Spurlos. Manuela Martini
Kartons die Seiten des Writer’s Festival – Programms zusammen.
„Es ist vollkommen okay!“ Er wandte sich dabei an Alison, „ich habe schon in ganz anderen Unterkünften geschlafen!“
Meg lachte.
„Ich nehme an in einer Hütte in Papua Neuguinea oder einem Erdloch in Sumatra … Brett ist viel zu anständig, um sich zu beschweren, stimmt’s?“
Aha, anständig und rücksichtsvoll ist er auch noch? Alison merkte, wie sie gereizter wurde.
„Was hältst du davon?“
Alison sah Megs Blick auf sich gerichtet. „Was, wovon?“
„Schätzchen, wo warst du mit deinen Gedanken? Ich habe vorgeschlagen, morgen ein Barbecue zu veranstalten. Du kommst doch?“
„Morgen? Oh, da hab’ ich meine Eltern eingeladen.“ Äußerst unpassend diese Einladung, dachte Alison. Wie sollte sie die Fassade der glücklichen Ehefrau aufrechterhalten?
„Dann eben heute. Nick könnte uns einen Lammbraten machen. Das ist seine Spezialität. Na, was haltet ihr davon?“
„Eine ganz großartige Idee, Meg!“ sagte Brett, und Alison nahm seinen Blick wahr, den er ihr zuwarf.
„Ich weiß nicht Meg. Ich …“ Sie musste zuerst wieder zu sich selbst finden.
„Ach, wenn du magst, dann kommst du einfach“, sagte Meg. „Übrigens, wie sieht es heute Mittag aus, Brett? Wir könnten alle drei in der Stadt was essen, asiatisch, in der Mall.“
Brett stellte den Becher auf den Tisch. „Ich wollte eigentlich in die Northern Territory Art Gallery.“
„Ach – die läuft dir ja nicht weg!“
„Du mir auch nicht, oder?“
Meg zog ihr weites Kleid in die Breite. „Seh ich so aus?“
Als Brett gegangen war, ließ sich Meg ächzend auf ihren Stuhl fallen. Sie nahm die Brille ab und wischte sie mit einem Taschentuch ab.
„Unverheiratet. Noch nicht einmal geschieden – und gut riechen tut er auch noch!“ Sie seufzte übertrieben. „Interessant, abenteuerlustig, gebildet – er will sein eigener Herr bleiben.“ Sie setzte ihre Brille wieder auf und lächelte hintergründig. „Und ganz nebenbei, soll er im Bett auch nicht schlecht sein!“
„Meg!“
Meg klatschte in die Hände. „So, nun muss ich mich aber mal an die Arbeit machen!“, und drehte sich zum Computer. „Du gefällst ihm“, sagte sie noch.
Alison sah diesen vor Kraft und Lebenslust sprühenden Mann vor sich. Er hatte ihr noch ein Lächeln, ein gewisses Lächeln zugeworfen, bevor er ging. Ein angenehmer Schauer rieselte über ihren Körper und überlagerte für Sekunden Demütigung und Wut.
3
Der Staatsanwalt hatte ihn gewarnt. „Lassen Sie sich nicht einschüchtern! Wenn Sie spürt, dass Sie unsicher werden, macht Sie sie fertig. Alex Winger ist `ne Knallharte.“
Die Einschätzung war nicht übertrieben, und Shane machte sich auf den nächsten Angriff gefasst.
„Detective, als Sie ins Haus stürmten, hatten Sie weder einen Haftbefehl, noch einen Durchsuchungsbefehl, korrekt?“ Die Stimme der Anwältin war schneidend und durchdringend, dabei hätte sie in ihrer tiefen Tonlage durchaus auch angenehm klingen können.
Shane versuchte seinen Ärger herunterzuschlucken. Was zum Teufel hatte er in diesem Zeugenstand zu verlieren? Und warum musste er sich dieser arroganten Anwältin mit den kalten blauen Augen aussetzen? Sie wandte ihren Blick von ihm auf das Papier in ihrer Hand, berührte kurz die altertümliche blonde Lockenperücke auf ihrem schulterlangen, dunklen Haar. Dabei klimperten ihre schmalen Goldarmreifen. Sie tat alles, um ihn durch ihre scheinbare Gelassenheit und ihre Interesselosigkeit zu einer unbedachten Äußerung zu verleiten. Er kannte das Spiel.
„Korrekt“, antwortete er.
