Blut für Gold. Billy Remie

Blut für Gold - Billy Remie


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wider. Leer, zerbrochen, vor Unglauben ohnmächtig. Ein Alptraum, von dem er hoffte, endlich aufwachen zu können. Doch er wachte nicht auf.

      Darcar ging zu ihm, setzte sich dicht neben ihn und zerriss das Buch. Mit der Lampe entzündete er die trockenen Seiten, sodass im Topf ein kleines Feuer entstand. Ein paar Stuhlbeine hielten die Flammen bei Laune. Er legte einen Arm um Veland, der noch immer wie betäubt aus dem Fenster blickte, zog ihn an sich heran und hielt ihn fest. Seine Nähe, seine Wärme und sein Duft trösteten Darcar ein wenig, sein Bruder schenkte ihm Kraft.

      »Es tut mir leid«, brachte er erstickt hervor, während er Mund und Nase bereits in Vs Haaren vergraben hatte. Trauer wollte ihn überkommen und vor Verzweiflung schreien lassen, aber er rang sie nieder. Wollte sich nicht so gehen lassen.

      Er wusste gar nicht, wer sich nun an wem festhielt. Veland an ihm, oder er sich an Veland.

      *~*~*

      Sie mussten eingeschlafen sein, denn Darcar schreckte nach wirren Träumen über Männer mit Schlingen wieder auf, die ihm durch verlassene Ruinen nachgejagt waren wie Hunde einem Kaninchen. Mit rasendem Herzen und kaltem Schweiß überzogen zuckte er zusammen und befand sich unmittelbar in der düsteren, kalten Gegenwart wieder. Er brauchte einen langen Moment, um seinen panischen Atem zu beruhigen und sich zu erinnern, wo er war. Sofort legte sich der Kummer schwer wie ein Mantel aus Blei über seinen Leib, als er sich besann. Er wäre gerne sofort wieder eingeschlafen, denn kein Alptraum war so furchteinflößend wie seine derzeitige Realität.

      Veland lehnte auf ihm, ein Arm um seine Mitte geschlungen, und sabberte ihm leicht auf den Mantel. Sie hatten im Sitzen geschlafen, waren erschöpft von den letzten Stunden und der Aufregung einfach eingeschlafen. Trotz Kälte, trotz Angst, trotz Einsamkeit und Hunger.

      Es war fast stockdunkel in der Bibliothek, das Öl der Laterne beinahe aufgebraucht und das Feuer im Topf war zu warmer, glühender Kohle geworden. Darcar wandte das Gesicht und blickte zum Fester, durch dessen angelaufene Scheibe die graue Dämmerung drang. Es war Abend geworden, der Nachthimmel erhob sich über der Stadt. Sie hatten einige Stunden verschlafen.

      Darcar lehnte sich für einen Moment zurück, starrte nach draußen und legte die Arme um seinen kleinen Bruder, der im Schlaf immer mal wieder zuckte und leise wimmerte. Vermutlich verarbeitete sein Verstand die Ereignisse des Tages in seinen Träumen. Gut für ihn, dann brauchte er das vielleicht nicht mehr im Wachzustand durchzumachen.

      So kurz nach dem Schlafen, fühlte Darcar sich körperlich immer gut. Nicht beschwingt, sondern schlicht ohne Beschwerden, kein Hunger, keine Kopfschmerzen, keine Kälte. Als bräuchte all das erst seine Zeit, um zu seinem Verstand vorzudringen. So war es schon immer gewesen. Zu seiner inneren Lähmung – er versuchte steif, nicht daran zu denken, dass sein Vater bald hingerichtet wurde – schlich sich jedoch nach und nach ein nagendes Hunger- und Durstgefühl. Sein Magen knurrte im Chor mit Velands, außerdem fühlte sich seine Kehle staubtrocken an, trotz der Feuchtigkeit, die durch jede Ritze sickerte.

      Darcar begrüßte es jedoch, denn so musste er sich wieder auf ihr Überleben konzentrieren, und der stille Moment war vorüber. Keine Zeit, um nachzudenken.

      Vorsichtig legte er Veland auf den Decken ab, sie waren durch das Feuer und seine Wärme trocken geworden. Nun ja, zumindest oberflächlich. Er wickelte seinen kleinen Bruder darin ein. Natürlich erwachte dieser davon und versuchte, die Augen zu öffnen. Doch seine Lider waren schwer und geschwollen, zeugten von vergossenen Tränen. Darcar fühlte sich schlecht, weil er Velands Weinen nicht mitbekommen hatte. War sein Schlaf wirklich so fest gewesen, so tief?

      »Darc?«, fragte er verwundert.

      Zärtlich strich Darcar ihm übers Haar. »Bleib hier, ich suche uns etwas zu trinken, in Ordnung?«

      Veland war sofort hellwach, die Augen weit aufgerissen und blutunterlaufen, dass die Rötungen sogar im Halbdunkeln zu erkennen waren. »Nein! Lass mich nicht allein!« Er krallte sich in Darcars Arm, seine Finger bohrten sich wie die Krallen einer Krähe in den Stoff des Mantels.

