Internal Investigations. Dennis Bock
§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG ging man grundsätzlich von dem Informationsmonopol des Vorstands aus und billigte dem Aufsichtsrat nur in außergewöhnlichen Einzelfällen ein Direktzugriffsrecht auf die Interne Revision zu. Ein Direktzugriff sollte insbesondere dann möglich sein, wenn Zweifel an der Aufrichtigkeit des Vorstandshandelns[132] oder schwerwiegende Verdachtsmomente gegen den Vorstand bestanden und eine anderweitige Aufklärung nicht möglich erschien.[133] Lag ein solcher außergewöhnlicher Ausnahmefall nicht vor, musste der Vorstand den Leiter der Internen Revision zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat ermächtigen oder der Aufsichtsrat von seinen oben genannten Einsichts- und Prüfungsrechten Gebrauch machen, die auch das Anfordern der Unterlagen der Internen Revision über den Vorstand umfassen konnten. Da seit 2009 die Überwachung der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems zu den Kernaufgaben des Aufsichtsrats gehört, wird von vielen Seiten diese Beschränkung in Frage gestellt und teilweise für einen Direktzugriff auf die Informationen der Internen Revision als Regelfall plädiert.[134] Unter Berufung auf den neuen Wortlaut des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG und der daraus resultierenden Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats wird insbesondere vorgebracht, dass ohne einen Direktzugriff die Gefahr besteht, dass der Vorstand die durch die Interne Revision erlangten Informationen filtert.[135] Es bestehe auch eine prinzipielle Gefahr für die Effektivität der Überwachung, wenn der Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Interner Revision eingeengt wird.[136] Außerdem bleibe die Interne Revision auch nur eine Informationsquelle und werde nicht Gegenstand der Untersuchungen, so dass nicht direkt in die Geschäftsleitung des Vorstands eingegriffen würde.[137] Dagegen spricht allerdings, dass bei einem Direktzugriff auf die Mitarbeiter der Internen Revision die Gefahr besteht, dass das Vertrauensverhältnis innerhalb der Gesellschaftsorgane beeinträchtigt wird. Als gewichtiges, wenn auch dogmatisches Argument gegen einen Direktzugriff ist weiterhin vorzubringen, dass das dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegende Dualsystem hierdurch „verwässert“ wird.[138] Anders als im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht besteht für die deutschen Aktiengesellschaften das Prinzip der Funktionstrennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand[139] sowie eine Leitungsautonomie des Vorstands,[140] welche auch die Einrichtung der Internen Revision umfasst.[141] Weiterhin ändert die Übertragung der Überwachung der Internen Revision an den Aufsichtsrat grundsätzlich nichts daran, dass der Vorstand primärer Ansprechpartner für den Aufsichtsrat bleibt (s.o.).[142] Doch selbst wenn man dem Aufsichtsrat einen Direktzugriff auf die Interne Revision zubilligt, ändert dies nichts daran, dass dem Aufsichtsrat dennoch kein Recht zur originären Einleitung von internen Untersuchungen und der eigenständigen Aufklärung von Verstößen zukommt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die durch die Interne Revision beschaffbaren Informationen zu einer umfassenden Aufklärung von Verstößen regelmäßig nicht ausreichen werden. Diese Informationen können lediglich als Anhaltspunkt für das Vorliegen von Verstößen genutzt werden, bieten jedoch keinen Ersatz für die Befragung von Mitarbeitern.
