Wenn wir 1918 .... Walter Muller
der Volksbeauftragten
Die gestern an das interalliierte Hauptquartier abgesandte Note hat folgenden Wortlaut:
Wir bestreiten die Berechtigung der gestellten Forderungen. Wir wollen aber nicht, dass noch einmal Proletarier auf Proletarier schießen. Wir wollen unsere Leidensgenossen in der englischen, französischen, amerikanischen, belgischen und italienischen Armee nicht vor die Frage stellen, ob sie dem Befehl ihrer Offiziere gehorchend auf ihre deutschen Brüder schießen oder der Stimme ihres Gewissens folgend mit den Soldaten der deutschen Revolution sich verbrüdern sollen. Wir wollen mithelfen am Wiederaufbau der durch den sinnlosen Krieg zerstörten Gebiete und nicht neue Städte und Dörfer in Schutt und Asche verwandeln. Wir appellieren an das Gewissen der Menschheit und beugen uns unter Protest der Gewalt. Um neues Blutvergießen zu vermeiden, sind wir zu folgenden Zugeständnissen bereit:
Die deutschen Osttruppen werden angewiesen, sich an keinem Kampfe gegen Truppen der Alliierten zu beteiligen. Die deutschen Osttruppen werden der interalliierten Befehlsgewalt unterstellt. Diese Anordnung verliert aber sofort ihre Gültigkeit, wenn den deutschen Truppen zugemutet wird, sich an der Bekämpfung der Revolution zu beteiligen.
Die zur Ablieferung bestimmten Schiffe der deutschen Flotte werden in drei Tagen die Anker lichten, vorausgesetzt, dass die Alliierten den Waffenstillstand nicht brechen.
Der Rat der Volksbeauftragten
Vorwärts - 20. November 1918
Genossen! Wahrt revolutionäre Disziplin!
In den letzten Tagen mehren sich die Klagen über Disziplinbrüche in den Ersatztruppenteilen. Es ist verständlich, wenn nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung mancher sich nicht gleich völlig der neuen Ordnung einfügen kann. Viele Kameraden, die vier Jahre und noch länger in der Zwangsjacke des Militarismus gesteckt haben, lehnen jetzt überhaupt jeden Zwang ab. Sie können noch nicht unterscheiden zwischen dem Kadavergehorsam in der kaiserlichen Armee und der freiwilligen revolutionären Selbstzucht, die jeder Soldat der roten Armee aufbringen muss, wenn sie ihren Kampf siegreich zu Ende führen will. Glaubt nicht, dass der Kampf schon zu Ende ist! Glaubt nicht, dass die Feinde der Arbeiterschaft, die Feinde der jungen sozialistischen Räterepublik, das Spiel bereits verloren gegeben haben. Wenn sie auch jetzt ruhig sind: sie warten nur auf einen günstigen Augenblick. Wehe uns, wenn es ihnen gelingt, die Macht zurückzuerobern! Wollt ihr, dass die Revolution in einem Meer von Blut und Tränen erstickt wird? Was werdet ihr einmal euren Kindern antworten, wenn durch eure Schuld die Revolution niedergeschlagen worden ist und eure Kinder, die weiter unter dem Joch des Kapitalismus seufzen müssen, euch fragen, weshalb ihr damals in den entscheidenden Stunden nicht eure Pflicht getan habt? Was werdet ihr ihnen entgegnen, wenn sie euch sagen werden: „Ach so, ihr Feiglinge, ihr konntet auf Befehl des Kaisers vier Jahre lang auf eure Klassengenossen jenseits der Grenze schießen. Ihr konntet kämpfen, hungern und frieren, konntet grausam sein und morden, gegen euer eigenes Interesse, solange euch der Stiefel des Kapitalismus im Nacken saß. Aber ihr konntet nicht die Selbstzucht und nicht den Mut aufbringen, um den revolutionären Kampf mit der nötigen Energie fortzusetzen. Ihr waret nur mutig und gehorsam, solange es um die Interessen eurer Klassengegner ging. Aber ihr wurdet feige und bockbeinig in dem Augenblick, als ihr für euch selbst, für eure Zukunft und für uns, eure Nachkommen, kämpfen solltet. Weil ihr den Zwang für die gute Sache verachtet habt, müssen wir jetzt unser Leben lang die Zwangsjacke des Kapitalismus tragen. Weil ihr müde wart vom kapitalistischen Krieg und kein Gewehr mehr in die Hand nehmen wolltet, müssen wir jetzt unsere Lungen von Gas zerfressen lassen und millionenweise krepieren. Schöne Väter seid ihr, schöne Helden, schöne Sozialisten! Schämt euch!!!"
Wollt ihr, Kameraden und Genossen, einmal so erbärmlich vor euren Kindern dastehen?
Nein Brüder, das wollt ihr nicht, das könnt ihr nicht wollen. Deshalb heißt das Gebot der Stunde: „Revolutionäre Selbstzucht".
