Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
denen man z. B. ein Flugzeug am Himmel gesehen, es bei einem Abflug oder einer Landung gehört hat oder in denen man selbst in einem Flugzeug geflogen ist.
In traditionellen kognitionspsychologischen Theorien wird unser Geist bzw. Gehirn als ein System mit verschiedenen, getrennt arbeitenden Modulen betrachtet. Hierbei hat jedes Modul eine spezifische Aufgabe. Nach diesen Theorien besitzen wir ein spezifisches Modul für Sprache, das unabhängig von Motorik und Wahrnehmung funktioniert.
Der Modularitätsgedanke, d. h. die Annahme von isolierbaren Subsystemen mit bereichsspezifischen Operationen, hat sich insbesondere durch die Schriften von Jerrold Katz und Jerry Fodor (u.a. Katz & Fodor 1963; Fodor 1983) in der Sprachwissenschaft (vor allem in der Generativen Grammatiktheorie nach Noam Chomsky; vgl. Kap. 1.2) etabliert. Unter dem Einfluss ihrer Arbeiten betrachtete man Sprache als von anderen kognitiven Systemen abzugrenzendes Modul, welches in sich selbst wiederum in einzelne Subsysteme untergliedert ist. Die moderne Kognitionspsychologie distanziert sich von diesen Annahmen.
Es sind vor allem vier Aspekte der sprachtheoretischen Modularitätsannahme, die von kognitions-psychologischer Seite angezweifelt werden: (i) Das konzeptuelle System ist von anderen kognitiven Systemen unabhängig und arbeitet nach modulspezifischen Prinzipien. (ii) Bedeutungsrepräsentationen sind amodal (abstrakt) und nicht modalitätsspezifisch (z. B. visuell, auditiv, taktil, olfaktorisch). (iii) Bedeutungsrepräsentationen sind dekontextualisiert – sozusagen enzyklopädische Einträge, welche die typischen Merkmale erfassen. (iv) Bedeutungsrepräsentationen sind stabil und werden in nahezu gleicher Ausprägung personen- und situationsübergreifend abgerufen. (Bryant 2012a: 76, nach Barsalou 2009: 237)
Katz & Fodor (1963) gingen z. B. davon aus, dass amodale kognitive Repräsentationen von Begriffen mit abstrakten Merkmalslisten vergleichbar sind; Listen die aktiviert werden, wenn der Begriff kognitiv verarbeitet wird (vgl. Katz & Fodor 1963). (Kognitiv abgespeichert wäre dann bei Flugzeug z. B. eine Liste der Art ‚Maschine, motorbetrieben, zwei Flügel, flugfähig …‘ o. Ä.).
In den letzten ca. 20 Jahren haben sich in den Kognitionswissenschaften im Kontext der Embodied Cognition verschiedene Schulen bzw. Strömungen herausgebildet, die (bei aller Divergenz) eines verbindet: die Infragestellung amodaler Bedeutungsrepräsentationen und die Annahme einer multimodalen Sprachverarbeitung. Danach läuft die Sprachverarbeitung in komplexer Verzahnung mit anderen kognitiven Domänen ab, welche u.a. die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen, motorischen und sozial-interaktiven Handlungen oder auch von Emotionen betreffen.
In diesem Theorienspektrum ist auch der Ansatz der ErfahrungsspurenErfahrungsspuren (Zwaan & Madden 2005) zu verorten, demzufolge Erfahrungen auf multimodale Weise gespeichert und später als sensomotorische Repräsentationen wieder abgerufen werden.
Die Kognitionstheorie der Embodied Cognition schlägt einen Weg ein, der unseren körperlichen Erfahrungen eine ganz zentrale Bedeutung zumisst.
