Im goldenen Käfig. Aicha Laoula
Leben
Die Veröffentlichung meines ersten Buches: »Verkauft!«
Die grösste Prüfung vor meiner vollständigen Befreiung
Einige Worte über alte Menschen
Ein Wort von Aichas heutigem Ehemann
Ankunft in der Schweiz
Ich war 16 Jahre alt, als ich zum ersten Mal nach Europa kam. Mein Mann Bilal und ich waren vom Flughafen in Marrakesch nach Genf geflogen, wo wir zwischenlandeten, um anschließend nach Zürich weiterzufliegen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, meine Gefühle wechselten zwischen Freude und Angst vor all den neuen Dingen, die mich erwarteten. Meine Entdeckungsreise der neuen Welt, in die ich innerhalb weniger Stunden katapultiert wurde, begann bereits am Flughafen in Zürich. Ich war buchstäblich überwältigt von seiner Schönheit und seiner Größe und vor allem von der Tatsache, dass alles glänzte und blitzsauber war. Mein Blick wurde sofort auf ein Modellflugzeug gelenkt, das in der Mitte der Decke dieses großen Gebäudes ausgestellt war. Ich war verblüfft und fasziniert vom Anblick der Rolltreppen, die ich zum ersten Mal in meinem Leben sah. Starr vor Verblüffung beobachtete ich, wie sie die Menschen nach oben und unten trug, ohne dass auch nur die geringste Anstrengung nötig war, die Stufen hinauf oder hinunterzusteigen. Es fiel mir nicht leicht, mir vorzustellen, auf diesen sich bewegenden Stufen hinaufzufahren, ich hatte Angst, zu stolpern und zu fallen. Doch ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ließ mich inmitten der Menschen von den Stufen tragen, während sich mein Mann hinter mir um den Gepäckwagen kümmerte. Ich bemerkte, dass die Menschen hier eher ruhig und leise sprachen. Auch die Art sich zu kleiden unterschied sich von der, die ich aus Marokko kannte. Die Kleidung war hier eher dunkel und es fehlte diese Lebendigkeit leuchtender Farben, die ich von uns, speziell von meinem Volk, den Berbern, kannte. Außerdem stellte ich fest, dass die meisten Frauen Hosen trugen, nicht wie bei uns, wo man in den Städten lange bunte Djellaba trug, und in den berberischen Dörfern trugen die Frauen knöchellange Röcke in leuchtenden Farben und die Männer eine Djellaba, die ebenfalls bis zum Knöchel reichte. Zum ersten Mal sah ich so viele Menschen, die meisten hatten helles Haar und ebenso helle Augen und Haut, und es kam mir vor, als hätten sie seit langer Zeit keine Sonne gesehen. Ich beobachtete diese völlig neue Welt um mich herum, während mein Gehör versuchte, diese neuartige Sprache zu verstehen, die überall um mich herum ertönte. Ich fragte Bilal, welche Sprache das sei und er sagte, es wäre Deutsch. Ab dem ersten Moment erschien mir diese Sprache recht beschwerlich. Ich fragte mich, ob ich jemals in der Lage wäre, sie zu erlernen, wo ich doch nun in diesem Land leben würde. Ich bemerkte, dass es überall sehr sauber und ordentlich war, selbst auf der Straße, und das gefiel mir gut. Alles war in perfekter Ordnung, niemand stieß mit den Ellenbogen, während die Menschen in der Bahn ordentlich ein- und ausstiegen, einer nach dem anderen. Mir war sofort bewusst, dass dieses Volk hier sehr zurückhaltend war, im Vergleich zu uns in Marokko, wo die Menschen offener und kommunikativer sind. Bei uns begannen die Leute Gespräche, ganz gleich, wo sie waren: unterwegs, während sie auf öffentliche Verkehrsmittel warteten, während des Einkaufs, immer und überall. Auch wenn man sich nicht kannte, man unterhielt sich sofort über sein Privatleben und persönliche Angelegenheiten und tauschte Erfahrungen aus und bat sein Gegenüber um Rat. Diese Art der Kommunikation ist praktisch wie das Lesen der Tageszeitung oder das Lauschen der Nachrichten im Lokalradio. Alle sind über alles und jeden informiert.
