Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone

Voller Misstrauen geliebt - Lara Greystone


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schwer machen würde.

      Als wäre es für sie im Moment nicht schwer genug!

      Quint – abgesehen von Obdachlosen hatte sie noch nie jemanden gesehen, der sein Äußeres so vernachlässigte, ansonsten hätte er in der Frauenwelt vermutlich Erfolg. Den 10­–20-Tage-Bart konnte man ja noch als verwegen durchgehen lassen, aber seine wilden, feuerroten Locken, in denen Frauen vermutlich gern ihre Finger vergraben würden, waren am Rande der Verfilzung. Sein markant männliches Gesicht war von purem Hass oder Verbitterung völlig verhärtet. Falls seine Lippen jemals ein Lächeln zustande brachten, sahen sie vermutlich zum Dahinschmelzen aus. Doch sie waren aufeinandergepresst und wirkten wie eine unausgesprochene Drohung, ebenso wie seine muskulöse Statur. Die starken Hände dieses Quint hatten ihr nur wehgetan, zudem waren sie ungepflegt und starrten vor Dreck, ebenso wie seine ganze Kleidung. – Aber durfte ausgerechnet sie sich ein Urteil über sein Äußeres anmaßen? ?

      Ihr Blick glitt zu ihren eigenen Fingernägeln, kurz und fast immer mit Erde darunter. Ihre Jeans, das Tanktop und das meist offene Flanellhemd blieben durch ihre Arbeit auch nicht lange sauber. Aber wenigstens zog sie jeden Tag frische Sachen an und duschte, was – dem Gestank nach zu urteilen – bei diesem Quint wohl jeder bezweifeln würde.

      Sie atmete tief durch und wurde sofort mit einem unbarmherzigen Brennen bestraft. Am liebsten hätte sie sich ins Bett gelegt und dort jammernd zusammengerollt, aber das Leben war schließlich kein Ponyhof und sie brauchte diesen Auftrag dringend. Also biss sie die Zähne zusammen – wie so oft.

      „Hier wäre ein guter Standort für den Pflückgarten“, erklärte sie Rose und versuchte dabei, nicht zu tief zu atmen. „Aber ich werde das erst entscheiden, wenn ich den Rest ihres Außengeländes gesehen habe. Als Pflanzen für ihre kleine Alice schlage ich dornenlose Brombeeren vor und natürlich Himbeeren. Ich kenne eine leckere Sorte Stachelbeeren, deren Haut nicht pelzig ist, und wenn es etwas herber sein darf, kommen auch Johannisbeeren oder Sauerampfer in Betracht. Erdbeeren dürfen auf keinen Fall fehlen und ich würde eine Sorte wählen, die den ganzen Sommer über Früchte trägt. Für Heidelbeeren ist die Erde hier allerdings nicht ideal. Am Rand des Pflückgartens kann ich Gänseblümchen und eine Veilchenart pflanzen, die ebenfalls essbar sind.“

      „Das hört sich gut an.“

      „Darf ich darüber hinaus einen Vorschlag machen?“

      „Natürlich, gern.“

      „Ich könnte die Anpflanzung unter Berücksichtigung der Lichtbedürfnisse der Pflanzen, auch in einer Art Schnecke oder Labyrinth vornehmen. In deren Mitte kann Alice an einer wetterfesten Sitzgruppe für Kinder mit ihren Freundinnen naschen, was sie zuvor gesammelt hat. Das muss nicht viel kosten …“

      „Das hört sich traumhaft an und Alice hat ein bisschen glückliche Kindheit verdient, nachdem ihre Eltern ermordet worden sind.“

      „Was? Aber sie sagte doch Mama zu Ihnen, ich dachte Sie wären …“

      „Nein, aber ihre Mutter war meine Schwester“, stammelte Rose. „Ich …“ Dann brach sie ab und die bisher so taff wirkende Südländerin blinzelte energisch, als wolle sie Tränen unterdrücken.

      „Alice wirkt trotz allem sehr fröhlich“, meinte Jo und versuchte damit, die Situation zu überbrücken.

      Rose schluckte, wich ihrem Blick aus, sagte aber mit fester Stimme: „Alice erinnert sich nicht an den Tod ihrer Eltern und weiß nur aus Erzählungen, dass sie entführt wurde, was eine logische Folge ihrer traumatischen Erfahrungen ist.“

      Diese Erklärung klang einstudiert und außerdem wandte Rose den Blick ab. Jo hielt das Ganze deswegen eigentlich für eine Lüge, aber bei so einem tragischen Ereignis …

      „Vergessen kann wohl auch ein Segen sein“, murmelte Jo daher nur.

