Blut für Gold. Billy Remie
still, als das Urteil verkündet wurde. Darcar konnte die Worte nicht hören, dafür aber das zustimmende Gejubel der Menge, als der Vertreter des Schwarzen Rates zu Ende verkündet hatte.
Was dann geschah, vergaß Darcar nie wieder. Er konnte es gar nicht vergessen.
Sein Vater wurde wieder hinabgestoßen, mit dem Gesicht in den Dreck. Die Menge machte Platz für die herbeigeführten, starken Pferde. Darcar musste nicht viel erkennen, um zu wissen, dass die Tiere aus ihren eigenen Ställen stammten. Die schönsten und kräftigsten Kutschpferde. Sein Vater hatte diese Pferde geliebt, sie hegen und pflegen lassen, sie behandelt wie seine Kinder. Und jetzt…
Darcar taumelte zurück, aber da packten ihn die anderen wieder, stießen ihn so kräftig nach vorne, dass er auf seinen zittrigen Knien nichts entgegenwirken konnte und gegen das Geländer stieß. Es gab beunruhigend nach, quietschte. Doch Darcar nahm es gar nicht wahr.
»Nein!«, keuchte er, »bitte nicht!« Er sprach nicht mit dem Rattenkönig.
Dieser packte ihm ins Haar, riss daran. »Sieh genau hin, das ist eine meiner Lieblingshinrichtungsarten«, säuselte er ihm mit einer widerwärtig lüsternen Stimme zu und leckte ihm dann über das Ohr.
Darcar wehrte ihn mit einer Schulter ab, doch seine ganze Aufmerksamkeit lag auf dem Platz, wo sie seinen Vater jeglicher Würde beraubten, als sie ihn an die Pferde banden. Jedes seiner vier Gliedmaßen an einen anderen Gaul.
Der Rattenkönig drückte sich an ihn, rieb sich an Darcars Hüfte. »Macht es dich auch so an?« Eine Frage, die die Grausamkeit dort unten noch verstärken sollte. Er nahm Darcars Hand und legte sie in seinen Schritt. Darcar zog sie zurück, drehte sich zu ihm um und starrte ihn hasserfüllt an.
Der Rattenkönig lachte gehässig, strich sich selbst über die harte Beule, seine dunklen Augen glänzten so erregt, wie es unterhalb seiner Gürtellinie aussah.
Darcar wollte ihn über das Geländer stoßen, er erfasste bereits den Entschluss und spannte sich an, als ihn der markerschütternde Schrei seines Vaters herumfahren ließ.
Die Pferde wurden auseinandergetrieben. Die Menge jubelte, bewarf seinen Vater weiterhin mit Obst und allerlei. Doch die plötzlichen Schreie seines Vaters übertönten alles und ließen Darcars Blut in den Adern gefrieren. Er hatte seinen Vater nie unbeherrscht erlebt, nie vor Wut oder Angst außer sich. Er war ein besonnener, ruhiger Mann gewesen. Als Darcar ihn nun schreien hörte, wusste er intuitiv, welche Qualen ihm bereitet wurden.
»Nein!« Er schrie hinab, warf sich an das Geländer, sodass seine Begleiter tatsächlich besorgt zusammenzuckten. »Nein! Hört auf!«, brüllte er den Turm hinab. »Lasst ihn gehen! Lasst ihn sofort gehen! Hört auf, verdammt noch mal, hört auf!« Er brüllte weiter, immer weiter, beschwor und drohte denjenigen, die seinen Vater vierteilten. Es dauerte lange, viel zu lange, er schrie sich die Kehle wund und drohte, in den Abgrund zu stürzen. Der Rattenkönig umfing ihn von hinten mit einem Arm und zerrte ihn zurück, ein kerniges Lachen in der Kehle.
Darcar wehrte sich gegen ihn, wollte so schnell wie möglich hinab, seinem Vater helfen.
Er musste etwas tun. Er musste doch irgendetwas tun, konnte doch nicht einfach nur hilflos zusehen…
Doch genauso war es, er wurde festgehalten und eine Mauer trennte ihn vom Rest der Welt. Hätte er doch nur auf Vic gehört. Die Manege! Keine Mauern umgaben sie, er hätte von dort aus in die Stadt gelangen, irgendetwas unternehmen können. Irgendetwas…
Als die Schafrichter mit Äxten an seinen gefolterten, brüllenden Vater herantraten, schrie Darcar umso mehr. Sie halfen nach, hackten. Er musste nicht nah dran stehen, nicht das Knacken, das feuchte Schmatzen hören und das Blut in voller Pracht erleben, um einen Schock zu erleiden.
Mit einem verzweifelten Aufschreien sackte er zusammen, wusste, dass es vorbei war, zu spät. Die Endgültigkeit zerriss ihn fast und seine Sicht verschwamm.
