Geh's noch Gott?. Paulus Terwitte
ein erfülltes Leben fängt da an, wo ich es schaffe, aus diesen Wünschen in die Hingabe zu kommen.
Was ist Glück?
Ich finde, wir müssen mal über das Glück reden. Es wird uns zum Beispiel „ein glückliches neues Jahr“ gewünscht, wir machen Glückwünsche zum Geburtstag oder
zu was auch immer – es wird ständig Glück gewünscht. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob alle Menschen das Gleiche meinen, wenn sie das Wort „Glück“ sagen.
Was ist eigentlich Glück? Meine Definition von Glück fängt damit an, dass ich sage: Glück ist das Unerwartete. Glück ist genau das, womit ich nicht gerechnet habe. Glücklich macht mich nicht, wenn ich das kriege, was ich mir gewünscht habe – das ist ja komisches Glück. Wenn ich das kriege, was ich mir gewünscht habe, dann kommt ja nichts Neues in mein Leben. Ich habe meine Wünsche, die sage ich auch und dann werden sie mir erfüllt. Na super. Glücklich macht mich das nicht.
Glücklich macht mich, wenn ich überrascht werde, wenn ich beglückt werde, zum Beispiel: „Boah, hätt’ ich ja nie gedacht, dass ich das im Urlaub erlebe!“ oder „Diese Musik spricht mich so an, unglaublich“ oder „Dass du mit mir jetzt so lange Zeit verbracht hast, macht mich superglücklich!“ und „Dass ich diesen Ort gefunden habe, mit dem ich überhaupt gar nicht gerechnet hatte, macht mich superglücklich!“. Das ist das Glück, was ich Menschen wirklich wünsche. Und damit wünsche ich ihnen auch ein Überraschungsherz. Ich finde, es mangelt in unserer Welt an Überraschungsherzen. In einer Welt, in der alle möglichen Erwartungen an Menschen gerichtet werden und Erwartungen erfüllt werden müssen, fehlt es an einem Überraschungsherzen. Einem Herzen, das sich eben nicht überlegt: Was erwarte ich von dem anderen? Was erwarte ich vom Leben? Was erwarte ich von meiner Frau? Von den Kindern? Was erwarte ich hier und was erwarte ich da? Stattdessen frage ich mich: „Bin ich noch bereit, mich überraschen zu lassen von meiner Frau?“ Oder sage ich mir: „Die hat schon wieder nicht gekocht, was ich mir gedacht habe!“ Oder: „Die Jungs haben schon wieder nicht ihr Zimmer aufgeräumt, wie ich mir das vorgestellt habe!“ Oder: „Das Auto ist immer noch nicht aus der Werkstatt so wiedergekommen, wie ich es mir gedacht habe.“ Eine Miesepeterigkeit ohne Ende stelle ich bei vielen Menschen fest. Sie sind nicht mehr bereit, als Glücksdetektive durch die Welt zu gehen und zu sagen: „Ich möchte gerne mal entdecken, wo ich gerade beglückt werde“ – in der Straßenbahn, auf dem Bahnhof, beim Spazierengehen, durch die Sonne, durch den Frost, durch den Wind, durch den Regen … Ich lasse sehr viele Momente in meinem Leben insofern an mich heran, dass ich mich frage: Wie wollen die mich gerade beglücken? Glück ist so was wie die Erfahrung von einer Zusammengehörigkeit in einer Welt, die wir nicht in der Hand haben, so wie wir auch unser ganzes Leben nicht in der Hand haben. Und glücklich werde ich da, wo ich bereit bin, das zu bejahen. Wenn ich sagen kann: Die Welt kommt mir entgegen, und sie beschenkt mich. Sie beschenkt mich in einer Weise, dass ich wieder neu nachdenken kann über die Welt, über mich, über das Leben. Sie erneuert mich ständig.
Für mich ist einer der größten Glücksmomente, in eine Ausstellung zu gehen und mir dann eine Viertelstunde lang ein Bild anzugucken. Währenddessen überlege ich: „Wie berührt mich jetzt dieses Bild oder dieses Kunstwerk?“ Oder ich sitze in einer Oper und denke mir: „Wahnsinn, wie da zusammengespielt und -gearbeitet wird! Das macht mich jetzt wirklich glücklich in einer Weise, wie ich es gar nicht erwartet hätte.“ Manchmal erlebe ich das auch im Gebet. Ich bete dann oder bin in der Stille, in der Meditation, und dann habe ich manchmal diesen Eindruck: Ich bin jetzt ganz in Gemeinschaft mit dem, der mich geschaffen hat und mit dem ich unterwegs bin. Das ist einfach toll, und das ist Glück.
Glück ist: Ich fühle mich zugehörig zu der Welt, in der ich bin. Und Glück heißt für mich: Ich kann die Welt wahrnehmen, wie sie mich beschenkt, wie sie mich herausfordert, wie sie in Kommunikation mit mir ist, wie sie mich zum Wachsen bringt.
