Herzen der Nacht. Jill Korbman
die bis ins letzte Detail herausgearbeitet worden waren.
„Er ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte auf einmal eine männliche Stimme neben mir. Sie war tief, melodisch und so angenehm, dass mich spontan ein wohliger Schauer überlief. Ich blickte hoch. Was ich sah, gefiel mir. Es gefiel mir sogar sehr.
Der Mann, der mich angesprochen hatte, sah wahnsinnig gut aus. Sein Gesicht war ebenmäßig und absolut makellos. Er hatte kurze, blonde Haare und trug einen gepflegten Drei-Tage-Bart, der ihn sogar noch attraktiver machte. Den kleinen Fältchen um seine Augen herum nach zu urteilen, hatte er etwa mein Alter. Er trug einen schwarzen Anzug und sehr elegante Schuhe.
Ich wunderte mich, wo er plötzlich hergekommen war, denn ich war mir sicher, ihn vorher nicht bei der Besuchergruppe gesehen zu haben. Denn an ihn hätte ich mich ganz sicher erinnert.
Er lächelte mich mit seinen absolut blauen Augen schelmisch an.
„Und?“, fragte er mich. Ich war verwirrt.
„Was... was meinen Sie?“ Sein Blick brachte mich völlig aus dem Konzept und mir wurde heiß.
Er deutete auf die Vitrine. „Na, den Baum - wie finden Sie ihn?“
Erst jetzt begriff ich, dass er mich etwas gefragt hatte. Reiß dich zusammen, Ellie.
„Er... er ist super. Wirklich sehr schön.“
Plötzlich wurde mir bewusst, wie dicht dieser atemberaubende Typ bei mir stand.
Wow. Ich fühlte, wie mir ein wenig schwindelig wurde. Dieser Mann schien direkt meinen Träumen entsprungen zu sein. Hätte ich mir einen Wunsch-Partner ausmalen können, dann hätte er exakt so ausgesehen.
„Der Baum ist unglaublich wertvoll, genau wie die Figur daneben. Sehen Sie sie?“
Ich schaute genau hin. „Ist das ein großer Hund?“
Er lächelte mich verhalten an. „Nicht ganz. Dies ist ein Wolf. In früheren Zeiten waren diese Tiere hier in der Gegend weit verbreitet. Wussten Sie das?“
Er sprach relativ leise. Seine Stimme war gerade so laut, dass nur ich sie hören konnte.
Ich schüttelte den Kopf. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt, und ich brachte kein Wort mehr heraus. Was war denn nur los mit mir? Ich stellte mich doch sonst in der Gegenwart von Männern nicht so dumm an.
„Eine Weile waren die Wölfe sogar ganz von hier verschwunden. Vor einiger Zeit jedoch wurde wieder ein großes Rudel gesichtet, das sich inzwischen hier in den Wäldern um das Schloss herum angesiedelt hat.“
Ich bemerkte, wie der stechende Blick dieses Mannes auf mir ruhte. Er schien mich von Kopf bis Fuß zu mustern. In diesem Augenblick fühlte ich mich wie ein kleines Schulmädchen. Schwach. Unsicher. Schüchtern.
Paula verabschiedete sich von ihren Gästen. „So, die Führung ist hiermit beendet. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen eine gute Heimfahrt.“
Alle klatschten und bahnten sich einen Weg nach draußen. Einen Augenblick lang sah ich zu Paula hinüber, und als ich mich wieder umdrehte, war der Mann weg.
Ich blickte über meine Schulter, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Offenbar war er genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war.
Ich ärgerte mich über mich selbst. Da traf ich diesen überaus interessanten Traummann – und dann brachte ich kein Wort über die Lippen. Ich atmete geräuschvoll aus.
Bevor ich weiter über die Begegnung mit dem Fremden nachdenken konnte, kam Paula auf mich zu. „Und, hat es dir gefallen?“, wollte sie wissen.
Ich nickte. „Ja, es war wirklich eine sehr schöne Führung. Vielen Dank, dass ich mitkommen durfte.“
„Kein Problem. So, ich bringe dich jetzt zu unserer Chefin, sie wird dir bestimmt noch weitere Informationen geben wollen. Mit dem Cousin des Earls hast du dich ja gerade schon bekannt gemacht, nicht wahr?“
Ich blinzelte sie verwirrt an.
