Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Am andern Morgen lagen die Prahlhänse tot vorm
Hinzenturm, hatte einer den andern durch und durch
gestochen. – Und noch lange nachher hat der Hinzenspuk
gedauert, bis ein reguliertes Chorherrenstift erbaut
ward in der Nähe der Spukgassen, da hat der
abermalige mächtige Glockenschall die Hinzlein auf
immer vertrieben.
129. Die buckligen Musikanten auf dem
Pervisch
Zu Aachen, in der alten Reichsstadt, haben einmal
zwei Musikanten gelebt, von denen hatte jeder einen
nicht kleinen Buckel; das war aber auch alles, was sie
miteinander gemein hatten, denn der eine war gut und
wohlgesinnt, der andere war neidisch und tückisch,
scheelsüchtig und habsüchtig. Nun trug sich's einstmals
zu, daß der erstere auf ein Dorf erfordert war,
dort zu einer Hochzeit mit aufzuspielen, und erst am
späten Abend heimwanderte. Er mochte dort manch
gutes Trünklein getan haben, denn er war ganz fröhlich,
und als er auf seinem Wege am hohen Dome
vorbeikam, pfiff er wohlgemut ein lustiges Schelmenstücklein.
Indem schlug die Glocke Mitternacht, und
alsbald war um ihn her ein Schwirren und Schweben,
geisterhaft und grauenhaft, und die Gespensterfurcht
ergriff den Spielmann und trieb ihn eilend vorwärts
durch die Schmiedegasse vor auf den Pervisch, das ist
der Fischmarkt. Siehe, da traf es der Spielmann ganz
hell an, alle Fischbänke waren illuminiert, Wein und
Speisen die Hülle und Fülle standen auf reich gedeckten
Tafeln in köstlichen Gefäßen, und vornehme Frauen
saßen da und schmausten und zechten. Da trat eine
solche Dame auf den Spielmann zu und sprach:
Holla, Fiedler! Du kommst gerade recht, jetzt geig
uns eins auf, wir wollen tanzen! Doch zuvor trink erst
einmal! – Und reichte ihm würzigen Wein in einem
Goldpokal, und er trank und erglühte vor Lust, nahm
sein Saitenspiel und geigte fröhlich darauf los. Und
die Frauen begannen miteinander zu tanzen im wilden
Reigen, und des Geigers Tanzweisen gellten wie toll
durch die Nacht. Da schlug es drei Viertel auf Eins,
und jetzt ließen allgemach die wirbelnden Paare vom
Tanzen ab, wie ermüdet – und die Frau, die den Geiger
angesprochen, trat jetzt wieder zu diesem und
sprach: Habe Dank und auch Lohn – und dabei strich
sie ihn mit ihrer Hand sanft über den Rücken, daß er
vermeinte, sie wolle ihn an sich ziehen – aber indem
war sie verschwunden, und alle andern Frauen desgleichen,
und die Lichter, die Speisen, die Geräte –
alles – und die Münsteruhr schlug eins. Der Spielmann
ging nach Hause, so leicht, so wohlig – er
wußte gar nicht, wie ihm geschehen. Und siehe, als er
sich auskleidete, weg war sein Buckel, den hatte zum
Lohn die nächtliche Tanzfrau ihm abgestreift. Bald
lief durch ganz Aachen die Wundermär, die hörte
nicht sobald der andere Buckelmusikant, als der Neid
über ihn kam, und dachte, mir soll das doch wohl
auch gelingen, was jenem Lump gelang. Konnte kaum
die Nacht erharren, stand lange vor Mitternacht schon
auf dem Pervisch, seine Geige mit dem Fiedelbogen
in der Hand. Endlich schlug's, und da glänzten auch
die Fischbänke voll Lichter, da standen die kostbaren
Geräte, da reichte ihm eine Dame würzigen Wein,
alles wie vor geschehen, und forderte auch ihn auf,
seine Tanzweisen aufzuspielen. Solches tat er, aber
seine Tänze wurden, ohne daß er wollte, Grabmelodien,
der Tanz wurde ein Totentanz, die holden Frauenbilder
wurden zu Gerippen, und als es drei Viertel
schlug, huschte ein molkiges Schattengebild an den
Spielmann heran, das hatte zuvor aus einem Silbergefäß
etwa ein Kleinod gehoben, und sprach: Habe
Dank und auch Lohn – und hing ihm und drückte ihm
das Kleinod an die Brust, schier wie einen Orden.
Dann schwand alles hinweg, und der Spielmann
wankte und schwankte nach Hause, und war ihm weh
auf der Brust, und hatte kurzen Odem. Und als er sich
auszog da hatte er den Buckel seines Spielgesellen
vorn auf der Brust, und seinen eigenen dahinten, den
hatte er auch noch, und mußte beide Buckel tragen bis
an sein Ende. –
130. Der fliegende Holländer
Im Lande Limburg liegt ein altes Schloß, das ist Falkenberg
genannt, darin es spukt und umgeht. Eine
Stimme ruft gegen die vier Wände den Klageruf:
Mörder! Mörder! – Zwei kleine Flämmchen flackern
vor der Stimme her, aber den Rufer sieht keiner. Und
das ist also seit sechshundert Jahren. Damals, vor so
langer Zeit, stand das Schloß noch in seinem Glanze,
zwei Brüder von Falkenberg wohnten darin, die
hießen Waleram und Reginald und liebten beide die
schöne Tochter eines Grafen von Cleve, Alix. Waleram
war der Glückliche, den die Jungfrau erkor, und
feierte mit ihr glänzende Hochzeit. Dem verschmähten
Reginald aber wandte der Rachegeist das Herz im
Busen, und er ging und ermordete die Liebenden in
ihrem Brautbette. Im Todeskampfe griff Waleram in
des Bruders Mordwaffe, schlug ihm die blutende
Hand ins Gesicht und sank dann tot zurück. Der Mörder
schnitt vom Haupt der von ihm erdolchten Braut
eine Locke und entwich, war auch nimmer zu finden,
als man die Toten fand und bejammerte und den Mörder
ahnete. Es lebte dazumal nicht allzuweit vom
Schlosse Falkenberg ein frommer Einsiedel, dessen
Klause neben einer kleinen Kapelle stand. Bei dem
klopfte es an um Mitternacht und begehrte Einlaß im
Namen des Himmels. Reginald war's, den die Reue
marterte, und auf dessen Gesicht die Spur einer blutigen
Hand