Geh's noch Gott?. Paulus Terwitte
Da gibt es viele Menschen, und Gott sei Dank gibt es durchaus auch Möglichkeiten, im Internet Gruppierungen zu finden, Menschen zu finden. Die Website www.nebenan.de zum Beispiel ist so ein Netzwerk, das ich sehr schätze, wo man sich richtig mit Klarnamen registrieren muss, mit Personalausweisdaten und allem. Da kann ich dann auch mal sagen: „Hallo Nachbarn, ich würde gerne etwas mehr tun, dass bei uns nicht ständig so viel Dreck in der Nachbarschaft rumfliegt. Wer von euch ist noch daran interessiert?“ Solche allgemeinen Fragen sind möglich bis hin zu der Frage: „Ich würde gerne mal darüber nachdenken, ob wir eine Fahrgemeinschaft bilden können, wenn wir einkaufen fahren, denn ich überlege, mein Auto abzuschaffen, und frage mich: Können wir mit fünf Leuten gemeinsam ein Auto haben? Wer hat Lust, mit mir darüber zu reden?“
Das Gute, das sich vernetzen will – und das Gute will sich vernetzen –, aussprechen und diesem Guten auch dienen wollen, darum geht es. Man wird dann auf jeden Fall Freundinnen und Freunde finden für die gemeinsame Sache. Das hat nur einen ganz kleinen Haken: dass man die Leute persönlich vielleicht nicht immer so toll findet. Ich komme aus einem Orden, in dem auch Brüder sind, die sich alle etwas vorgenommen haben. Menschlich ist das immer neu eine Herausforderung. Für die gemeinsame Sache will man kämpfen, aber dann ist der eine eben so und der andere so … Ich muss die Unterschiedlichkeiten der Menschen einfach anschauen. Und auch sagen: Wir dürfen unterschiedlich sein, wenn wir diese gemeinsame Sache verwirklichen. Es braucht für diese Motivation zum Guten also das Miteinander mit anderen, die ähnlich sind, und es ist wichtig, dass ich das nicht abwerte. (Ich bin der Einzige, der etwas verändern will – der bin ich ja gar nicht! Ich gehöre zu den anderen, eine große Portion Demut ist schon vonnöten.)
Das Gute zu tun, demütig zu tun – Mahatma Gandhi habe ich am Anfang genannt, der ja sehr viel Kraft aufgrund seiner Demut entfaltet hat, weil er bei seinem Stiefel geblieben ist. Der hat einfach das gemacht, was er wollte. Die anderen Heiligen, die wir aus der Geschichte kennen – eben auch Franziskus von Assisi – haben das einfach gelebt, wozu sie sich entschieden haben, und haben dann Gefährten gefunden. Letztlich gründen sich Vereine, Parteien, Organisationen ja von Leuchtturmmenschen, die gesagt haben: Diese Idee ist gut, die möchte ich verwirklichen – und dann hatten sie plötzlich Menschen an ihrer Seite, die sie nicht im Regen stehen lassen haben. Dann sind sie gar nicht mehr so allein. Die Vergemeinschaftung des Guten zu betreiben scheint mir eine große Hilfe zu sein, wenn man in diesem Gefühl versinkt: „Ja, bin ich denn eigentlich nur noch der einzige Prophet in diesem Land?“ Nein, ist man bestimmt nicht. So toll bist du auch nicht, darf ich dir das mal so deutlich sagen? Es gibt noch andere tolle Leute.
Und das Zweite ist: Wie bleibe ich auf Kurs mit meiner Entscheidung für ein gutes Leben und dafür, die Welt zu verbessern? Da sagt jetzt der fromme Kapuziner und Priester: Das wird wohl nur durch Gebet gehen. Wenn du beim Gebet noch nicht angekommen bist, dann sind es letztlich Zonen des Schweigens und Zonen des Denkens, in denen du selber deinen eigenen Quellen nachgehst und dich daran freust, dass du so weltbezogen bist, dass du der Welt Gutes willst. Und wenn es denn auch alleine ist.
Die Einsamkeit gehört mit zu dem Guten. Es gibt keine Heiligen, die nicht einsam gewesen wären, und darum ist deine Entscheidung am Ende auch eine einsame Entscheidung, die Welt verbessern zu wollen, und du darfst dich nicht davon abhängig machen, ob du Gefährten findest. Ich bin sicher, du findest welche, das habe ich schon gesagt, aber mach dich nicht davon abhängig nach dem Motto: „Erst wenn zwanzig Leute das mit mir machen, dann mache ich das auch“ oder: „Erst wenn das genügend Resonanz hat und ein Buch darüber geschrieben wird und ich auch noch ins Fernsehen komme, dann will ich das weitermachen.“ Das wäre ja schon wieder sehr, sehr selbstsüchtig. Darum brauchst du diese Seelenpflegemomente der Stille, der Ästhetik, der Kultur, in denen deine Seele befeuert wird aus der Beziehung heraus, die sie zu der Welt hat (das habe ich auch schon bei der Frage nach der Seelenverwandtschaft angesprochen), um das Gute und Richtige wählen zu wollen. Diese persönlichen Momente der Einkehr und der Meditation braucht jeder, der sich zu großen Taten der Veränderung aufmachen will.