dd) Ausmaß der Überwachung durch den Aufsichtsrat
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Gegenstand der Überwachung sind nicht alle, sondern nur die für die Lage und die Entwicklung des Unternehmens bedeutsamen Vorstandsentscheidungen. Die Überwachung setzt sich zusammen aus einer reaktiven Kontrolle der vergangenen und einer präventiven Beratung über künftige Führungsentscheidungen.[143] Um bereits ergangene Entscheidungen des Vorstands auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, ist dem Aufsichtsrat gem. § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 AktG insbesondere über die Lage der Gesellschaft zu berichten.[144] Auf zukünftige Entscheidungen kann der Aufsichtsrat Einfluss nehmen aufgrund einer präventiven Informationspflicht gem. § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 4 AktG und § 90 Abs. 1 S. 3 AktG. Für bestimmte Geschäfte kann er des Weiteren gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG Zustimmungsvorbehalte etablieren.[145]
ee) Delegation an Prüfungsausschuss
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Der Aufsichtsrat kann fakultativ[146] gem. § 107 Abs. 3 S. 2 AktG einen Prüfungsausschuss „aus seiner Mitte“ bestellen. Dies ergibt sich schon aus dem Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats und wird durch § 107 Abs. 3 S. 2 AktG noch einmal klargestellt.[147] Das Gesetz sieht als vorrangige Aufgabe des Prüfungsausschusses die Risikokontrolle, insbesondere die Überwachung der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, der Wirksamkeit des Risikomanagementsystems und der Wirksamkeit des Internen Revisionssystems vor. Dies ist nur beispielhaft zu verstehen, da seine Aufgaben grundsätzlich beliebig, unter Beachtung der Delegationsverbote des § 107 Abs. 3 S. 3 AktG, durch den Aufsichtsrat erweitert und begrenzt werden können.[148] Dem Prüfungsausschuss kann insbesondere auch die Überwachung der Compliance übertragen werden.[149] Dies sieht auch der – nicht rechtsverbindliche – DCGK in Ziff. 5.3.2 S. 1 vor. Es können dem Prüfungsausschuss neben der Überwachung der Funktionsfähigkeit des Compliance-Systems an sich, zusätzlich auch Überwachungs- und Kontrollbefugnisse bezüglich konkreter Vorgänge übertragen werden. Nach einer solchen Übertragung kann der Prüfungsausschuss dann anstelle des Gesamtaufsichtsrats dem Verdacht auf Gesetzes- oder Richtlinienverstöße nachgehen. Zu beachten ist, dass der Aufsichtsrat nicht generell seine Kernaufgabe, die Überwachung des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG, übertragen kann.[150] Übertragen werden können lediglich die aus dieser allgemeinen Überwachungsaufgabe abgeleiteten konkreten Pflichten.[151] Das heißt, dass dem Prüfungsausschuss nur bestimmte Komplexe der Überwachung und die damit verbundenen Einsichts- und Prüfungsrechte übertragen werden können.[152] Es können also nur vorbereitende Tätigkeiten und konkrete, auf einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen bezogene Überwachungsaufgaben übertragen werden.[153] Für die Überwachung des Vorstands an sich bleibt jedoch der Gesamtaufsichtsrat verantwortlich.[154]
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Ob es empfehlenswert ist, den Prüfungsausschuss im Einzelfall mit der Überwachung der Compliance zu beauftragen oder die Ausübung der Überwachungs- und Kontrollbefugnis lieber dem Gesamtaufsichtsrat zu überlassen, hat der Aufsichtsrat im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.[155] Ein Vorteil des Ausschusses kann seine geringere Mitgliederzahl[156] und damit eine höhere Effizienz sein.[157] Ob dies ein echter Vorteil ist, hängt jedoch vom Einzelfall und auch von der Größe des Aufsichtsrats ab. Die Einsetzung eines Prüfungsausschusses sollte auch von der Bedeutung und Tragweite des Untersuchungsgegenstands abhängig gemacht werden. Handelt es sich um die Verfolgung eines Verdachts auf schwerwiegende und für die Gesellschaft u.U. sogar existenzbedrohende Verstöße, kann vieles dafür sprechen, die Überwachungszuständigkeit beim Gesamtaufsichtsrat zu belassen. Der Gesamtaufsichtsrat kann allerdings auch jederzeit eine an den Prüfungsausschuss übertragene Aufgabe wieder an sich ziehen.[158]
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Der Aufsichtsrat kann also zu seiner Entlastung einen ständigen Prüfungsausschuss einrichten, dem auch konkrete Prüfungsaufträge erteilt werden können. Dies kann die Effektivität des Aufsichtsrats bei der Aufdeckung von Verstößen durch den Vorstand steigern. Ob in der konkreten Gesellschaft und in der im Einzelfall vorliegenden Situation jedoch tatsächlich ein Prüfungsausschuss mit der Überprüfung des Verdachts betraut werden sollte, muss der Aufsichtsrat im Einzelfall entscheiden.
c) Aktionäre
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Es ist grds. Aufgabe des Vorstands und des Aufsichtsrats, das Vermögen der Gesellschaft und damit auch die Vermögensinteressen der Gesellschafter zu schützen. Eine Gefährdung liegt z.B. vor, wenn Gelder der Gesellschaft für gesellschaftsfremde Zwecke aufgewendet und somit verschwendet werden. Es scheint angezeigt, in diesem Fall auch den Aktionären ein Recht zur Einleitung von internen Untersuchungen einzuräumen. Problematisch ist hierbei, dass die Verfassung der AG den Aktionären nur sehr beschränkte Rechte, insbesondere nur sehr schwache Initiativrechte zubilligt. Das handelnde Organ mit kaum einschränkbarer Leitungsmacht ist nach der Verfassung der AG der Vorstand.[159] Kommt es zu Verstößen durch den Vorstand oder aus den Reihen der Mitarbeiter, die die Gesellschaft direkt schädigen oder zumindest potentiell haftbar machen, so stehen den Aktionären nur wenige Möglichkeiten offen, um diese