Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
und Performativität
Bevor wir uns den pädagogischen und fachdidaktischen Diskursen zuwenden, wollen wir zuvor noch einen Blick zurück auf den Einstieg in dieses Kapitel und die dortige Systematisierung der Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform werfen. Abbildung 1.3 hatte den Begriff der Performativität zunächst als blinden Fleck ausgewiesen. Nach den Ausführungen in den Abschnitten 1.2 und 1.3, die deutlich werden ließen, wie unterschiedlich der Begriff in der sprachwissenschaftlichen (nach Austin und Searle) und in der theaterwissenschaftlichen (nach Fischer-Lichte) Fachdisziplin definiert wird, schlagen wir nun für den Umgang mit dem blinden Fleck eine Zweiteilung vor, um beide Perspektiven zu berücksichtigen.
Abbildung 1.10 zeigt eine mögliche Systematisierung, die nicht die gesamte Komplexität der Bedeutungsvarianten einfängt, dafür aber die aus den beiden Disziplinen erwachsene Unterschiedlichkeit zusammenfassend in den Blick rückt:
Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform und Bedeutungsvarianten in der Kunst- und Theatertheorie und in der Sprachwissenschaft
Der Bedeutungskern des zielgerichteten Tunszielgerichtetes Tun (= Handeln) bildet die begriffliche Grundlage für beide fachspezifischen Verständnisse von Performativität, aber das Attribut performativ erhält in der Kunst-/Theatertheorie einen anderen Bezugspunkt als in der Sprachwissenschaft (Kunst vs. sprachliche Äußerung) und wird als ‚vorführend‘ (im Sinne von ‚aufführend‘) oder als ‚ausführend‘ interpretiert. Zudem wird performativ auch verstanden und gebraucht als „Performativität betreffend“, wobei mit Performativität in den beiden Disziplinen jeweils unterschiedliche Konzepte assoziiert werden (in Abb. 1.10 durch die dünnen gestrichelten Pfeile ausgedrückt).
Der nächste Abschnitt führt uns vor diesem Hintergrund final zur didaktischen Perspektive auf Performativität, bei der dem Attribut performativ ein weiterer, dritter Bezugspunkt (Lehr-/Lern-Prozesse) zuteilwird. Zugleich integriert die didaktische Perspektive beide Bedeutungsvarianten ‚vorführendvorführend‘ und ‚ausführendausführend‘ und übernimmt aus dem kunst-/theatertheoretischen Ansatz das ganzheitliche Verständnis des Handlungsbegriffs.
1.5 Performativität in PädagogikPädagogik, DeutschdidaktikDeutschdidaktik und theaterpädagogisch orientierter Fremdsprachendidaktiktheaterpädagogisch orientierte Fremdsprachendidaktik
Dass sich pädagogische und fachdidaktische – darunter deutschdidaktische und fremdsprachendidaktische – Diskurse für den Begriff der Performativität öffnen, liegt dann nahe, wenn wir auch didaktische Prozesse der Vermittlung und Aneignung grundlegend als „performative, kulturell-soziale Handlungsprozesse begreifen“ (Zirfas 2017: 18).
Das bedeutet, als Ankerpunkt für die Attribuierung von performativ rücken in diesen Disziplinen Lehr- und Lern-Prozesse und die darauf gerichteten Didaktiken in den Blick. Performativität und damit verbundene Aspekte wie Aufführung, Inszenierung, Körperlichkeit werden als didaktische Ressource für Lehren und Lernen erkannt und analysiert.
Performative Lehr-Lern-Prozesseperformative Lehr-Lern-Prozesse
Didaktik ist die Wissenschaft des Lehrens und Lernens. Man kann darunter aber auch die Kunst des Lehrens und Lernens verstehen. Fachdidaktiken, wie z. B. die Deutschdidaktik oder Sprachdidaktik, richten ihr Forschungsinteresse auf ein bestimmtes Fach und die damit verbundenen Lehr-Lern-Gegenstände (z. B. die deutsche Sprache; Schreiben; Lesen; Sprechen und Zuhören; Umgang mit Literatur und Medien) und beforschen deren Erwerb und Vermittlung im schulischen Unterricht oder auch in anderen Kontexten.
Worin besteht in diesem Zusammenhang der Unterschied zwischen einem didaktischen Konzept und einer Methode?
Eine klare Abgrenzung ist schwer, da Konzept und Methode in der Regel ineinandergreifen und oft auch synonym (= gleichbedeutend) verwendet werden.
