Staubfänger. Lucie Faulerová
du was?«, fragt sie und zieht ihre Geldbörse heraus, um ihren Anteil zu bezahlen, einen Tee, einen Saft, ein mildes Mineralwasser.
»Nein, ich will nur für irgendwas Geld ausgeben«, sage ich und zucke mit den Schultern, einen cremefarbenen Mantel, einen Scharfschützen, Urlaub auf den Bahamas. Sie nickt. Ja, ich sehe es dir an. Du weißt ja gar nicht mehr, wie es ist, wenn man noch Zeit und Geld zum Einkaufen hat. Du weißt ja gar nicht mehr, wann du zum letzten Mal etwas Schönes angehabt hast, weil dein Arsch nirgends mehr reinpasst. Was dir dein geliebter Mann bestimmt Tag für Tag sagt, wenn er von »einem« Bier heimkommt. Und du schaust in den Spiegel und beißt dir auf die Lippen, wenn du dir den Rock glattstreichst und dich im Profil betrachtest, und schaust Serien, wo alle schön sind, auch wenn sie schon auf die Vierzig zugehen, und gibst dir selbst die Schuld daran, dass dein Ehemann dich nicht mehr attraktiv findet, dass dich vielleicht kein Kerl mehr attraktiv findet. Und gibst dir selbst die Schuld daran, dass im Bett überhaupt nichts läuft. Du tust so, als würdest du Lust darauf haben, aber in Wirklichkeit liegst du da und schaust zur Decke, während er es dir macht, und stöhnst nur aus Gewohnheit und hoffst, dass es bald zu Ende ist. Und vielleicht stöhnst du auch deshalb, weil du denkst, dass er so schneller kommt. Und du bewegst dich so wenig wie möglich, nicht nur, weil es dir keinen Spaß macht, sondern auch, weil du Angst hast, dass du, würdest du dich auch nur ein klein wenig vom Fleck bewegen, sofort weglaufen würdest. Aber weißt du was? Das macht nichts, denn die Ehe ist harte Arbeit. Das macht nichts, weil du ja diese Kompromisse machen kannst.
»Also, bis nächsten Montag?«
»Bis nächsten Montag«, nicke ich und der leere Raum zwischen uns wird größer, er füllt sich mit Menschen, die mit den Rolltreppen fahren. Sie schaut mich immer noch an, ich sehe, wie sie den Mund aufmacht, ich sehe, wie sie mir noch etwas sagt. Kann sein, dass ich sie nicht hören kann. Kann sein, dass sie vom Lärm des Einkaufszentrums übertönt wird, sie sagt das so leise. Ich gehe beim Hintereingang hinaus und sofort nach Hause. Sie sagte »sie hat nach dir gefragt«, oder es kann sein, dass sie auch irgendetwas ganz anderes sagte.
Jakub hatte eine sanfte Stimme, sanfter als sein Gesicht. Man konnte sich gut vorstellen, wie es sein würde, wenn er zu sprechen beginnt, man konnte sich vorstellen, was für eine Stimme er hat, während er noch schwieg, und trotzdem war diese Vorstellung nicht deckungsgleich mit dem, wie diese Stimme in Wirklichkeit klang, sie überraschte einen nicht. Man dachte nur: Aber ja, klar, wie könnte sie sonst sein – außer so. Diese Stimme überzog ihn mit einem Satinleintuch.
So als würde man eine Torte glasieren.
So als würde man Milch in einen tiefschwarzen Kaffee gießen.
So als würde man heiße Himbeeren über einen Eisbecher träufeln und mit Zimt bestreuen.
Wir lernten uns bei den Bananen kennen. Wir lernten uns bei den Bananen kennen, das Kilo für fünfundzwanzig. Und dann trafen wir uns in der Schlange an der Kasse wieder. Sie ging bis nach hinten zu den Tiefkühlwaren. Das war vor Weihnachten. Und wir standen am Ende der Schlange und aßen Bananen. Jeder aus dem eigenen Einkaufskorb. Jeder vom eigenen Kilo für fünfundzwanzig.
Ich bleibe bei der Mülltonne vor dem Haus stehen und werfe Stückchen von dem zerrupften Grünzeug weg, das ich in meiner Tasche habe.
Tick-tack eins, tick-tack zwei, tick-tack drei.
Vergeblich durchsuche ich mein Gedächtnis danach, wann ich zuletzt einen Abend anders verbracht habe als in meiner eingesessenen Grube hier in der Ecke dieses Zimmers. Wenn ich das Band zurückspule, hab ich das Gefühl, als würde ich diese Schweinerei einsaugen, die sich hier unbemerkt ansammelt, Tag für Tag, Nacht für Nacht, so eine Schweinerei, die nicht sichtbar ist, solange der Staubsauger noch etwas aufnimmt, solange man nicht hineinschaut und feststellt, dass die Kapazität des Behälters für den Dreck bis oben hin voll ist. Also mein Gedächtnis, in dem ich vergeblich suche, ist wie dieses Büschel angesammeltes Nichts, das sich unbemerkt auf dem Teppichboden ablagert, dieser Auswurf, ein Knäuel aus Staub und Kehricht, das in der Staubsaugerröhre steckengeblieben ist. Ja, das ist die Summe aller One-Woman-Shows der letzten Tage, Wochen, Monate und Jahre plus minus geteilt durch zwei. Abend für Abend sammelt sich dieser Staub, dieser Kehricht, Asche und Schmutz. Na, im Ernst, man bemerkt das alles kaum, bis man es zusammensucht, bis man es schön auf einem Haufen beieinanderhat. Und so schaue ich auf diesen Megaauswurf an Widerlichkeit, ich habe ihn direkt vor mir und staube auf ihn. Noch ein paar Minuten. Und während ein Strohballen von einer Ecke in die andere huscht, so eine Szene aus einem Western, wo im Schatten irgendjemand, vielleicht mein Erzähler, ziemlich falsch auf einer Mundharmonika spielt. Das Stroh umkreist die Beine meines Erzählers. Er schwankt, er flucht, er klopft sich Staub von den Knien. Entschuldigend zucke ich mit den Schultern.