„Mit wem?... Nein, also... ich glaube nicht... es sei denn...“
Da dämmerte es mir plötzlich. „Der Mann, der eben neben mir gestanden hat... war er das etwa?“
Paula lachte herzhaft. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen! Ja, das war Colin, der Cousin des Earls of Greyborough. Er ist momentan zu Besuch im Schloss.“ Sie bedachte mich mit einem neugierigen Blick. „Er sieht umwerfend aus, nicht wahr? Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber… über was habt ihr denn gesprochen?“
„Er hat mir etwas über diese Schnitzereien erzählt. Ich nahm an, er wäre ein einfacher Besucher. Ich wusste ja nicht...“ Meine Stimme stockte. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass er einer der Schlossherren ist!“
Paula lächelte mich an. „Du brauchst doch nicht so nervös zu sein. Er ist zwar ein Adliger, aber ansonsten ganz normal. Und er ist nett, also keine Angst. Wenn er hier ist, macht er sich manchmal den Spaß und stößt zu einer Besuchergruppe dazu. Er bleibt dann ein paar Minuten, anschließend verschwindet er wieder durch eine der Geheimtüren in der Wand. Aber das kommt wirklich nur sehr, sehr selten vor.“
„Was, in diesem Schloss gibt es Geheimtüren? Das wird ja immer besser.“ Sofort wurde meine Fantasie wieder angeregt. Mir vorzustellen, was sich in früheren Zeiten hinter diesen Mauern wohl alles abgespielt hatte, fand ich irgendwie aufregend.
Paulas Stimme holte mich zurück in die Gegenwart.
„Nur die Herrschaften wissen, wo sich die versteckten Gänge befinden. Das finde ich nicht so toll, denn dies bedeutet, dass immer jemand von ihnen einfach mal wie aus dem Nichts auftauchen kann, um uns zu kontrollieren. So wie vorhin. Du drehst dich um... zack, da steht plötzlich dein Chef! Ich finde das gruselig, aber man gewöhnt sich daran. Wie gesagt, es passiert auch nicht allzu oft.“
Sie sah sich um. Außer uns war niemand mehr da, die Touristen waren bereits wieder nach unten gegangen.
„Die Verwalterin wartet schon auf uns, Ellie. Wir sollten uns beeilen.“
Kapitel 3: Colin
„Und?“ Drake erwartete mich bereits im Schlosspark.
Dass wir uns auch am Tage draußen bewegen konnten, verdankten wir unseren Vorfahren. Dadurch, dass sie sich mit den Menschen vermischt hatten, wirkte die Sonne nun nicht mehr länger tödlich auf uns Vampire. Dennoch fühlten wir uns in freier Natur nicht so recht wohl, und wenn die Sonne auch noch schien, hielten wir uns tagsüber lieber in den Innenräumen auf.
„Mirja hatte recht, die junge Frau trägt den Anhänger an einer Kette. Ganz offensichtlich weiß sie jedoch weder etwas über die Werwölfe, noch über das Schmuckstück. Wenn dem nämlich so wäre, hätte sie ganz anders auf meine Fragen reagiert. Ich habe auch versucht, ihre Gefühle zu lesen, als ich neben ihr stand, aber es ist mir nicht gelungen. Sie hat eine ganz schön starke Barriere.“
Und außerdem war ich selbst abgelenkt gewesen. Die Kleine war aus der Nähe noch hübscher als von Weitem. Ihre Augen waren von dem hellsten Blau, das ich je gesehen hatte. Und sie roch unglaublich gut. Der süße Duft ihres Blutes hatte mich erregt und mir war förmlich das Wasser im Mund zusammengelaufen. Wäre sie allein mit mir im Raum gewesen… nicht auszudenken, was dann passiert wäre.
„Warum nehmen wir ihr denn dann das Medaillon nicht einfach weg? Das wäre doch die einfachste Lösung.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, du weißt doch, dass es für uns nutzlos ist. Und wenn es ihr Medaillon ist, dann kann auch nur sie es benutzen.“
Während wir redeten, hielt ich die Augen offen. Es war zwar mitten am Tag, aber die Werwölfe wagten sich in letzter Zeit immer näher ans Schloss heran. Und ich hatte keine Lust, plötzlich von ihnen überrascht zu werden.
„Was