Der Zug fuhr lautlos von Zürich in Richtung Schaffhausen ab, mit einem Tsch-tsch und dem leichten Brummen der Schienen, das mir ebenfalls neu war. Vom Zug aus blickte ich auf die schöne Stadt Zürich, eingehüllt in einen Schleier von Schnee, der gerade frisch gefallen war. Auch wenn sich die Bauweise und die Architektur der Stadt von den Städten, die ich kannte, unterschieden, gefiel sie mir. Außerhalb der Stadt tat sich eine wunderschöne Landschaft auf, schneebedeckt, unter dem Bäume hervor blitzten, die auf mich wirkten, als wäre kein Leben in ihnen. Eine magische Landschaft grenzenloser Wälder, eine einzigartige Natur, ganz anders als die meines Landes, das eine Steinwüste mit trockener Erde ist, das ich aber doch so sehr für seine Wärme und die Sonne liebte, die jeden Tag schien. Gegen sechs Uhr am Abend war es bereits dunkel, als wir in der schönen Stadt Schaffhausen ankamen, die bereits um diese Uhrzeit verlassen schien. Die wenigen Passanten konnte man an einer Hand abzählen. Im Gegensatz zu unseren Städten in Marokko, in denen das Leben bis Mitternacht pulsierte! Ich stieg aus dem Zug, brrrrrr! Ich wurde von einem Schauer erfasst, der mich wie ein Igel zusammenrollen ließ. Ich trug Jeans und eine Lederjacke, die für diese eisige Kälte nicht geeignet waren. Nie zuvor im Leben hatte ich eine ähnliche Kälte verspürt, sie war stechend und schien meine Haut bis auf die Knochen zu durchdringen. Nach einer zehnminütigen Fahrt mit dem Bus kamen wir vor einem dreistöckigen Haus an. Es war alt aber in einem wunderschönen architektonischen Stil gebaut. Ich blieb stehen, um es einen Augenblick lang zu bestaunen, dieses Gebäude, das ab heute mein neues Zuhause sein sollte. Das Haus stand in der Mitte eines Gartens, umgeben von Bäumen ohne Blättern, die leblos wirkten. Ich hatte das Gefühl, dass sich sowohl die Natur als auch die Menschen und das ganze Land in einem tiefen Winterschlaf befanden, eingehüllt von Dunkelheit und in vollkommener Stille. Ein Gefühl der Nostalgie und der Beklemmung überkam mich, vielleicht hervorgerufen durch den Nebel, die Kälte und die Feuchtigkeit, die ich überhaupt nicht mochte. Gleichzeitig verspürte ich aber auch eine unheimliche Freude über meinen ersten Kontakt mit Schnee, der sich am Straßenrand türmte. Noch nie im Leben hatte ich so viel Schnee gesehen. Ich erinnerte mich an der ersten Schnee in meinem Dorf. Ich war noch sehr klein, als ich eines Morgens mit meinen Brüdern und Schwestern aus dem Haus ging und sich uns ein wunderbares und einzigartiges Schauspiel bot. Das ganze Land war weiß. Meine Geschwister und die Kinder des Dorfes verloren keine Zeit, sich mit nackten Füßen hineinzustürzen, in diese weiße und kalte Substanz, um damit zu spielen. Ich hingegen war einfach stehen geblieben, um dieses Wunder schweigend zu bestaunen. Die Kinder waren voller Euphorie und juchzten vor Freude, während sie kleine Bälle formten und den Hügel hinunterrollen ließen. Wir Kinder waren alle barfuß und trugen eine Tunika aus Wolle mit kurzen Ärmeln, ohne Hose oder gar Höschen, Dinge, die wir zu dieser Zeit nicht kannten. Ich stand einfach nur da und beobachtete die Schneebälle, die wie von Zauberhand immer größer wurden, während sie ins Tal hinab rollten. Leider war diese Freude nur von kurzer Dauer, denn der Schnee wich noch am selben Tag der Sonne und kam nie mehr zurück.
Nach einer gewissen Zeit ermunterte mich Bilal, ins Haus zu gehen. Ich nahm meine Tasche