Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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nicht, welch

       Mitleid für die Griechen sich in meiner Seele regt!« Patroklos gehorchte und lief zu den Schiffen. Er

       kam am Zelte Nestors an, als dieser eben aus dem Wagen stieg, seinem Diener Eurymedon die Rosse

       übergab und ins Zelt hineintrat, mit Machaon der erquickenden Mahlzeit zu genießen, die ihnen

       seine erbeutete Sklavin Hekamede vorsetzte. Als der Greis den Helden Patroklos an der Pforte

       gewahr ward, sprang er vom Sessel, ergriff ihn bei der Hand und wollte ihn freundlich zum Sitzen

       nötigen. Doch Patroklos sprach: »Es bedarf dessen nicht, ehrwürdiger Greis! Achill hat mich nur

       ausgesandt, zu schauen, welchen Verwundeten du zurückführest. Nun habe ich selbst in ihm den

       heilungskundigen Helden Machaon erkannt und eile, ihm dieses zu melden. Du kennst ja den

       heftigen Sinn meines Freundes, der auch Unschuldige selber leicht beschuldigt.« Aber Nestor

       antwortete ihm mit tiefer Gemütsbewegung: »Was kümmert sich doch das Herz des Achill so sehr

       um die Achiver, die bereits zum Tode wund sind? Alle Tapferen liegen bei den Schiffen umher:

       Diomedes ist pfeilwund; Odysseus und Agamemnon sind lanzenwund; und diesen unschätzbaren

       Mann entführte ich soeben, vom Geschoß des Bogens verwundet, aus der Feldschlacht. Aber Achill

       kennt kein Erbarmen! Will er vielleicht warten, bis unsre Schiffe am Gestad in Flammen lodern und

       wir Griechen einer um den andern der Reihe nach hinbluten? O wär ich noch kräftig wie in meiner

       Jugend und in meinen besten Mannsjahren, damals, wo ich als Sieger im Hause des Peleus einkehrte!

       Da sah ich auch deinen Vater Menötios und dich und den kleinen Achill. Diesen ermahnte der graue

       Held Peleus, stets der Erste zu sein und allen andern vorzustreben, dich aber dein Vater, des Peliden

       Lenker und Freund zu sein, weil er an Stärke zwar der Größere, am Alter aber hinter dir sei. Erzähle

       davon dem Achill; vielleicht rührt ihn auch jetzt deine Zurede.« So sprach der Alte und mischte

       liebliche Erinnerungen aus seiner eigenen Heldenjugend in die Rede, so daß dem Patroklos das Herz

       im Busen bewegt wurde.

       Als er auf der Rückkehr an den Schiffen des Odysseus vorübereilte, fand er hier den Eurypylos, der,

       vom Pfeil in den Schenkel verwundet, mühsam aus der Schlacht einhergehinkt kam. Es erbarmte den

       Sohn des Menötios, wie der wunde Held ihn so kläglich anrief, seiner mit den Künsten Chirons des

       Zentauren, die er gewiß durch Achill gelernt habe, zu pflegen, so daß Patroklos endlich den

       Verwundeten unter der Brust faßte, ins Zelt führte, dort ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem

       Messer den scharfen Pfeil aus dem Schenkel schnitt; dann spülte er das schwarze Blut sogleich mit

       lauem Wasser ab, zerrieb eine bittere Heilwurzel zwischen den Fingern und streute sie auf die

       Wunde, bis das Blut ins Stocken geriet. So pflegte der gute Patroklos des wunden Helden.

       Kampf um die Mauer

       Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um ihre Schiffe her breit aufgetürmt hatten, war

       ohne ein Festopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut worden. Deswegen sollte sie ihnen

       auch nicht zum Schutze dienen und nicht lange unerschüttert bestehen. Schon jetzt, wo Troja im

       zehnten Jahre seiner Belagerung schmachtete, beschlossen Poseidon und Apollo, den Bau dereinst zu

       vertilgen, die Bergströme auf sie hereinzuleiten und das Meer gegen sie zu empören. Doch sollte dies

       erst nach der Zerstörung Trojas ins Werk gesetzt werden.

       Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver

       drängten sich, bange vor Hektors Wut, bei den Schiffen eingehegt. Dieser rannte wie ein Löwe im

       Gewühl umher und muntere die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber wollte kein

       Rossegespann ihm wagen. Am äußersten Rande des Grabens angekommen, bäumten sich alle unter

       lautem Gewieher zurück; denn er war zu breit zum Sprunge und zu abschüssig von beiden Seiten zum

       Durchgang, dazu mit dicht gereihten spitzen Pfählen bepflanzt. Nur die Fußvölker versuchten daher

       den Übergang. Als dies Polydamas sah, ging er mit Hektor zu Rate und sprach: »Wir wären alle

       verloren, wenn wir es mit den Rossen wagen wollten, und kämen ruhmlos in der Tiefe des Grabens

       um. Lasset deswegen die Wagenlenker die Rosse hier am Graben hemmen, uns selbst aber in den

       ehernen Waffen eine Fußschar bilden, unter deiner Führung über den Graben setzen und den Wall

       durchbrechen.«

       Hektor billigte diesen Rat. Auf seinen Befehl sprangen alle Helden von den Wagen, mit Ausnahme der

       Lenker; sie scharten sich in fünf Ordnungen: die erste unter Hektor und Polydamas, die andere unter

       Paris, die dritte führten Helenos und Deïphobos, der vierten gebot Äneas; an der Spitze der

       Bundesgenossen schritten Sarpedon und Glaukos. Diese Fürsten alle aber hatten andere bewährte

       Helden zur Seite. Von den sämtlichen Streitern wollte nur Asios seinen Wagen nicht verlassen. Er

       wandte sich mit demselben zur Linken, wo die Achajer selbst beim Bau einen Durchgang für ihre

       eigenen Rosse und Streitwagen gelassen hatten. Hier sah er die Flügel des Tores offen; denn die

       Griechen harrten, ob nicht noch ein verspäteter Genosse käme, der, dem Treffen entflohen, Rettung

       im Lager suchte. So lenkte Asios die Rosse gerade auf den Durchgang los, und andere Trojaner

       folgten ihm zu Fuße mit lautem Geschrei nach. Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer

       aufgestellt, Polypötes, der Sohn des Peirithoos, und Leonteus. Diese standen am Tore, hohen

       Bergeichen gleich, die mit langen und breiten Wurzeln in den Boden eingesenkt in Sturm und

       Regenschauer unverrückt aushalten. Plötzlich stürzten diese beiden auf die hereinstürmenden

       Trojaner vor, und zugleich flog ein Schwall von Steinen von den festen Türmen der Mauer herab.

       Während Asios und die ihn umringenden verdrießlich den unvermuteten Kampf bestanden und viele

       erlagen, kämpften andere, zu Fuß über den Graben stürmend, um andere Tore des griechischen

       Lagers. Die Argiver waren jetzt auf die Beschirmung ihrer Schiffe beschränkt; und die Götter, soviel

       ihrer ihnen halfen, trauerten herzlich, vom Olymp herabschauend. Nur die zahlreichste und tapferste

       Schar der Trojaner, unter Hektor und Polydamas, verweilte noch unschlüssig am jenseitigen Rande

       des Grabens, den sie eben erstiegen; denn vor ihren Augen hatte sich ein bedenkliches Zeichen

       ereignet. Ein Adler streifte links über das Kriegsheer hin; er trug eine rote, zappelnde Schlange in den

       Klauen, die sich unter seinen Krallen wehrte und, den Kopf rückwärts drehend, den Vogel in den Hals

       stach; von Schmerzen gequält, ließ er sie fahren und flog davon; die Schlange aber fiel mitten im

       Haufen der Trojaner nieder, die sie mit Schrecken im Staube liegen sahen und in diesem Ereignis ein

       Zeichen des Zeus erkannten. »Laß


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