Im Prinzip richtet sich das didaktische Konzept auf das Was einer Lehr-Lern-SituationLehr-Lern-Situation, eines Unterrichts: Das didaktische Konzept gibt an, welche Lerninhalte im Fokus stehen und was die Lernziele sind. Im Schreibunterricht könnte z. B. ein didaktisches Konzept zum Einsatz kommen, das auf das motorische Schreiben fokussiert und hier im Besonderen den Lernenden das Ziel setzt, eine Hand-/Arm- und Körperhaltung zu entwickeln, die ein flüssiges Schreiben bestmöglich unterstützt.
Die Methode richtet sich komplementierend auf das Wie des Erwerbs und die Vermittlung in der Lehr-Lern-Situation: Die Methode gibt an, wie Lerninhalte verhandelt und Lernziele angesteuert werden. Im Beispiel des Unterrichts zum motorischen Schreiben könnte z. B. eine Methode zum Einsatz kommen, bei der eine bestimmte Handhaltung körperlich vorgemacht und mit spezifischen Bewegungsübungen praktiziert wird, oder eine Methode, bei der eine angestrebte Handhaltung nur verbal (mit Worten) erklärt wird.
Sondiert man die verschiedenen Ansätze zur Performativität in Pädagogik und Didaktik, wird deutlich, dass sich die Theoriebildung der letzten zwei Jahrzehnte komplex entfaltet hat und dass sie bis heute nicht abgeschlossen ist. Interdisziplinär betrachtet, treffen die pädagogischen und didaktischen Disziplinen auf eine facettenreiche Diskussion zu den Begriffen Performativität, Performanz und Performance in der Sprachphilosophie, den Kultur-, Kunst- und Medienwissenschaften. Sie sehen sich vor die Aufgabe gestellt, die Begriffe vor diesen Hintergründen für die eigene Disziplin auszuloten und zu konturieren (für umfassende Diskussionen siehe u.a. Wulf & Zirfas 2007; Even & Schewe 2016; Hudelist & Krammer 2017; Even, Miladinović & Schmenk 2019).
In seiner Bestimmung einer performativen Deutschdidaktikperformative Deutschdidaktik diskutiert z. B. Krammer (2017), in welcher Weise sich in den Arbeitsbereichen des Deutschunterrichts kulturelle Praktiken des Aus- und Aufführens finden lassen – wie relevant etwa SprechakteSprechakt und körperliche Handlungen für sprachliche Lehr- und Lernprozesse sind und welche Bedeutung das Aufführen für die unterrichtliche Verhandlung von Literatur hat (ebd.: 30). Nach Krammer erforscht eine performative Deutschdidaktik u.a., „inwiefern [bei sprachlichen und literarischen Lehr- und Lern-Prozessen] Aspekte wie Körperlichkeit, Räumlichkeit, Zeitlichkeit oder Lautlichkeit berücksichtigt werden“ (ebd.: 38). Schlägt man die Brücke von den Kunst- und Theaterwissenschaften zur Deutschdidaktik, liegt es nahe, generell performative Prozesse künstlerischen Handelns auch hinsichtlich ihrer didaktisch-methodischen Gestaltungsmöglichkeiten für die Vermittlung und Unterstützung sprachlichen Lernens zu analysieren und nutzbar zu machen (vgl. ebd.).
Solch eine Perspektive wird vor allem dann wünschenswert, wenn man Sprachtheorien voraussetzt, die Sprache – ausgehend vom Sprachgebrauch – als ein zugleich kognitives und sinnliches Gebilde erfassen (vgl. Zepter 2013). Involvieren Sprachproduktion und Sprachrezeption (Sprechen, Zuhören, Lesen, Schreiben) körperlich-sinnliche Dimensionen (Sinneswahrnehmung, Emotionen, Bewegung), impliziert dies, dass auch Lernprozesse in diesen Bereichen von einem vermittelnden bzw. angeleiteten Einbezug der körperlich-sinnlichen Dimensionen profitieren. Im folgenden Kapitel gehen wir darauf noch genauer ein und stellen eine theoretische Grundlage vor.
Im Kontext der Arbeiten von Manfred Schewe und Susanne Even (vgl. u.a. Schewe 1993; Even 2011; Even & Schewe 2016; Even, Miladinović & Schmenk 2019) hat sich in der Fremdsprachendidaktik ein Diskurs zu performativen Lehr- und Lernkonzepten entwickelt, der einen expliziten Schwerpunkt auf die Bedeutung von Kunst und Theatralität legt. Exemplarisch greifen wir einen Beitrag von Dragan Miladinović auf, der systematisierend acht Prinzipien für einen performativen Fremdsprachenunterricht zusammenführt. Bei deren Anwendung kommen „sowohl spracherwerbsorientierte als auch ästhetisch-künstlerische bzw. körper(sprach)liche Elemente zum Tragen“ (Miladinović 2019: 17). Die Idee eines