      Ob ihre vergessenen 183 Tage vielleicht so traumatisch gewesen waren, dass sie sich selbst gewünscht hatte, sich nie mehr daran erinnern zu müssen? – Nein, die Ungewissheit, was aus ihm geworden war, ließ ihr seit über zwanzig Jahren keine Ruhe. Jahrelang hatten sie eine heimliche Beziehung mit falscher Identität geführt. Was allerdings im letzten halben Jahr – ihren vergessenen 183 Tagen – passiert war, bis zu dem Tag, an dem er spurlos verschwand, war in ihrem Gedächtnis wie ausradiert. War er ermordet worden? Oder hatte man ihn entführt? Saß er irgendwo in einem dunklen Kerker ohne Hoffnung? Dachte er jeden Tag an sie und versuchte auszubrechen? Oder lag er längst tot in der kalten Erde?

      Jo wurde aus ihren Gedanken gerissen, als eine Frau mit einem schwarzen Koffer zielstrebig und energischen Schrittes auf sie zukam.

      „Das ist Alva, unsere Ärztin und die Ehefrau unseres Chefs“, stellte Rose die Frau vor.

      Die typisch nordischen Wangenknochen unterstützten den charakterstarken Ausdruck von Alvas Gesicht. Im Gegensatz dazu umspielten es die dunkelbraunen Haare geradezu, die wild stufig geschnitten waren und ihr bis auf die Schulter reichten.

      „Richtig, ich bin die Ärztin hier und ich habe mitbekommen, dass Sie einen Zusammenstoß mit unserem Quintus hatten.“

      „Er hat mich über den Haufen gerannt und mir ein Rambomesser an die Kehle gehalten, weil er dachte, ich bringe Leute um und entführe kleine Mädchen!“, berichtigte Jo die Ärztin energisch.

      „Ich bin nicht für die Erziehung zuständig, ich bin Ärztin“, sagte Alva, setzte ihren Koffer auf der Wiese ab und öffnete ihn. „Also: Haben Sie Schmerzen? Wenn ja, wo?“

       Noch so eine von der taffen Sorte, dachte Jo im Stillen, verbiss sich jedoch einen weiteren Kommentar, denn Extrakosten für Medikamente konnte sie sich im Moment wirklich nicht leisten.

      „Das Atmen tut mir höllisch weh, ebenso wie mein Kopf. Und ach ja, mein linkes Handgelenk schmerzt auch.“

      Alva holte eine kleine Lampe aus der Tasche, leuchtete in ihre Augen, danach musste sie den Anweisungen der Ärztin folgen und tausend Fragen beantworten.

      „Hinsetzen und das Shirt etwas hochziehen.“

      „Was? Hier im Gras?“

      „Sie sind Gärtnerin, das sollte Ihnen doch nichts ausmachen. Und glauben Sie mir, Sie sind nicht die Erste, die ich auf einer Wiese unter freiem Himmel behandle.“

      Jo fügte sich der resoluten Forderung und auch allen weiteren. Die Ärztin holte zunächst ein Stethoskop hervor, dann eine Blutdruckmanschette, anschließend musste sie sich sogar hinlegen und wurde penibel abgetastet. Aber diese Alva machte ihren Job wenigstens gründlich, was Jo beruhigte, denn sie befürchtete tatsächlich, sich mindestens eine Rippe angeknackst zu haben.

      Kapitel 3

      „Und, hat die Spritze gewirkt?“, fragte Rose sie, nachdem die Ärztin gegangen war.

      „Ja. Mir geht’s gut und ich fühle mich überhaupt nicht betäubt von diesem Schmerzmittel“, erwiderte sie.

      „Hat dieser Quint vorhin beim Weggehen tatsächlich geknurrt? Haben Sie das auch gehört, Rose?“

       „Sein Pumaweibchen hat wohl auf ihn abgefärbt“, meinte Rose mit einem schiefen Grinsen. „Und was sein Verhalten angeht, muss ich mich entschuldigen, aber es hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Wildheart ist das einzige weibliche Wesen, mit dem er auskommt, und wer weiß, ob sie nicht weglaufen würde, wenn sie könnte?“

      „Ein Pumaweibchen? Wo ist sie denn? Hat er ein Gehege für sie?“

      „Na ja, so was in der Art, aber nicht besonders groß, deshalb lässt er sie jeden Tag raus. Er spielt sogar mit ihr.“

       „Ich liebe Raubtiere.“ Und auf Raubtiere hatte sie eine seltsame, aber positive Ausstrahlung – warum, konnte sie auch nicht erklären. „Ich könnte Wildheart ein artgerechtes Gehege anlegen. Sie wissen ja, im Zoo …“

      „Ja, das war eine fantastische Arbeit. Dadurch sind wir auch auf Sie aufmerksam geworden. Ich rede


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