Blut für Gold. Billy Remie
Blick zu, der mehr als deutlich zu verstehen gab, dass er sie ihn Ruhe lassen sollte, und bückte sich dann wieder in den Kanal, um Wasser zu schöpfen.
»Ich weiß, wer ihr seid.«
Darcar schnaubte. »Das bezweifle ich«, erwiderte er, jedoch so leise, dass er es nicht für möglich gehalten hatte, dass der andere ihn verstehen konnte.
»Ihr seid die Neuen. Das Frischfleisch. Die … von Söhne des Barons.«
Verwundert hob Darcar nun doch den Blick. Der Topf war immer noch voller Ruß und wollte beim besten Willen einfach nicht sauber werden. Darcar benötigte einen Filter, ein Baumwoll- oder Leinentuch, irgendetwas in der Art, um das Wasser zu reinigen, bevor er es abkochte. Doch die Worte des Fremden lenkten ihn vom Wasser ab, er starrte ihn verständnislos an. Man hatte sie wohl kaum angekündigt – wer sollte das schon getan haben? Und wozu?
»Woher willst du das wissen?«, gab er deshalb pampig zurück.
Der Fremde lächelte zynisch und legte dabei den Kopf schief, als wollte er sagen ›ich bitte dich!‹. Laut rief er jedoch: »Nur Frischfleisch würde bei Nacht herauskommen, statt sich zu verstecken.«
Darcar mochte es nicht, wenn jemand implizierte, dass er dumm gehandelt hatte – auch wenn diese Tatsache nicht von der Hand zu weißen war – er wurde nicht gern mit der Nase auf seine Fehler hingestoßen. »Du warst doch auch draußen!«, erinnert er sich.
Der fremde Junge grinste und entblößte eine Reihe gerader Zähne, die wie aus Marmor gemeißelt aussahen. Zu perfekt, zu gerade, wie von einem Bildhauer aus Stein gehauen, der Wert auf reine Symmetrie gelegt hatte. »Ich bin ja auch kein Frischfleisch.«
Gutes Argument, da musste Darcar kapitulieren. Er wandte sich wieder dem Topf und dem Wasser zu, kratzte noch etwas Ruß ab und beschloss dann, es zu filtern, sobald sie im Lager waren.
Da sagte der Fremde plötzlich ernst, warnend: »Ihr solltet aufpassen und euch gut verstecken. Die suchen euch!«
Erneut blickte Darcar voller Verwunderung auf und runzelte dann düster die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Dass du auf dich und den Kleinen da« - der andere Junge deutete mit dem Finger in Velands Richtung - »besonders aufpassen musst.«
Darcar schüttelte den Kopf, verwirrt, genervt. »Wer sucht nach uns?« Das ergab doch alles keinen Sinn, niemand hatte gewusst, dass sie hier landen würden. Und wer sollte schon etwas gegen sie haben? Sie hatten nichts verbrochen – und ihren Vater konnten sie nicht mehr retten.
»Na die eben.« Der Fremde ging nicht weiter darauf ein, doch er beäugte einen Moment den Topf in Darcars Händen, blickte von diesem in Darcars noch immer argwöhnendes Gesicht. Der andere schien innerlich mit etwas zu ringen, nagte an seiner Lippe und starrte flüchtig in die Ferne.
»Wollt ihr was zu trinken?«, fragte er dann, als er sich durchgerungen hatte, seine Hilfe anzubieten. »Und Essen?« Er wies auf die zwei toten Ratten, die neben seinen Füßen auf dem Floß lagen und das dunkle Holz vollbluteten. »Ist genug für alle da und mich belästigten sie für gewöhnlich nicht.«
Darcar zog es den Magen zusammen, er schluckte schwer. »Nein, danke.« Er tunkte den Topf ins eiskalte Wasser und erhob sich. »Wir brauchen keine Hilfe.«
Veland sah das anders, er rief leise tadelnd: »Aber Darc…«
»Wir brauchen keine Hilfe«, betonte er, als er zu seinem Bruder auf die Straße trat. »Komm«, flüsterte er scharf, packte V am Arm und drehte ihn herum, schob ihn vor sich her.
Natürlich wusste er, dass sie Hilfe dringend nötig hatten, doch er befürchtete, dass sie hier niemandem trauen durften. Niemandem!
*~*~*
»Warum hast du das getan?«, fragte Veland verständnislos, als sie einige Straßen weiter um eine Kurve bogen, als hätte er erst in diesem Augenblick und durch die Entfernung zu dem Fremden den Mut gefasst, den Mund aufzumachen.