Ein anderer Aspekt des Glücks, den ich auch wichtig finde, ist, dass ich durch die Welt gehe und der Welt etwas schenken kann. Mich macht es ja nicht nur glücklich, wenn ich etwas erhalte, etwas bekomme, etwas mitbekomme, sondern dass ich auch etwas geben kann. „Vom Schenken ist noch keiner arm geworden“, hat meine Großmutter gesagt. Dahinter steckt die tiefe Erfahrung: Weil ich ein Empfänger bin, will ich gerne auch ein Geber, eine Geberin sein. Ich will auch etwas von mir loslassen. Es macht mich zum Beispiel glücklich, wenn ich mit Menschen im Gespräch bin und mir Menschen zuhören, die ich gar nicht kenne und die bereit sind, meine Meinung aufzunehmen. Oft haben diese Menschen eine Haltung wie: „Ich lasse mir jetzt einfach mal was sagen.“ Wenn ich mir für die Menschen Zeit nehme, macht es mich glücklich, weil ich in Kontakt mit ihnen bin. Und ich hoffe, die Menschen spüren, dass ich das tatsächlich mit Freude mache und mit Freude für sie da sein will.
Glück bedeutet für mich also nicht: „Das hab ich jetzt, und dann pack ich das ein, und dann lebe ich so weiter.“ Nein, das ist für mich wie eine Art Fluss, in dem ich gehe, stehe, bade. Ich schwimme da drin, ich gebe das Meinige, ich werde umspült von anderen. Wenn man mich fragt, könnte ich sagen: Ich bin tatsächlich ein glücklicher Mensch, weil ich aufgehört habe, mir zu überlegen, was mich glücklich machen könnte. Das wäre auch mein Rat an dich, wenn du glücklich werden willst. Glück kann man nicht anstreben. Du kannst nicht sagen: „Heute will ich mal überlegen, wie ich mich glücklich machen will.“ Das geht nicht. Ich will jetzt nicht gerade sagen: Bleib unglücklich! Aber ich wünsche dir eine Haltung, die sagt: „Ich packe das Leben jetzt an, wie es sich mir anbietet. Leider ist dies nichts geworden, leider ist das nichts geworden und hier ist auch etwas kaputt gegangen. Etwas funktioniert nicht. Aber ich kann über diese Dinge herrschen. Ich kann sie verwandeln, wenn ich sie als meinen Auftrag annehme, und ich kann jetzt und heute einen neuen Schritt anfangen.“ Das ist ein Vermögen, aus dem, was das Leben uns anbietet, etwas zu bauen, was uns weiterbringt. Auf einer Spruchkarte heißt es: „Die Steine, die uns in den Weg gelegt werden, können wir zum Fundament machen, auf dem wir unser Leben aufbauen können.“
Wenn du das so siehst, dann wirst du auch glücklich sein und Glück erfahren können. Noch einmal: Nimm bitte nicht die Haltung ein: Bin ich schon glücklich? So wird keiner glücklich! Glücklich wird, wer die Alltagsaufgaben, die ihm angeboten sind, die ihm aufgelastet sind, für die er herausgefordert ist, wenn er diese Aufgaben als Möglichkeit nimmt, zu wachsen an Kräften und an Ideen. Wenn er sie annimmt als eine Aufgabe der Liebe. Der Liebe nämlich zur Welt, der Liebe zu sich selber, der Liebe zu Gott – denn als gläubiger Mensch schreibe ich ja hier. Gebet ist für mich vor allen Dingen, dass ein Gott mit mir durchs Leben geht, der mir in allen Situationen meines Lebens einen Anlass gibt zur Auferstehung. Für mich ist das größte Glück, dass ich immer neu einen Grund habe, aufzustehen und die Situation zu beherrschen. Meine Ängste, meine Trauer, meine Freude, meine Möglichkeiten, meine Unmöglichkeiten – das alles gehört für mich zusammen und ich möchte alles zu dem weitertreiben, was der nächste Lebensschritt ist.
Ich weiß nicht, ob dich das jetzt gerade glücklich macht, wenn ich dir das so sage, aber dein Alltag, den du gerade lebst, das ist der Ort, an dem du glücklich werden kannst. Glaub mir!
Glück heißt für mich: Ich kann die Welt wahrnehmen, wie sie mich beschenkt, wie sie mich herausfordert, wie sie in Kommunikation mit mir ist, wie sie mich zum Wachsen bringt.
Wie definierst du Erfolg?
„Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“ So hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber einmal gesagt. Und trotzdem sprechen heute alle Menschen davon, dass sie Erfolg haben wollen. Wenn ich dann nachfrage: „Was ist eigentlich ein Erfolg für dich?“, dann gibt es die Gruppe von Menschen, die antwortet: „Wenn ich viel Geld verdiene, wenn ich mir was leisten kann, wenn ich mir keine finanziellen Sorgen machen muss – dann ist mein Leben erfolgreich.“ Eine zweite Gruppe von Menschen sagt: „Erfolg ist für mich eigentlich, wenn ich in einem Beruf gelandet bin, der mir richtig Spaß macht, in dem ich aufgehe, in dem ich Erfüllung finde, in dem ich mit Menschen zusammen bin und der Menschheit dienen kann – wenn ich das geschafft habe, ist das für mich ein Erfolg in meinem Leben.“
Aber