Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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Busenfreunde, dem Hektor, erschrocken zu, »es könnte uns ergehen wie dem Adler, der

       seinen Raub nicht heimbrachte.« Aber Hektor erwiderte finster: »Was kümmern mich die Vögel, ob

       sie rechts oder links daherfliegen; ich verlasse mich auf des Zeus Ratschluß! Ich kenne nur ein

       Wahrzeichen: es heißt Rettung des Vaterlandes! Warum zitterst denn du vor dem Kampfe? Sänken

       wir auch alle an den Schiffen darnieder, dir droht kein Todesschrecken, denn du hast kein Herz, in der

       Feldschlacht auszuhalten; doch wisse, wo du dich dem Kampf entziehest, so fällst du, von meiner

       eigenen Lanze durchbohrt!« So sprach Hektor und ging voran, und alle andern folgten ihm unter

       gräßlichem Geschrei. Zeus aber schickte einen ungeheuren Sturmwind vom Idagebirge herab, der

       den Staub zu den Schiffen hinüberwirbelte, daß den Griechen der Mut entsank, die Trojaner aber,

       dem Winke des Donnergottes und der eigenen Kraft vertrauend, die große Verschanzung der Danaer

       zu durchbrechen sich anschickten, indem sie die Zinnen der Türme herabrissen, an der Brustwehr

       rüttelten und die hervorragenden Pfeiler des Walles mit Hebeln umzuwühlen begannen.

       Aber die Danaer wichen nicht von der Stelle; wie ein Zaun standen sie mit ihren Schilden auf der

       Brustwehr und begrüßten die Mauerstürmer mit Steinen und Geschossen. Die beiden Ajax machten

       die Runde auf der Mauer und ermahnten das Streitvolk auf den Türmen, die Tapferen freundlich, die

       Nachlässigen mit strengen Drohworten. Inzwischen flogen die Steine hin und her wie Schneeflocken;

       doch hätte Hektor mit seinen Trojanern den mächtigen Riegel an der Wallpforte noch immer nicht

       durchbrochen, wenn nicht Zeus seinen Sohn Sarpedon, den Lykier mit dem goldgeränderten Schilde,

       wie einen heißhungrigen Berglöwen gegen die Feinde gereizt hätte, daß er schnell zu seinem

       Genossen Glaukos sprach: »Was ist es, Freund, daß man uns im Lykiervolke mit Ehrensitz und

       gefüllten Bechern beim Gastmahle wie die Götter ehrt, wenn wir in der brennenden Schlacht nicht

       auch uns im Vorkampfe zeigen? Auf, entweder wollen wir den eigenen Ruhm oder durch unsern Tod

       den Ruhm anderer verherrlichen!« Glaukos vernahm es nicht träge, und beide stürmten mit ihren

       Lykiern in gerader Richtung voran. Menestheus, von seinem Turme herab, stutzte, als er sie so

       wütend herannahen und sich und die Seinigen dem Verderben ausgesetzt sah. Ängstlich schaute er

       sich nach der Unterstützung anderer Helden um: wohl sah er in der Ferne die beiden Ajax,

       unersättlich im Kampfe, dastehen und noch näher den Teucer, der eben von den Zelten zurückkam;

       doch hallte sein Hilferuf nicht so weit, er prallte an Helmen und Schilden ab, und das Getöse der

       Schlacht verschlang ihn. Deswegen schickte er den Herold Thootes zu den beiden Ajax hinüber und

       bat den Telamonier durch ihn, samt seinem Bruder Teucer, wenn sie beide dies könnten, ihm aus der

       Bedrängnis zu helfen. Der große Ajax war nicht säumig, er eilte mit seinem Bruder Teucer und

       Pandion, der dessen Bogen trug, der Mauer entlang, von innen dem Turme zu. Sie kamen bei

       Menestheus an, als eben die Lykier an der Brustwehr emporzuklimmen anfingen. Ajax brach sogleich

       einen scharfgezackten Marmorstein zuoberst aus der Brustwehr und zerknirschte damit dem Epikles,

       einem Freunde des Sarpedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Turme herabschoß.