»Wir konnten ihm nicht vertrauen.« Darcar achtete akribisch darauf, dass kein Tropfen kostbares Wasser über den Rand des Topfes schwappte, während er ihn mit einem Arm an die Brust gepresst transportierte.
»Woher willst du das wissen?«, zischte Veland und riss sich aus seinem Griff. »Du hast es ja nicht einmal versucht!« Er blieb stehen, und Darcar sah sich gezwungen, ebenfalls stehen zu bleiben.
Seufzend drehte er sich zu seinem kleinen Bruder um, der voll Unverständnis und Verzweiflung zu ihm aufsah, Tränen glitzerten in seinen schönen, warmen Whiskyaugen. Dieser Blick machte Darcars Gewissen unheimlich schwer.
Seufzend ließ er die Schultern hängen und sah nachsichtig auf seinen Bruder hinab. »Es tut mir leid, V. Wirklich! Ich würde ja auch lieber Hilfe annehmen, glaub mir das! Aber ich kann und werde nicht riskieren, dass dir jemand wehtut!«
»Hmpf!« Veland verschränkte die Arme vor der Brust und sah trotzig zur Seite, weiße Atemwolken verhüllten sein Gesicht.
Er war süß, wenn er schmollte. Immer schon. Darcars Herz schmolz. Diese Wirkung hatte nur sein kleiner Bruder auf ihn, konnte ihn mit seinem niedlichen Schmollmund immer um den Finger wickeln. Doch heute musste er standhaft bleiben, es ging schließlich nicht nur um das letzte Karamellbonbon.
»V…« Er ging vor Veland in die Hocke, stellte behutsam den Topf ab und griff nach seinem Bruder, um ihn zu sich herum zu drehen. Sein Pullover war durch seine Körpertemperatur so wunderbar erwärmt, dass er sofort Darcars eiskalte Finger auftaute. »Sieh mich an, V…«
Doch Veland schürzte nur die Lippen und spielte, dass er Darcar nicht hörte.
Darcar seufzte erneut, traurig. »Bitte, sieh mich an.«
Langsam drehte er den Kopf zu Darcar herum, die Augen viel zu hart und viel zu anklagend für einen Neunjährigen.
»Es tut mir leid, in Ordnung? Wirklich!«, beteuerte er ihm. »Ich mache das doch nicht zum Spaß, V!«
»Ich hätte ihm vertraut! Mich hast du nicht gefragt!«
»Ja, weil…« …du klein und naiv bist… Doch Darcar biss sich auf die Zunge, bevor er diesen hässlichen Satz zu Ende brachte. Er stockte, atmete einmal tief durch. »Weil ich nun mal jetzt für dich verantwortlich bin, V!«, erklärte er dann und suchte in den großen, unschuldigen Augen seines Bruders nach Vergebung. Veland runzelte die Stirn, drohte tatsächlich, einzuknicken.
»Es tut mir leid, aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert, nur weil ich dem falschen Fremden vertraut habe!« Darcar hob eine Hand und streichelte mit dem Daumen über Velands kalte Wange. »Ich hab doch nur noch dich!«
Veland löste die Verschränkung seiner Arme, aber sein Blick wollte noch nicht auftauen. »Was ist mit Evi, Darc? Warum ist Evi nicht bei uns?«
»Das weißt du doch.« Darcar konnte nur flüstern, denn es schmerzte auch ihn, dass sie nicht zusammen waren, dass man sie getrennt hatte. Er vermisste den kleinen Fratz so sehr. »Evi hat es gut bei Magda! Sie… sie kümmert sich um ihn. Glaub mir, es ist das Beste für ihn!«
Veland begann plötzlich zu schniefen und zu beben, aber nicht vor Kälte. »Ich will auch zu Magda«, weinte er, und rieb mit einer winzigen Faust sein rechtes Auge, als wollte er die Tränen mit Gewalt zurück zwingen.
Darcar fuhr ein heißer Schmerz in die Brust. Er wollte etwas erwidern, doch die Angst und die Trauer seines Bruders machten ihn sprachlos, beinahe ohnmächtig vor Machtlosigkeit. Er zog V in seine Arme, hielt seinen Kopf fest. »Ich weiß«, flüsterte er heiser, da auch ihm die Kehle eng wurde, »ich auch, V, ich auch.«
»Ich will nach Hause«, weinte Veland, als endlich die Angst aus ihm herausbrach. »Ich will, dass alles wieder so ist wie früher! Ich will zu Evi, ich will zu Vater und Magda! Es ist kalt und nass und ich will in unser Haus, Darc! Ich will heim!«
»Ich weiß.« Darcar streichelte ihm den Nacken. »Es tut mir leid.« Mehr konnte er nicht sagen, es war überflüssig und wäre