Vorwärts - 21. November 1918
Friede, Freiheit, Brot - und die Scheidemänner
In mehreren Großstädten tauchten in den letzten Tagen Flugblätter einer illegalen Neugründung auf. Diese Flugblätter waren gezeichnet: „Alte sozialdemokratische Partei. Der Vorsitzende: Philipp Scheidemann." Exzellenz Scheidemann belieben darin, sich in den Mantel der Nächstenliebe zu hüllen. „Wo ist der Friede," fragt er, „wenn ihr durch Fortsetzung eurer utopischen Politik den Einmarsch der Ententetruppen provoziert? Wo ist die Freiheit, wenn ihr die Presse knebelt? Wo bleibt das Brot, wenn ihr durch überstürzte Sozialisierungsmaßnahmen die Privatinitiative lähmt und die Produktion drosselt, wenn ihr der Entente keine Garantien gebt, die sie zur Aufhebung der Blockade bewegen?"
Sieh mal einer an, wie menschenfreundlich Exzellenz plötzlich geworden sind. Aber Sie sollen nicht glauben, dass wir auf Ihr Geschwätz hereinfallen. Die Massen wollten schon lange den Frieden, als Sie noch immer Kriegskredite bewilligten. Warum haben Sie damals nicht Ihre Menschenfreundlichkeit entdeckt? Die Massen schrieen auch damals nach Brot, als Sie mit Ihren Komplizen im Großen Hauptquartier an überladenen Tafeln saßen. Sie wagen es, die Opfer zu bejammern, die noch fallen werden, aber Sie hätten bedenkenlos noch weitere Millionen Menschenleben geopfert, Sie hätten das Volk noch jahrelang hungern lassen, wenn die deutschen Imperialisten den Krieg fortzusetzen vermocht hätten. Dem „Levee en masse" des bankrotten Kaiserreichs hätten Sie begeistert zugestimmt, — die proletarische Massenerhebung zur Verteidigung der internationalen sozialistischen Revolution lehnen Sie entrüstet ab. Ersparen Sie sich jede weitere Mühe, Exzellenz! Ihre Krokodilstränen rühren uns nicht. Folgen Sie Ihrem Freunde Ebert nach Holland!
Wilhelm II. hat sicher noch eine Lakaienstelle für Sie frei. Im roten Deutschland aber sind Sie nicht am Platze. Oder wurden die Flugblätter vielleicht herübergeschmuggelt, sitzen Sie etwa schon drüben? — es wäre Ihnen zu wünschen, denn das Revolutionstribunal macht kurzen Prozess mit Ihresgleichen. Verlassen Sie sich darauf und sagen Sie es Ihren Freunden weiter. Machen Sie sich keine Hoffnung. Die Reformisten haben ein für allemal ausgespielt.
Vorwärts - 22. November 1918
Im Osten wird aufgeräumt - Ganz Südfinnland in Händen der Roten Armee.
Die aus der Front gezogenen deutschen Truppen werden in Wasa, Tammerfors, Helsingfors und Wiborg stationiert. In Warschau haben Weißgardisten am 16. November einen Aufstandsversuch unternommen, an dem sich auch deutsche Offiziere beteiligten. Nach schweren Kämpfen gelang es der roten Arbeiterwehr, die aus deutschen Militärarsenalen mit Waffen versehen worden ist, den Feind aus der Stadt zu verdrängen. Die Weißen haben Verstärkungen aus den Landbezirken erhalten und ziehen sich kämpfend in Richtung Brest-Litowsk zurück. Seite an Seite mit den polnischen Rotgardisten, unter denen sich die Metallarbeiter besonders bewährten, kämpften deutsche Bataillone und das erste rote russische Regiment, das aus Kriegsgefangenen des Lagers Neuhammer formiert wurde und sich jetzt den Weg in die Heimat erkämpft. Die deutschen Truppen sind gestern auf Grund der Vereinbarungen mit dem Interalliierten Hauptquartier aus dem Kampf gezogen worden. Sie wurden abgelöst von einer neugebildeten Formation der Roten Garde und von dem zweiten und dritten russischen Kriegsgefangenenregiment, das erst gestern morgen in Warschau ausgeladen wurde. In Brest-Litowsk ist der weiße Aufstand durch den Verrat deutscher Offiziere geglückt. Der Versuch, die deutschen Soldaten zur Teilnahme am Kampf auf Seiten der Weißen zu bewegen, gelang nur in sehr geringem Umfange. Der größte Teil der deutschen Truppen schlug sich nach Osten durch, wo von Pinsk her die russische rote Armee anrückt. Die Telegraphenstation wurde noch einige Stunden von roten Truppen gegen den Ansturm der Weißgardisten gehalten. Wir bringen nachstehend ein Dokument dieses heldenhaften Verteidigungskampfes:
Das letzte Telegramm aus Brest-Litowsk
„aufstand geglückt, weil Wachsamkeit der deutschen truppen nachließ. schuld ist letzter befehl, der einmischung in innere Verhältnisse verbot. mehrzahl der deutschen offiziere hat sich an Weisung nicht gehalten, sondern sich aktiv am aufstand beteiligt und alle treugebliebenen Offiziere und mannschaften erschossen oder totgeprügelt. nur drei offiziere konnten sich mit roten mannschaften nach osten durchschlagen. soldatenrat will aktiv am kampf um wiedereroberung von brest-litowsk teilnehmen, falls festung nicht vor anrückender roter armee kapituliert. Weißgardisten greifen unser telegraphenamt an, zum drittenmal...