Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone
stürmte er auf den Feind zu. Er riss die Frau mit einem gewaltigen Sprung und ihrem Gesicht voran zu Boden, während er gleichzeitig ihre Hand mitsamt der Waffe eisern umklammerte.
Sein Zorn verlangte danach, ihr sofort die Kehle durchzuschneiden. Ein letzter Funken Verstand bremste seine scharfe Klinge an ihrer Haut.
Erst befragen.
„Wer hat Sie geschickt? Reden Sie!“
Die Frau antwortete nicht.
Dann würde er eben nachhelfen!
Auf einmal war um ihn herum Geschrei.
Noch mehr Adrenalin rauschte durch seine Adern.
Gab es weitere Eindringlinge?
Waren Rose oder Alice verletzt?
Oder war er wieder nicht schnell genug gewesen – so wie damals, bei seinem Bruder?
Die Frau, die er zwischen sich und den Boden eingequetscht hatte, regte sich nicht. Sie war durch den Aufprall wohl ohnmächtig geworden. Umso besser, dann stellte sie für den Augenblick wenigstens keine Gefahr dar und er konnte es wagen, seine Aufmerksamkeit kurz auf Rose und Alice zu richten.
Das kleine Mädchen zerrte in einer Mischung aus Wut und Angst mit ihren Händchen an seinem Arm, mit dem er das Messer hielt, und Rose schrie ihn an.
Beide schienen unverletzt zu sein.
Niemand sonst war in der Nähe.
Was zum Henker war mit den beiden los?
Er versuchte, seinen adrenalingetränkten Kampfmodus zu unterdrücken und sich auf die Worte der beiden zu konzentrieren, die in seinen empfindlichen Vampirohren als purer Lärm gellten.
„Tu ihr nicht weh!“, schrie die Kleine, „Tu ihr nicht weh! Sie ist meine Freundin!“
„Carajo! Quint! Steck um Himmels willen dein Messer ein und lass sie los! Das ist unsere neue Landschaftsgärtnerin!“
Was?
„Nein, erst morgen. Außerdem hat sie eine Waffe und ist eine Frau. Kommen sollte ein Mann mit Namen Joe.“
„Nicht morgen, heute, Quint! Du bist einen Tag zu spät. Ihr Name ist Jo, wie Josephine, und von welcher Waffe redest du eigentlich?“
„Welche Waffe denn?“, fragte die Frau benommen, die sich nun unter ihm regte.
Er betrachtete das Ding mit der Laserzielvorrichtung.
„Was ist das?“
***
Als Jo zu sich kam, fühlte sie sich etwas benebelt, konnte kaum atmen und ihr Brustkorb brannte wie Feuer.
Sie musste wohl ohnmächtig geworden sein, als etwas mit dem Gewicht eines Felsbrockens sie im Rücken getroffen und unter sich begraben hatte.
Ihre Hand befand sich in einer stählernen Schraubzwinge.
Felsbrocken? Schraubzwinge?
Nein, da stimmte etwas nicht.
Irgendjemand sprach von einer Waffe.
„Welche Waffe denn?“, fragte sie.
Jemand riss sie hoch auf die Beine, so schnell, dass ihr schwarz vor Augen wurde und sie umgekippt wäre, hätte sich nicht eine zweite Schraubzwinge um ihren Oberarm gelegt.
Ihr war immer noch ein wenig schwarz vor Augen, aber diese feuerroten Locken würde sie in jedem Zustand wiedererkennen.
Es lag ihr auf der Zunge, seinen Namen zu flüstern.
War er endlich zu ihr zurückgekehrt?
Sie streckte ihre freie Hand nach den vertrauten Locken aus.
Ehe sie sie erreichte, sah sie ein Messer aufblitzen und verschwinden. Ein Messer dieser Größe hatte sie bisher nur in einem Rambofilm gesehen. Dann wurde ihr Handgelenk so fest gepackt, dass sie glaubte, es würde zersplittern.
Nein, das war nie und nimmer er!
Er hätte ihr nie wehgetan, war immer nur sanft und liebenswürdig gewesen, hatte sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern getröstet und ihr sein Geheimnis anvertraut.