„Sie trugen Zivil, Detective?“
„Ich trage immer Zivil. Ich bin Detective der Mordkommission, seit über …“
„Wir wissen, was Sie sind, Detective.“ Alex Winger schnitt ihm das Wort ab, ohne ihn anzusehen.
Shane sah auf die andere Seite des Raums, wo sich die mit einer Glasscheibe vom übrigen Raum abgetrennte Kabine befand, in der zwei Sheriffs den Angeklagten bewachten. Der Angeklagte, Muhammad Solea, ein Schwarz-Afrikaner aus Nigeria, erweckte in seinem blütenweißen Hemd und der gelbschwarz gestreiften und sorgfältig geknoteten Krawatte, mit dem kurz geschorenen Haar und der Goldrandbrille den Anschein eines ehrbaren Bankangestellten. Verdammter Mistkerl, dachte Shane.
„Detective O’Connor“, drang Alex Wingers laute Stimme wieder durch den Raum, „Sie klopften also an die Tür des Hauses, in dem Sie den Angeklagten, meinen Mandanten, vermuteten? Korrekt?“
„Wir vermuteten nicht, wir wussten …“ Er brach ab. „Ja, ich klopfte.“
Ein kaum merkliches spöttisches Lächeln flog über ihr Gesicht ohne ihn wirklich anzusehen. Sie klimperte mit den Armreifen.
„Sie klopften? Nun: Sie schlugen mit der Faust an die Tür. Mehrmals. Als Ihnen die völlig verängstigte Aborigine-Lady öffnete, zeigten Sie nicht Ihren Ausweis, richtig?“
„Wir wussten, dass der Mörder im Haus …“
„Sie zeigten nicht Ihren Ausweis …!“
Er ballte seine rechte Hand zur Faust. „Nein. Ich zeigte ihn nicht.“
„Wie war die Reaktion der Frau?“
„Ich kann mich nicht genau erinnern. Wir standen unter Zeitdruck …“
Shane sah zum Staatsanwalt hinüber, der nervös auf seinem Sessel herum rutschte. Ganz anders als der Richter in seiner roten Robe, der in seinem Sessel kauerte als ob er schliefe. Wieder das Klimpern der Armreifen.
„Nun, Detective, ich sage Ihnen, wie Ihre Reaktion aussah: Die Aborigine-Lady war starr vor Schreck. Denn sie verstand nicht, was Sie wollten, sie war nicht in der Lage einzuschätzen, ob Sie von der Polizei waren oder ein Krimineller. Sie trugen weder Uniform, noch zeigten Sie einen Ausweis. Sie stürmten mit gezogener Waffe an ihr vorbei!“ Die Anwältin setzte die Brille auf und zitierte aus ihren Unterlagen: „Die Aussage der Aborigene-Lady: Der Mann mit der Waffe stieß mich an die Wand. Der Mann“, sie sah kurz auf, „das sind Sie, Detektive O’Connor – ich fahre fort“, Sie las weiter: „Ich prallte an die Wand, ich schrie, der Mann mit der Waffe riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Ich hörte Poltern und Schreie. Der Mann rief: Auf den Boden, du Schwein! Dann krachte es und ich hörte dumpfe Schläge. Dann kam der Mann mit Muhammad heraus. Muhammad trug Handschellen und blutete aus der Nase und aus dem Mund.“ Sie setzte die Brille ab und sah auf. „Detective O’Connor, Sie haben nicht nur die Aborigine-Lady eingeschüchtert und verletzt, Sie haben auch meinen Mandanten, gegen den zu diesem Zeitpunkt kein Haftbefehl vorlag, körperlich versehrt. Er hatte eine gebrochene Nase und verlor einen Schneidezahn. Gehen Sie bei Ihren Festnahmen immer so vor?“ Provozierend direkt sah sie ihn mit ihren eisblauen Augen an.
Warum legte dieser verfluchte Staatsanwalt keinen Einspruch ein?
„Einspruch!“, kam es endlich.
„Stattgegeben“, brummte der Richter und machte eine müde Handbewegung.
Die Anwältin räusperte sich. „Sie sind äußerst brutal vorgegangen, Detective. Warum haben Sie nicht Ihre Marke gezeigt und meinen Mandanten einfach festgenommen?“
Nein, er würde nicht in ihre Falle tappen – er sagte so sachlich er konnte:
„Sie werden mit Sicherheit meine Akte gründlich studiert und dabei festgestellt haben, dass dieses Vorgehen eine Ausnahme war. Es war Gefahr