Kernidee des Ansatzes der Erfahrungsspuren nach Zwaan & Madden (2015) ist die Annahme, dass unsere Erfahrungen – bzw. genauer das, was wir in einer bestimmten Situation mit unseren verschiedenen Sinnen wahrnehmen, was wir fühlen, unsere Bewegungsabläufe, wenn wir motorische Handlungen vollziehen – dass all dies kognitiv auf multimodale Weise gespeichert wird. Derart entstehen auf kognitiver Ebene (multimodale) Repräsentationen der Situationselemente, die wir später wieder abrufen können und die als ‚Erfahrungsspuren‘ auch direkt im Rahmen der Sprachverarbeitung aktiviert werden. Bryant et al. (2019: 33) veranschaulichen das Prinzip mittels eines Beispiels aus dem Spracherwerb:
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Stellen Sie sich eine Situation vor, in der ein Kind mit seinen Eltern spazieren geht. Das Kind sieht ein fliegendes Objekt am Himmel, das ein brummendes Geräusch macht, und zeigt darauf. Die Eltern benennen daraufhin das Objekt „Das ist ein Flugzeug …“. Sämtliche Informationen, die im Kontext des Erscheinens des Objektes vom Kind wahrgenommen werden, werden verknüpft und als Erfahrungsspur abgespeichert. Wird nun das Kind in einer späteren Situation erneut mit dem Wort Flugzeug konfrontiert, kommt es zur Reaktivierung der Erfahrungsspur, in der das Aussehen und das Geräusch eines Flugzeuges sowie dessen typische Lokalisierung im Raum (in diesem Fall oben am Himmel) verankert sind. |
Abb. 2.5:
Beispiel für die Herausbildung von Erfahrungsspuren und ihrer Verknüpfung mit einem sprachlichen Ausdruck
Der Begriff Flugzeug kann sich auf dieser Basis im Zuge von Erfahrungen entwickeln – Erfahrungen, die ein Individuum in Situationen macht, in denen das, wofür der Begriff steht bzw. was er bedeutet, erlebt und thematisiert wird. In diesem Fall also in Situationen, in denen ein oder mehrere reale Flugzeuge auftreten.
Kognitive Begriffsrepräsentationen und sinnliche Wahrnehmung
Passend dazu argumentiert u.a. Barsalou (1999, 2009) dafür, dass Begriffe auf kognitiver Ebene ‚perzeptuelle (= wahrnehmungsbezogene) Repräsentationenperzeptuelle (= wahrnehmungsbezogene) Repräsentationen‘ darstellen; er nennt sie auch ‚SimulatorenSimulatoren‘. Jeder Simulator beruht auf einer Sammlung von Informationen aus potenziell unterschiedlichen Modalitäten. Gesammelt werden diese Informationen im Rahmen originärer Wahrnehmungen und Handlungen. Die Wahrnehmungen können die klassischen Sinne (visuell, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch, taktil) betreffen, aber ebenso die Propriozeption, also die Wahrnehmung des eigenen Körpers, dessen Haltung, Stellung im Raum und dessen Bewegungen im Rahmen von Handlungen.
Das bedeutet, dass sich ein Simulator (ein Begriff) auf kognitiver Ebene sukzessive auf der Basis zahlreicher Erfahrungen entwickelt und verändert. Jede Erfahrung ermöglicht im Prinzip bei selektiver Aufmerksamkeit auf spezielle Teilaspekte die analytische Extraktion dieser Teilinformationen. Im LangzeitgedächtnisLangzeitgedächtnis werden diese Teilinformationen zu einem multimodalen Symbolsystem, einem Simulator, geordnet und mit anderen Simulatoren innerhalb eines mit der Zeit stetig wachsenden Begriffssystems vernetzt.
Barsalou gibt das Beispiel Fahrrad, dessen Simulator sich auf alle Fahrrad-Erfahrungen gründet, die eine Person gemacht hat; genauer, auf den Teilinformationen, die in den betreffenden Situationen extrahiert wurden. Bei Fahrrad kann es sich z. B. um Informationen handeln, wie ein Fahrrad aus unterschiedlichen Perspektiven aussieht, wie man sich auf/mit ihm bewegt etc. (Barsalou 1999: 586).
Beispiel für eine kognitive Repräsentation des Begriffs Fahrrad
Je nachdem, welche Modalitäten besonders relevant sind, entwickeln sich unterschiedlich differenzierte multimodale Begriffsprofile (Wilson-Mendenhall et al. 2011: 1107). So wird beispielsweise für das Konzept eines Musikinstruments Audition eine größere Rolle spielen als etwa für die kognitive Repräsentation einer Frucht. Für Letztere mögen Geschmacks- und Geruchseindrücke im Vordergrund stehen; jedoch können z. B. bei einem ‚knackigen Apfel’ auch Hörempfindungen von Bedeutung sein. Bei Begriffen von motorischen Handlungen wie z. B. tanzen sind ggf. Bewegungsabläufe zentral etc.
Auch abstrakte Begriffe können sich in diesem Rahmen auf der Basis von Erfahrungen und originären Wahrnehmungen entwickeln. Nach Wilson-Mendenhall et al. (2011) zeichnen sich abstrakte Begriffe im Besonderen dadurch aus, dass sie sich auf gesamte Situationen beziehen. Ein EmotionsbegriffEmotionsbegriff wie Angst wird dann z. B. mit den unterschiedlichen Situationen verknüpft, in denen eine Person Angst verspürt hat, und den Wahrnehmungen, die sie in der Situation realisiert hat, inklusive der Wahrnehmungen der eigenen Körperhaltung und der eigenen körperlichen Reaktionen (Starre,