Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
in ihrer wörtlichen Bedeutung direkt auf die mit der Emotion häufig verbundenen Körperhaltungen verweisen. Man vergleiche beispielsweise im Deutschen die Wörter traurig und froh/fröhlich:
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Begibt man sich auf die Suche nach der Herkunft der Wörter, so entdeckt man, dass das Adjektiv traurig vom Verb trauern abgeleitet ist und als solches verwandt mit gotisch driusan, das ‚fallen‘ bedeutet, sowie mit den altenglischen Verben dreosan (‚(nieder-)fallen‘) und drūsian (‚sinken; matt, kraftlos werden‘). Laut etymologischem Wörterbuch ist die eigentliche Bedeutung des Emotionsausdrucks ‚den Kopf sinken lassen‘ oder ‚die Augen niederschlagen‘, beides körperliche Gebärden, die typischerweise bei trauernden/traurigen Personen zu beobachten sind. Ähnlich, nur komplementär, verhält es sich beim Wort froh, das sich aus Adjektiven mit der Bedeutung ‚hurtig‘, ‚eilig‘ bzw. ‚lebhaft, schnell‘, ggf. auch ‚hüpfend‘ entwickelt hat – energetische Bewegungsformen, die oft mit einer fröhlichen Stimmung einhergehen.
Körper, MetaphernbildungMetaphernbildung, Sprache und ZeitSprache und Zeit
Ergänzend zu der Idee, dass sich abstrakte Begriffe auf gesamte Situationen bzw. Situationserfahrungen beziehen, gehen Lakoff & Johnson (1999) davon aus, dass bei der Entwicklung von abstrakten Begriffen Metaphernbildungen und die metaphorische Übertragung von körperlichen Erfahrungen auf einen anderen Bereich von Bedeutung sein können. Sie illustrieren dies am Beispiel des abstrakten Konzepts von Zeit: Anders als in physikalischen Theorien von der Zeit beruht unser kognitiver (psychischer) Zeitbegriff nach Lakoff & Johnson zu einem Großteil auf einer metaphorischen Version unseres Verständnisses von Bewegung im Raum. Viele Sprachen spiegeln diese metaphorischen Verstehensprozesse auch in festen Redewendungen, wobei die räumlichen Vorstellungen von Zeit und die metaphorischen Übertragungen nicht in allen Sprachen gleich sein müssen.
Lakoff & Johnson differenzieren eine Auswahl von einschlägigen Metaphern und ihren Niederschlag im Englischen. Eine Metapher betrifft die ‚Zeitorientierung’, bei der der räumliche Standpunkt der Beobachterin/des Sprechers als Gegenwart assoziiert, die Zukunft im Raum davor und die Vergangenheit im Raum dahinter ‚verortet’ wird. Den Hintergrund bildet die Vorstellung einer Zeitlinie, die auf eine ‚Vorne-hinten-AchseVorne-hinten-Achse‘ abgebildet wird, welche durch den eigenen Körper verläuft: Die Zukunft liegt vor dem Körper, die Vergangenheit dahinter (siehe auch Kap. 2.3). Im Englischen spiegeln diese metaphorische Übertragung u.a. Ausdrücke wie in (1–4) wider; ähnliche Wendungen finden sich auch im Deutschen (5, 6):
Zeitorientierung |
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Die Metapher von Zeit als etwas, das sich auf uns zu und an uns vorbei bewegt, manifestiert sich u.a. in folgenden englischen Wendungen – mit ähnlichen Entsprechungen im Deutschen:
Zeit in Bewegung | Die Zeit bewegt sich in einer Zeitpassage: The time will come when there are no typewriters. The time has long gone when you could mail a letter for three cents. The time for action has arrived. The deadline is approaching. Es wird die Zeit kommen, in der wir nicht mehr über das Virus diskutieren. Wir sind nun in einer Zeit angekommen, in der der Klimawandel unsere größte Herausforderung darstellt. Englische Beispiele nach Lakoff & Johnson (1999: 143) |
Insgesamt lässt sich festhalten, dass nach der Theorie der Embodied Cognition der Aufbau und der Gehalt von kognitiven Begriffsrepräsentationen auf unseren körperlichen Erfahrungen basieren und damit geprägt sind von unseren Sinneswahrnehmungen, von Wahrnehmungen der eigenen Bewegungen und/oder Emotionen. Zentral ist die Annahme, dass die kognitive Aktivierung der Begriffe im Kontext von Denkprozessen und von Sprachverarbeitung aufs Engste verknüpft ist mit den kognitiven Bereichen, die bei originären Sinneswahrnehmungen und körperlich vollzogenen Handlungen involviert sind (Barsalou 1999: 585) – der Unterschied ist ein qualitativer, weil im Falle der Begriffsaktivierung nur simuliert wird; aber Sprachverarbeitung wird nicht als isolierter, kategorisch verschiedener kognitiver Prozess erfasst.