Und damals ist er vielleicht zu mir gekommen, damals ist er vielleicht erschienen – mein Erzähler, damals, als ich diese Sitzungen eingeführt habe, damals, als Jakub verschwand und Mercedes verschwand und Ondřej verschwand. Er fand mich, weil er sich dachte, wenn er mein Leben erzählen würde, dann wäre dieses Leben nicht ganz so Scheiße. Dann würde darin etwas passieren. Dann würde ich mir einreden können, dass es etwas wert ist. Oder war es vielleicht anders, vielleicht ist er erschienen, weil ich ihn herbeigerufen habe. Vielleicht war ich es, die sich dachte, dass mein Leben mehr wert ist, wenn es jemand erzählen würde. Dass es ins Gewicht fallen würde. Dass es Sinn haben würde. Oder war es ganz anders. Ich weiß es nicht mehr. Staub hat sich darauf angesammelt. Und dann erhob sich Anna, sie erhob sich aus dem Staub und sie beschloss, die vom Lichtkegel ausgeleuchtete Stelle zu verlassen, sie beschloss, das Strahlen der Scheinwerfer auf die Bretter, die ihre Mikrowelt bedeuten, unter tosendem Applaus der Zuschauer zu verlassen, und schloss die Tür hinter sich.
Normalerweise gehe ich nicht auf Firmenpartys, aber heute bin ich dabei, ich stehe an der Bar und drehe ein Glas mit irgendeinem Whiskey in der Hand, ich verstehe überhaupt nichts von diesem Getränk, es schmeckt mir überhaupt nicht, aber es sieht gut aus, und ich beobachte, wie sich die Köpfchen um mich herum öffnen und schließen, wie durchsichtige und undurchsichtige Flüssigkeiten hineingeschüttet werden, Schnapsgläser klimpern, Hände werden gedrückt, Küsschen auf Gesichter geklatscht, ich bin die aus dem Gehege neben der Tür, freut mich, dich kennenzulernen. Und wenn ich einen Moment alleine bin, kommt jemand, der mich kennenlernen will, der sich mit mir anfreunden will, der mich anlächelt und mir die Hand gibt. Und so spreche ich mit Leuten, die sich in diesem Moment nach nichts anderem sehnen, als mich kennenzulernen, mir noch einen Whiskey zu bestellen, weil sie ihn nicht bezahlen müssen, und ich fühle mich gut, denn ich habe ihnen gerade gesagt, dass ich verlobt bin, denn ich habe ihnen gerade gesagt, dass meine Eltern gestorben sind, als ich noch klein war. Ich habe ihnen gesagt, dass sie verbrannt sind. Sie fragen mich nach Geschwistern, und ich sage, dass ich ein Einzelkind bin.
Dann sitze ich an der Bar, sie spielen tschechische Hits aus den Neunzigern, zu denen alle rundherum abrocken, und mir ist ein bisschen schlecht. Wollt ihr Zeugen von angesammelter Einsamkeit und Verzweiflung sein? Zeugen davon, wie tief Menschen fallen können, wie tief unter ein noch tragbares Maß an Urteilsvermögen? Wie sie auch ihre allerniedrigsten Ansprüche bezüglich der Frage, mit wem sie zumindest eine Nacht verbringen, vergessen können? Erstens: geht in eine Bar. Zweitens: wartet bis Mitternacht, bis die meisten schon reichlich getankt haben. Drittens: schaut euch um. Ihr seht krampfhaftes Lachen, peinliches Haschen nach Aufmerksamkeit, als Losgelöstheit und Verspieltheit maskierte Hysterie. Eine Schau erbärmlicher Gestalten, klimp-kling-trink, haha, hehe, schaut mich an, ich kann ruhig auch mein Shirt hochziehen, streichelt mich doch irgendjemand, bitte, schaut mich an, hier bin ich.
Ein Typ setzt sich zu mir, bestimmt ist er jünger als ich. Er ist groß, hat die Frisur eines Nazi-Schnösels, wenn ich mir seinen Daumen so ansehe, könnte er auch ziemlich gut bestückt sein. Wir reden miteinander. Ich weiß nicht mehr, worüber, ich weiß nur, dass ich total viel gelogen habe, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte. Er erzählte mir, dass er schon anderthalb Jahre Single ist. Er bestellte mir einen Schnaps. Ich weiß nicht einmal, ob es Whiskey war oder was anderes. Wir redeten über Sex. Ich spreche nicht gern über Sex. Er bestellte mir noch einen. Sie spielten wieder einen Klassiker aus den Neunzigern, Mňága & Žďorp. Mir war schlecht.
Dann gehen wir auf die Terrasse und