       Teucer aber verwundete den Glaukos am entblößten Arme, während er eben den Wall hinanstieg.

       Dieser sprang ganz geheim von der Mauer, um nicht von den Griechen erblickt und mit seiner Wunde

       gehöhnt zu werden. Mit Schmerzen sah Sarpedon seinen Bruder aus der Schlacht scheiden; er selbst

       aber klomm aufwärts, durchstach den Alkmaon, den Sohn Thestors, mit der Lanze, daß dieser der

       wieder herausgezogenen taumelnd folgte, faßte dann mit aller Gewalt die Brustwehr, daß sie von

       seinem Stoß zusammenstürzte und die Mauer, entblößt, für viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax

       und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen;

       Ajax durchstach dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn schmetternd, und einen

       Augenblick wich Sarpedon von der Brustwehr hinweg. Doch ermannte er sich bald wieder, und gegen

       die Schar seiner Lykier sich umdrehend, rief er laut: »Lykier, vergesset ihr des Sturmes? Mir allein,

       und wäre ich der Tapferste, ist es unmöglich, durchzubrechen! Nur wenn wir zusammenhalten,

       können wir uns die Bahn zu den Schiffen öffnen!« Die Lykier drängten sich um ihren scheltenden

       König und stürmten rascher empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren Widerstand,

       und so standen sie, nur durch die Brustwehr getrennt und über sie hin wild aufeinander loshauend,

       wie zwei Bauern auf der Grenzscheide stehen und miteinander darum hadern. Rechts und links von

       den Türmen und der Brustwehr rieselte das Blut hinab. Lange stand die Waage der Schlacht

       schwebend, bis endlich Zeus dem Hektor die Oberhand gab, daß er zuerst an das Tor der Mauer

       vordrang und die Genossen teils ihm folgten, teils zu seinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten.

       Am verschlossenen Tore, dessen Doppelflügel zwei sich begegnende Riegel von innen

       zusammenhielten, stand ein dicker, oben zugespitzter Feldstein. Diesen riß Hektor mit

       übermenschlicher Gewalt aus dem Boden und zerschmetterte damit die Angeln und die Bohlen, daß

       die mächtigen Riegel nicht mehr standhielten, das Tor dumpf aufkrachte und der Stein schwer

       hineinfiel. Furchtbar anzuschauen wie die Wetternacht, im schrecklichen Glanze seiner Erzrüstung,

       mit funkelndem Auge, sprang Hektor, zwei blinkende Lanzen schüttelnd, in das Tor. Ihm nach

       strömten seine Streitgenossen durch die aufgerissene Pforte; andere hatten zu Hunderten die Mauer

       überklettert: Aufruhr tobte allenthalben im Vorlager, und die Griechen flüchteten zu den Schiffen.

       Kampf um die Schiffe

       Als Zeus die Trojaner so weit gebracht hatte, überließ er die Griechen ferner ihrem Elende, wandte,

       auf dem Gipfel des Ida sitzend, seine Augen von dem Schiffslager ab und schaute gleichgültig ins Land

       der Thrakier hinüber. Inzwischen blieb der Meergott Poseidon nicht untätig. Dieser saß auf einem der

       obersten Gipfel des waldigen Thrakiens, wo der Ida mit allen seinen Höhen samt Troja und den

       Schiffen der Danaer unter ihm lag. Mit Gram sah er die Griechen vor Trojas Volk in den Staub sinken;

       er verließ das zackige Felsengebirg, und mit vier Götterschritten, unter denen Höhen und Wälder

       bebten, stand er am Meeresufer bei Aigai, wo ihm in den Tiefen der Flut ein von unvergänglichem

       Golde schimmernder Palast erbaut stand. Hier hüllte er sich in die goldne Rüstung, schirrte seine

       goldmähnigen Rosse ins Joch, ergriff die goldene Geißel, schwang sich in seinen Wagensitz und

       lenkte die Pferde über die Flut; die Meerungeheuer erkannten ihren


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