      »Aber es ist sicherer, wenn du hierbleibst!«, betonte Darcar und drückte ihn wieder in die Decken.

      »Nein!«, protestierte V mit erstickter Stimme. »Was, wenn du nicht wieder kommst?«

      Darcar ließ gerührt die Schultern hängen. »Ach V, ich komme immer wieder!«, versprach er und streichelte ihm die blasse Wange. »Hab keine Angst, ja? Hier, ich lasse dir Vics Messer da.« Er zog die Waffe aus seinem Hosenbund und drückte sie Veland in die Hand. »Ich gehe auch nicht weit weg«, beruhigte er ihn weiter, während V auf die Klinge in seiner Hand starrte, die viel zu groß und viel zu gefährlich in seinen zarten Fingern wirkte. Es tat Darcar so leid, dass er ihm das zumuten musste. Dass er ihn nicht einfach in ein Kinderzimmer stecken konnte, behütet und beschäftigt, bis alles wieder »normal« wäre. Doch er wusste gar nicht, was er tun sollte, um ihr Leben wieder zurückzubekommen. Alles, was er sich jetzt vornahm, war, Wasser zu finden. Mehr konnte er nicht tun. An mehr war nicht zu denken.

      Veland sah ihn plötzlich mit einem kritischen Blick an, wie er es sonst immer nur tat, wenn Darcar sich ihm gegenüber wieder als großer Bruder und Familienoberhaupt aufspielte. »Warum hast du nicht auf Vic gehört, Darc?«

      Die Frage überraschte und erschreckte ihn, ebenso der klare, ernste Tonfall und der erwachsene Blick seines Bruders, in dem Unverständnis stand.

      »Vic sagte, dort in diesem großen, bunten Zelt, da… gäbe es Essen und warme Betten«, erinnerte Veland sich. »Warum sind wir nicht dortgeblieben, Darc

      Wie er am Ende des Satzes jedes Mal Darcars Namen aussprach klang er beinahe wie ihr Vater, wenn er auf seine besonnene, aber strenge Art Darcar zurechtwies.

      Darcar ließ seinen Atem entweichen, dabei sackte er ein Stück in sich zusammen. »Nicht alles, was schön erscheint, ist auch innerlich schön«, sagte er dann und erhielt einen fragenden Blick. »V, ich erkläre es dir irgendwann. Aber versprich mir, dass du mir vertraust, ja? Die Manege ist ein böser Ort, ganz gleich, was sie verspricht. Sie ist böse und du darfst niemals dorthin! Niemals! Falls wir es je hier herausschaffen, wirst du diesen Ort meiden, ganz gleich, was passiert. Verstanden? Hörst du? Nicke wenigstens!«

      Veland, der auf die Waffe in seiner Hand starrte, nickte grimmig. Ein Zeichen, dass er wütend auf Darcar war, aber wusste, dass sich ein Streit nicht lohnte.

      »Bleib hier.« Darcar nahm Velands Kinn zwischen die Hände, hob sein Gesicht an und blickte ihm tief in die Augen. »Versprich es mir!«

      Veland seufzte genervt, nickte jedoch erneut.

      »Bin gleich zurück, ich gehe nicht weit«, versprach Darcar und gab Veland einen Kuss auf den Mund, der nicht erwidert wurde. »Pass gut auf, versteck dich, wenn du etwas hörst.«

      »Mach ich«, flüsterte Veland mit leerer, müder Stimme.

      Darcar stand auf und ging zum Türrahmen, in dem keine Tür mehr in den Angeln hing. Noch einmal drehte er sich um, wollte Veland aufmunternd zu zulächeln, doch sein Bruder blickte ihm gar nicht hinterher, seine Aufmerksamkeit wurde von etwas abgelenkt, das vor ihm im Regal steckte. Mit schief gelegtem Kopf krabbelte er über den Boden, zog eine Märchensammlung hervor und kroch zurück auf ihr Lager, um mit angestrengten Augen im letzten Schein des Tages die Buchstaben in den Seiten zu entziffern.

      Der Anblick seines lesenden Bruders stimmte Darcar zufrieden, er ging.

      Kapitel 4

      Draußen war es eisig und ein zischender Wind strömte durch die offenen Straßen. Wegen Veland traute Darcar sich nicht weit von der Bibliothek fort, doch er erkundete die Straßen drum herum. Vorsichtig schlich er über die Gehwege, ging langsam, geräuschlos, und ließ den Blick aufmerksam durch die feinen Schneeflocken in der Luft umherschweifen. Die Bibliothek lag in einem edleren Viertel, die Geschäfte in diesen Straßen waren groß und wirkten selbst verlassen noch gehoben. Läden, in denen sein Vater gewiss eingekauft hätte. Kaffeehäuser, Banken und Hotels reihten sich aneinander. Kleine und große Theater hatten trotz eingestürzter


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