Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
diesen aufzubewahren
als heilige Reliquie, dann ließ er das Grab wieder
schließen und fest vermauern. In der Nacht darauf
aber erschien Karolus dem Kaiser Otto III. im Traume,
hehr und schrecklich anzusehen, und sprach zu
ihm: Mußtest du kommen und meine Ruhe stören?
Bald wirst du ruhen, wo ich ruhe, nicht weit von mir,
und erlöschen wird mit dir dein Stamm. – Otto, der
Kaiser, nahm sich dies Gesicht sehr zu Herzen; er
gründete eine Kirche und ein Klosterstift und weihte
es in die Ehre Sankt Adalberts, und im zweiten Jahre,
nachdem er Karoli Leichnam gesehen, da war schon
das Wort der Erscheinung erfüllt, und Otto III. ruhete
in der Kaisergruft im Aachner Dome. Hernachmals
hat nach aber zweihundert Jahren Kaiser Friedrich II.
von Hohenstaufen Kaiser Karls Gebeine erheben und
in einen prächtigen goldnen und silbernen Kasten
legen lassen, die Krone aber und andere Kleinodien
dem Domschatz überwiesen.
127. Templerkirche zu Aachen
Weit verbreitet war der Orden der Templer; auch zu
Aachen erbauten sie ein Tempelhaus, dessen Stätte
heißt noch heute der Tempelgraben. Als sich die Feinde
des Ordens gegen den Templerbund erhoben, als
der schreckliche Tag im Märzmond des Jahres 1314
den heldenherzigen Großmeister Jakob Molay nebst
seinen Todesgenossen in Flammen zu Märtyrern verklärete,
da versank zu Aachen plötzlich die Templerkapelle,
an ihrer Stelle schoß ein Wasserstrahl aus
dem Boden herauf, und ein Weiher bedeckte den Ort.
Das war fast wieder volle hundert Jahre, seit Kaiser
Friedrich Karl den Großen zum andern Male bestattet
hatte. Immer noch quillt jene Quelle über der versunkenen
Templerkirche, und im Märzen hört man wohl
bei stiller Luft ihre tiefversunknen Glocken läuten,
das klingt wie aus weiter Ferne und geisterhaft. Auch
geht die Sage, daß in der Mitternachtstunde jenes Unheiltages
drei Ritter in Templertracht, auf ihren Mänteln
das rote Kreuz, von Blut gezeichnet, über den
Tempelgraben wandeln.
128. Die Hinzlein zu Aachen
Allenden in Deutschland und den Nachbarländern
gehen Sagen von Zwergen und Neckebolden, heißen
da so und dort anders, Hinzelmännlein, Bergmanndli,
Hütchen, Heinzchen, Wichtlein, Querchlein, Quarkse,
stilles Volk, Unterirdische, sind ein wunderlich spukhaft
Geistervolk, den Menschen gut und feindlich, je
nachdem es kommt, hülfreich und zuwider, nütze und
schädlich, doch am meisten den Guten mild und den
Bösen feindlich gesinnt.
Solcher Kobolde hatte es auch zu Aachen, hießen
dort Hinze, wie man auch hie und da in Deutschland
die Katzen nennt, die Hexenlieblinge, wohnten im
Felsgeklüft unter der Emmaburg, da waren viele
Gänge und unterirdische Keller, daraus zog in gewissen
Nächten der Hinzenschwarm hervor mit spukhaftem
Gelärm und Gepolter, klapperten an die Haustüren
und trieben viel Tückerei und bösen Mutwillen.
Kein Geisterbannspruch, kein Kreidekreuz an Türen
und Läden half gegen den Nachtspuk der Hinzemännlein;
erst als man eine Kapelle dicht an die Felsen der
Emmaburg baute und deren Glocken zum ersten Male
erklangen, da war alles vorbei – denn Glockengeläute
können die Unterirdischen nicht hören und vertragen,
aber die guten Aachener ahneten nicht, daß sie sich
mit dem Kapellenbau erst recht eine Rute auf den
Hals gebunden hatten. Denn die Hinzlein zogen zwar
aus den Felsen fort, aber wo zogen sie hin? – In die
Stadt Aachen zogen sie, in einen alten Mauerturm, zu
dem ein unterirdischer Gang nach dem Felsen unter
der Emmaburg führte, und nun ging der Spuk erst
recht an. Der alte Turm lag ohnweit der Kölner
Straße, da klopfte es zur Nacht an die Häuser, da knisterte
es auf dem Herd, da rasselte und klapperte es in
den Küchengeschirren, und das ging stundenlang so
fort, daß kein Mensch ein Auge zutun konnte. Wußten
sich keines Rates zu erholen gegen die schlimmen
Poltergeister. Da kam von auswärts her ein weit umgewanderter
Gesell gen Aachen, der vernahm von
dem Spuk und erzählte, solcher Zwergvölker gebe es
in Thüringen und Sachsen vollauf, bei Jena, bei Königsee,
bei Plauen, in der Grafschaft Hohnstein am
Harzwald, bei Zittau in Sachsen, im Zobten in Schlesien,
im Kuttenberg in Böheim und an vielen andern
Orten, auch im ganzen Vogtland, in der Schweiz am
Pilatus, im Erzgebirge, im Untersberg bei Salzburg,
sowie am Rhein usw. Da sei nichts besser, als man
stelle vor jedes Haus ein Geschirr, ehern oder irden,
dessen wären die Hinzlein sehr froh, benutzten es zur
Nacht und stellten es ungeschädigt wieder an seinen
Ort, ließen dagegen die Leute in Ruhe. Der Rat des
guten Gesellen ward probiert und war probat, man
folgte ihm und hatte Ruhe. Kamen nachmals zwei
fremde Kriegsgesellen nach Aachen, die hörten in
ihrem Quartier von der Sache und der Sage, hatten
Spottens kein Ende, daß die Aachner Töpfe und Kessel
für die Zwergmännlein hinstellten, deren es doch
auf der Welt keine gebe, und vermaßen sich, nachts
Wache zu stehen, da sollten die Hinzen statt der blanken
Kessel blanke Degen finden. Darauf bezechten
sich die Kriegsgurgeln, setzten sich vor die Tür, sangen
und hatten sich sehr lustiglich, schrien immer
einer den andern an: He da! Hinz! Jetzt kommt der
Hinz!, trieben einander zur Kurzweil auf der Straße
um, jagten sich, traten sich, rannten durchs Hinzengäßlein
hinter bis zu dem alten Mauerturm, da hörte
man sie beide noch einmal brüllen, dann war