird die Untersuchung daher der Compliance-, Revisions- oder Rechtsabteilung zur Aufklärung solcher Verstöße übertragen oder externe Berater mit der Durchführung beauftragen.
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Eine Übertragung der Aufgaben bedeutet hingegen keine Entlastung des Vorstands von seiner Überwachungspflicht. Die Pflicht des Vorstands verändert lediglich ihren Inhalt und wandelt sich in eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Auswahl, Einweisung und Kontrolle der handelnden Personen.[61]
ff) Gesamtvorstand oder einzelnes Vorstandsmitglied
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Die Geschäftsführung obliegt grds. dem gesamten Vorstand (sog. Gesamtverantwortung), § 77 Abs. 1 S. 1 AktG. Allerdings ist es üblich, einzelnen Vorstandsmitgliedern im Rahmen der Ressortverantwortung separate Aufgaben zu überantworten. So kann einem einzelnen Vorstandsmitglied im Rahmen der Personalverantwortung auch die potentielle Entscheidung über die Einleitung unternehmensinterner Untersuchungen übertragen werden.[62]
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Die Übertragung bestimmter Aufgaben auf einzelne Vorstandsmitglieder entlastet die anderen Vorstandsmitglieder jedoch nicht in Gänze von ihrer Verantwortung für die anderen Bereiche. Ihnen verbleibt eine Restverantwortung in Form einer Überwachungspflicht der anderen Ressorts.[63] Die Intensität dieser Überwachungspflichten ist in hohem Maße einzelfallabhängig.[64] Sofern jedoch ein Anhaltspunkt für einen Sorgfaltsverstoß vorliegt, muss bestehenden Hinweisen nachgegangen werden.[65] Der BGH hat entschieden,[66] dass jedenfalls dann eine Generalverantwortung und Allzuständigkeit vorliegt, wenn das Unternehmen im Ganzen betroffen ist, also insbesondere in Ausnahme- und Krisensituationen.[67] Jedenfalls bei einem begründeten Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen, wird man von einer Ausnahme- und Krisensituation für die Gesellschaft ausgehen können. Insbesondere in Fällen, in denen ein besonderes Haftungsrisiko für die Gesellschaft droht, wird eine Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder anzunehmen sein. Dies bedeutet, dass auch „ressortfremde“ Vorstandsmitglieder bei einem Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen verpflichtet sind, Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen einzuleiten.
b) Der Aufsichtsrat
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Der Aufsichtsrat ist das Überwachungsorgan der Gesellschaft. Dem Aufsichtsrat obliegt jedoch nicht die Überwachung der Gesellschaft insgesamt, sondern nach § 111 Abs. 1 AktG ausschließlich die Überwachung der Geschäftsführung. Der Aufsichtsrat muss also unternehmensinterne Untersuchungen jedenfalls bei dem Verdacht auf Verstöße durch den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder einleiten.
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Schwieriger gestaltet sich die Herleitung eines solchen Rechts bei Verstößen durch Mitarbeiter unterhalb des Vorstands. Die Überwachung dieser Mitarbeiter gehört nicht zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, so dass die Einleitung von Untersuchungen in der Gesellschaft einer besonderen Begründung bedarf. Das Gesetz gibt dem Aufsichtsrat verschiedene Instrumente zur Überwachung an die Hand, wie z.B. die Sonderberichtspflicht nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG, das Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG oder die Einräumung eines Zustimmungsvorbehalts bzgl. bestimmter Entscheidungen des Vorstands gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG.
aa) § 111 Abs. 1 AktG: Überwachung der Geschäftsführung
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Nach § 111 Abs. 1 AktG ist es oberste Pflicht des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen.
(1) Was wird überwacht?
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Nach § 111 Abs. 1 AktG ist die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung zu überwachen.[68] Innerhalb der Geschäftsführungsmaßnahmen sind insbesondere die Leitungsmaßnahmen der Geschäftsführung zu überwachen.[69] Hat der Aufsichtsrat also den Verdacht, dass der Vorstand im Rahmen der Geschäftsführung gegen Gesetze oder unternehmensinterne Richtlinien verstößt, so hat er hiergegen einzuschreiten. Überwacht wird auch das Risikomanagement des Vorstands nach § 91 Abs. 2 AktG.[70] Da es Teil der Leitungsaufgabe des Vorstands ist, bei Unregelmäßigkeiten Untersuchungen und Nachforschungen einzuleiten, obliegt dem Aufsichtsrat die Überwachung darüber, ob der Vorstand diese Aufgabe erfüllt und seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung nachkommt
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Der Aufsichtsrat hat im Rahmen der Untersuchungen die primäre Verantwortung und den eigenverantwortlichen Ermessensspielraum des Vorstands zu respektieren.[71] Allerdings besteht für ihn eine Überwachungsverantwortung, die abhängig vom Risikopotential begleitender, unterstützender oder gestaltender Natur sein sollte.[72]
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Bei Verdachtsfällen mit geringen Gefahren für die Lage der Gesellschaft reicht es in der Regel zu prüfen, ob Verdachtsfälle ordnungsgemäß ermittelt und aufgeklärt, festgestellte Verstöße angemessen sanktioniert und entdeckte Aufklärungsdefizite beseitigt wurden.[73]
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Besteht bei einem Verdachtsfall eine erhebliche Gefahr für die Lage der Gesellschaft, muss der Aufsichtsrat den Vorstand aktiv unterstützen, indem er alle im Rahmen der Untersuchung getroffenen Führungsentscheidungen einer konkreten Verlaufs- und Ergebniskontrolle unterzieht.[74]
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Im Falle einer schwerwiegenden Gefahr, wie z.B. dem Verdacht systematischer Korruption oder Wettbewerbsverstöße, muss der gesamte Aufsichtsrat gem. § 90 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AktG über den Sachverhalt informiert werden. Im Anschluss daran sollte der Aufsichtsrat gestaltend tätig werden, indem er nicht nur seine Kontroll- sondern darüber hinaus auch eine Beratungsfunktion ausübt.[75]
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Haben nur einzelne Vorstandsmitglieder Verstöße gegen Gesetze oder interne Richtlinien begangen, bzw. wird dies zumindest vermutet, so besteht prinzipiell eine doppelte Zuständigkeit. Zum einen ist der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan des Vorstands zum Einschreiten verpflichtet, zum anderen besteht eine horizontale Pflicht der Vorstandsmitglieder zur gegenseitigen Leistungskontrolle.[76] Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass vermutet wird, dass durch Mitarbeiter gegen Gesetze oder Richtlinien verstoßen wird, der Vorstand hiergegen nicht vorgeht und der Aufsichtsrat sich daher zum Einschreiten berufen fühlt.
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Aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen den beiden genannten Formen der Überwachung können diese nach einer Auffassung in der Literatur parallel nebeneinander bestehen.[77] Nach anderer Auffassung wird hingegen eine vorrangige Aufklärungspflicht