Und ein Drittes vielleicht noch: Mach dir einen Plan. Und wenn du dir einen Plan machst für das eine, was du tun willst, dann musst du auch anderes lassen. Für mich ist oft das Schwierigste, die vielen guten Ideen, die ich habe, zu verabschieden, damit die eine Idee was wird. Dabei haben wir vielleicht alle so ein Gottes-Gen in uns: Ja, was wir alles machen könnten/wollten/sollten, ein konjunktivisches Träumen davon, was wir alles verbessern wollen, und dann haben wir davon geträumt und am Ende nichts gemacht. Wenn du alleine die Welt verbessern willst, brauchst du also auch einen Plan, was du anfangen willst, damit du nicht bei dir selber versinkst.
Frère Roger Schutz hat mal gesagt: „Lebe den Satz des Evangeliums, den du verstanden hast, das ist genug!“ Manche sagen ja, das ganze Evangelium und alles Gute zu tun – das kann ja auch wirklich keiner! Also mach doch das, was du verstanden hast. Und ich sage dir deutlich: Mach bitte nur das eine. Zum Beispiel: Du sagst dir: Ich möchte gerne etwas Gutes tun. Du hast entdeckt, dass in deinem Haus im siebten Stock ein älterer Herr ganz alleine lebt. Er trägt sein Essen durch die Gegend und geht einkaufen. Du machst dir zum Programm, die nächsten drei Monate den Mann anzusprechen, zum Beispiel bei der Kehrwoche, wenn du bei seiner Haustür bist, mal zu klingeln und zu fragen, wie es ihm geht. Vielleicht kommt ihr dann in einen näheren Kontakt, und dann ist es deine gute Weltverbesserungstat, wenn du zweimal im Monat mit ihm Schach spielst, ihm zuhörst, ihn am Abend anrufst und Gute Nacht sagst. So lebst du eine Aufmerksamkeit bei diesem einen Menschen.
Wenn jeder Mensch eine gute Tat, die er sich vornimmt, kontinuierlich tut, dann ist die ganze Welt verbessert. Und wenn die anderen es nicht tun, aber du tust es, dann hast du einen Funken Hoffnung gesät, der in sich gut ist und der nicht dadurch besser wird, weil er tausend andere Nachfolger hat. Nimm dich ruhig mal wichtig, gerade auch im Gutes-Tun. Die Welt wartet darauf, dass du endlich anfängst.
Was ist dieses gute Leben? Es besteht darin, dass ich versuche und mich entscheide, nicht mehr auf dem Standpunkt der Selbstsucht zu stehen.
Hat das Leben mehr zu bieten? Warum habe ich immer das Gefühl, dass mir etwas fehlt?
Wer liebt, der kann nie sagen: „Es ist genug.“ Zur Liebe gehört die Unersättlichkeit, gehört dieser Überschuss Hoffnung. Zur Liebe gehört, dass sie immer schon weiterdenkt. Und darum gehört es mit zum Leben, dass in meinem Leben immer eine Ahnung ist, es könnte noch mehr sein, besser sein und größer sein. Für mich als gläubiger Mensch setzt hier der tiefe Sinn meines Glaubens an, weil mein Glaube an Gott meine Ungeduld zähmt. Denn Gott ist die Fülle, nicht mein Kloster. Gott ist die Fülle, nicht meine Brüder hier. Gott ist die Fülle, nicht die Kirche ist die Fülle, nicht die Welt, nicht Deutschland … Kein Mensch muss mir Gott ersetzen. „Ich verzeihe dir, dass du mir mein Gott nicht sein kannst“, sage ich zum Leben. „Ich verzeihe dir, dass du mir mein Gott nicht sein kannst“, sage ich zu einem Menschen, den ich liebe. Und dadurch wird es eine realistische Beziehung. Diese gegenseitige Überforderung macht viele Menschen kaputt. Viele Ehen kranken daran, dass die Partner einander überfordern und sich vergötzen, dass Kinder von Eltern vergötzt werden, dass Jugendliche das Leben vergötzen und dass viel zu viel erwartet wird. Und dann kommt eine riesen Enttäuschung: Es ist ja doch alles sehr alltäglich, wenn man dann mal zusammengezogen ist. Es ist ja doch sehr alltäglich, wenn man dann endlich seinen Traumberuf erreicht hat. Es ist alles sehr alltäglich, wenn man dann endlich das Hobby auslebt, von dem man immer geträumt hat. Ja, da ist eben auch sehr viel Alltag dabei, und der könnte doch noch besser, schöner, anders sein. Ja, es könnte alles noch ein bisschen besser sein.
Diese Ahnung, dass alles noch ein bisschen besser sein könnte, wird dadurch gezähmt, dass man das Ganze auf Gott wirft und sagt: „Du, ich mach schon mal das Meine, ich mach das schon mal so, wie ich kann. Das könnte noch ein bisschen besser sein, aber ich lege es zunächst mal in deine Hand, so gut ich kann.“ Mir hat mal ein Arzt gesagt, früher seien die Menschen zu ihm gekommen und hätten gesagt: „Können Sie meinen Schmerz ein bisschen lindern?“ Heute kommen die Leute und sagen: „Sie müssen mich gesund machen!“ Dieser Erwartung, dass ich dieses Mehr immer sofort kriegen muss, gehört zu einer konsumistischen Welt, zu einer Welt, in der sozusagen Fülle konsumiert und