Langsam wurde ihr Sichtfeld wieder schärfer.
Ja, tatsächlich, die Locken waren dieselben. Aber er hätte sie nie so verwahrlosen lassen. Und das Gesicht passte auch nicht: Harte Züge, aus denen ihr purer Hass entgegenschlug.
Sie schluckte und drängte die schmerzliche Enttäuschung zurück in den Winkel ihres Herzens, wo sie die Erinnerung an seine Liebe und sein Geheimnis für immer bewahren würde.
Bis heute fragte sie sich, ob er irgendwo lebte und verzweifelt versuchte, zu ihr zurückzukommen, oder ob er gestorben war. Sie hatte keine Erinnerung mehr an das letzte halbe Jahr mit ihm.
Genau 183 Tage, die wie ausradiert waren oder besser gesagt: um die sie beraubt worden war.
Kapitel 2
Jo blickte zu der rauen, ungepflegten Männerhand, die sie mit brutalem Griff hielt. Der Letzte, der sie gehalten hatte, war ihr erster und einziger Mann gewesen. Liebevoll und sanft hatte er sie in seine Arme geschlossen und er hätte niemals zugelassen, dass ein anderer Mann so über sie herfiel – niemals!
„Antworten Sie endlich! Was ist das für eine Waffe?!“, brüllte der Kerl sie an.
Ein Kübel Eiswasser, den jemand über ihrem Kopf ausgießt, hätte sie nicht effektiver ins Hier und Jetzt befördert. Ihre schönen Erinnerungen verschwanden blitzartig und sie wurde stinksauer. Der Ärger klärte ihren Kopf, der sich nach dem heftigen Aufprall leer und schwindlig angefühlt hatte.
„Ein Lasermessgerät! Ich messe hier den Garten aus, das ist mein Job! Was dachten Sie denn? Sie dämliches Arschloch!“
„Quint, reiß dich zusammen und lass sie endlich los!“, forderte Rose. „Es ist in Ordnung, dass sie hier ist, Agnus hat es erlaubt.“
Der harte Blick des eiskalten Mannes durchbohrte Jo.
„Nichts ist in Ordnung. Sie gefährdet unsere Sicherheit.“
„Etwa indem ich heimlich Disteln und stachlige Büsche pflanze?“
„Und warum haben Sie Alice gefesselt?!“
„Gefesselt? Was für einen Blödsinn erzählen Sie da! Sie hat an dem selbstaufrollenden Maßband an meinem Gürtel gezogen, aber es hakte. Und jetzt lassen Sie mich endlich los oder ich hetze die Polizei auf Sie!“
Als der Typ keine Anstalten machte, seine beiden Schraubzwingen zu lockern, starrte sie wutentbrannt und mit gleicher Härte zurück. Sie war nicht mehr das zarte, sanfte Pflänzchen Josephine. Als er damals aus ihrem Leben gerissen worden war, hatte sie sich ganz allein und schwanger durchkämpfen müssen, Einsamkeit und tiefen Schmerz in ihrem Herzen ertragen – und obendrein noch ein Geheimnis bewahrt und das Leben um ihres Sohnes willen gemeistert. Dafür hatte sie hart werden müssen. Aus der behüteten Josephine war Jo geworden, eine Frau, die im männerdominierten Beruf des Landschaftsgärtners schwere Arbeiten verrichtete, bei Kälte und strömendem Regen Pflastersteine verlegte und niemand an sich heranließ. Nicht, dass es an männlichen Annäherungsversuchen gemangelt hätte, aber ihre Seele trauerte um den einen und sie musste in erster Linie an ihren Sohn denken, ihn großziehen, beschützen und verhindern, dass irgendjemand …
Ruckartig ließ der brutale Kerl sie los, bedachte sie aber mit einem Blick der Verwirrung, als ob er es selbst gar nicht glauben konnte, dass er seinen Griff gelöst hatte.
Ohne Grund streckte der Kerl mit den feuerroten, langen Locken seine Hand nach ihrer Stirn aus. Sie sah die Hand auf sich zukommen und wich sofort zwei Schritte zurück.
„Fassen Sie mich nicht an!“
Ihr