Als seine Knie nachgaben, ließ der Rattenkönig ihn los. Er machte sich über Darcar lustig, äffte ihn mit seinen Kameraden nach. Sie waren auf ihre Kosten gekommen. Darcar nahm sie gar nicht mehr wahr, als die Schreie seines Vaters abrupt abbrachen, erfasste ihn eine Kälte, die ihn gefrieren ließ.
Er saß auf den Knien, alles um ihn herum trat in den Hintergrund, da war nur noch er, der Wind und die Kälte. Er wusste nicht, wie lange er so dort saß, wie gelähmt, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und immer wieder sah er vor sich, wie sein Vater ermordet wurde.
Es war Mord!
Darcar ballte die Hände zu Fäusten, seine gefrorenen Knöchel traten weiß hervor. Und als er so dort saß, wurde die Kälte, seine Ohnmacht nur von einem einzigen Gefühl vertrieben.
Unbändige Wut.
In diesem Moment schwor er sich hoch und heilig, dass die gesamte Stadt dafür büßen würde. Egal wie lange es dauern mochte, ganz gleich was er dafür geben müsste. Sie würden bezahlen. Alle. Für das, was sie seinem Vater angetan hatten. Für das, was sie ihm und Veland und Evi angetan hatten.
Er würde sie finden, alle. Bis hin zu seiner Stiefmutter, die nun in seinem Haus saß und mit ihrem kühlen Lächeln Tee trank, während gerade alles, was den van Bricks je gehört hatte, ihr zufiel.
Er würde seinen Vater rächen.
Kapitel 7
Als er diesen Entschluss fasste und seiner Wut Türen und Tore öffnete, schwand das Schwächegefühl aus seinen Beinen. Die Tränen versiegten, sein Schwur gab ihm Trost, und solange er nur daran dachte, fühlte er sich nicht mehr, als würde er haltlos fallen, nachdem man ihm den Boden unter den Füßen fortgerissen hatte.
»Steh auf!« Der Rattenkönig gab ihm einen Tritt, gleichzeitig griff er nach der Kordel, die seine zerfressenen Beinkleider oben hielt. »Los, helft ihm auf die Beine und zieht ihm die Hose aus!«
Grob packten die anderen ihn an den Armen und zerrten ihn zu sich hoch. Da überkam ihn eine brodelnde Wut und er stieß einen der Handlanger mit einem Knurren wütend die Schulter in den Magen. Sie hatten nicht damit gerechnet, hatten ihn für gebrochen gehalten. Darcar trieb ihn über das Gerüst, der Bursche stieß gegen das Geländer, das endgültig nachgab und nach unten segelte. Die verbleibenden Vier zogen erschrocken den Atem ein. Ihr Kamerad versuchte noch, nach Darcar zu greifen, der mehr Glück als Verstand hatte und gerade noch das Gewicht zurückverlagern konnte, ehe er mit in die Tiefe stürzte. Der Schrei erschall lange, länger als gedacht. Der Aufprall war gar nicht zu hören. Nicht dort oben. Irgendwann brach einfach das hilflose Gekreische ab.
Stille trat ein. Darcar atmete schwer, damit hatte er nicht gerechnet, das hatte er nicht einmal gewollt. Als er den Kopf wandte, starrten die anderen ihn verblüfft an. Doch dann trat Zorn in die Augen des Rattenkönigs. »Schmeißt ihn hinterher!«, zischte er.
Darcar warf sich herum und rannte hinein, das wackelige Gerüst hinab. Seine Schritte hallten laut poldern durch den runden Raum des Turmes. Unter ihm schwankten die Stufen stark, als seine Verfolger ihm nachhechteten, sodass er aus dem Gleichgewicht geriet und sich am Geländer festhalten musste.
Er wartete nicht, dass sie ihn einholten, kletterte über die Eisenstangen und sprang von Stahlträger zu Stahlträger, bis er einige Stufen tiefer wieder auf das Gerüst gelangte und mit einem guten Vorsprung weiter rennen konnte. Zwei der Handlanger hatten ihm nacheilen wollen, hingen nun hilflos in der Höhe, während der Rattenkönig und der Blonde mit der Wollmütze ihm auf den Stufen nacheilten.
»Ihr Idioten!«, schimpfte ihr Anführer. »Fangt ihn!«
Darcar stürmte aus dem Turm auf die verlassene Straße. Er rutschte in seiner Hast auf dem Frost aus, der sich schleimig über die Pflastersteine gelegt hatte, gehetzt blickte er über die Schulter, als die Schritte seiner Verfolger erklangen. Sie sahen sich um, fanden ihn auf der Straße.
»Hinterher!« Der Rattenkönig zeigte auf ihn, sie rannten los.
Darcar nahm die Beine in die Hand, er wollte sich gar nicht ausmalen, was sie mit ihm anstellen