Wesentlich für die Begriffsauffassung der Embodied Cognition ist im Übrigen das dynamische Prinzip. Wenn sich ein Begriff auf kognitiver Ebene sukzessive auf der Basis zahlreicher Erfahrungen entwickelt, dann verändert er sich in diesem Rahmen natürlich auch und ist als solcher keine statische Größe.
Körperliche Raumerfahrungkörperliche Raumerfahrung und Interpretation von ZeitInterpretation von Zeit
Ein Beispiel für diese Dynamik geben Boroditsky & Ramscar (2002), deren Studie illustriert, wie unsere Raumerfahrungen in alltäglichen Situationen (z. B. auf einer Zugfahrt oder in einer Warteschlange) auch kurzfristig unser Denken über Zeit – also unseren abstrakten Begriff von Zeit – variieren lassen. Der Einfluss unserer körperlichen Erfahrungen ist dabei eng verknüpft mit dem, was wir von diesen Erfahrungen (kognitiv) reflektieren (vgl. ebd.: 185).
Boroditsky & Ramscar gehen zunächst von der Differenzierung zweier verschiedener Zeitvorstellungen aus – beide übertragen (auf einer Vorne-hinten-Achse) eine körperliche Erfahrung von Raum auf Zeit. Bei der ersten, der ‚Ego-moving Perspective’Ego-moving Perspective, erlebt man sich selbst als vorwärts bewegend durch die Zeit, bei der zweiten, der ‚Time-moving PerspectiveTime-moving Perspective’, scheint man selbst als fixer Punkt im Raum, auf den sich die Zeit (quasi wie ein heranschnellender Zug) zubewegt.
‚Ego-moving Perspective‘ – ‚Time-moving Perspective‘
Wir können diese beiden Perspektiven mit folgendem im Englischen und im Deutschen mehrdeutigen Szenario voneinander abgrenzen. Angenommen, man spricht über ein Meeting, das ‚nächsten Mittwoch‘ stattfinden sollte, nun aber ‚zwei Tage nach vorne geschoben‘ wurde; im Englischen: „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ (Boroditsky & Ramscar 2002: 185).
An welchem Tag findet das Meeting dann statt? Aus der ‚Ego-moving’-Perspektive, bei der man sich selbst in der Zeit nach vorne bewegt, wird man schließen, das Meeting sei auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, und dementsprechend das neu angesetzte Meeting auf Freitag datieren. Hingegen wird eine Person, die die ‚Time-moving’-Perspektive einnimmt und somit die Zeit als ihr entgegenkommend erlebt, das Meeting auf Montag vorverlegt interpretieren.
Das erstaunliche Ergebnis der Studie von Boroditsky & Ramscar ist, dass die ‚Ego-moving’- und die ‚Time-moving’-Perspektive keine fixe Vorstellung zu sein scheinen und dass Personen nicht entweder nur über das eine oder das andere Bedeutungskonzept verfügen. Stattdessen legt die Untersuchung nahe, dass eine Perspektive in Abhängigkeit vom jeweiligen Situationskontext gewählt und von den damit verbundenen Raumerfahrungen direkt