Frau Inger auf Östrot. Henrik Ibsen

Frau Inger auf Östrot - Henrik Ibsen


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kann? Meint Ihr, ich weiß nicht, daß mancher Sprößling aus altem Geschlecht als Geächteter umherirrt, ohne Obdach und Lager, während die dänischen Herren auf seiner Väter Hof schalten und walten?

      Inger. Und was weiter?

      Eline. Ich weiß wohl, daß mancher edle Ritter wie ein hungriger Wolf im Walde gehetzt wird. Er hat keinen Herd, wo er raste, keinen Bissen Brot –

      Inger kalt. Genug! Jetzt versteh' ich Dich.

      Eline fortfahrend. Und darum öffnet Ihr Östrots Tore zu nächtlicher Zeit! Darum muß er fremd und unerkannt bleiben, jener Gast, von dem niemand wissen darf, woher er kommt oder wohin er geht. Ihr trotzt dem strengen Herrengebot, das verbietet, die Verfolgten zu behausen und ihnen beizustehen mit Obdach und Pflege –

      Inger. Genug, sag' ich! Sie schweigt eine Weile und fügt dann mit Überwindung hinzu: Du irrst, Eline; – nicht ein Geächteter ist's, den ich erwarte.

      Eline erhebt sich. So hab' ich Euch wahrlich falsch verstanden.

      Inger. Hör' mich an, mein Kind! Aber hör' mich mit Überlegung an, wofern Du Deinen wilden Sinn zu zähmen vermagst.

      Eline. Ich werd' ihn zähmen, bis Ihr zu Ende gesprochen habt.

      Inger. So gib wohl acht auf das, was ich Dir sage. – Ich suchte, soweit es in meiner Macht stand, vor Dir all die Not und Bedrängnis, die uns umgibt, zu verbergen. Denn was konnte es nützen, wenn ich Sorge und Gram in Deine junge Seele senkte? Tränen und Weiberseufzer können uns nicht aus den Drangsalen befreien. Wir brauchen Mut und Manneskraft.

      Eline. Und wer sagt Euch, daß ich nicht Mut und Manneskraft habe, wenn es gilt?

      Inger. Still, Kind! Ich könnte Dich beim Wort nehmen.

      Eline. Wie das, meine Mutter?

      Inger. Ich könnte beides von Dir fordern, ich könnte – doch laß mich erst zu Ende sprechen. – Wisse denn, daß die Zeit sich zu nahen scheint, auf die der dänische Reichsrat schon seit vielen Jahren hingearbeitet hat, – die Zeit, mein' ich, da man unsern Rechten und unsrer Freiheit den letzten Stoß geben wird. Sieh, darum gilt es –

      Eline lebhaft. Offne Fehde, meine Mutter?

      Inger. Nein, es gilt, Spielraum zu gewinnen. In Kopenhagen ist jetzt der Rat versammelt, um zu überlegen, wie man am geschicktesten die Sache anfaßt. Die Mehrheit soll der Ansicht sein, daß die Zwistigkeiten nicht beigelegt werden können, solange Norweger und Dänen uneins sind. Denn behalten wir unsre Rechte als freies Reich, – wenn einmal die Königswahl vor sich geht, so ist es wahrscheinlich, daß es zu offener Fehde kommt. Sieh, das wollen die dänischen Herren verhindern –

      Eline. Ja, das wollen sie verhindern, ja –! Aber sollen wir dergleichen dulden? Sollen wir ruhig zusehen, daß –?

      Inger. Nein, wir sollen es nicht dulden! Aber von der Waffe Gebrauch machen – wohin würde das führen, solange wir nicht alle einig sind? Und stand es jemals schlechter um die Einigkeit im Lande als gerade jetzt? – Nein, wenn wir etwas ausrichten wollen, so muß es heimlich und in der Stille geschehen. Wir müssen, wie ich Dir sagte, Spielraum gewinnen. Im südlichen Norwegen ist ein großer Teil des Adels für die Dänen; aber hier, nördlich vom Dovrefjeld, ist die Stimmung noch zweifelhaft. Darum hat König Friedrich einen seiner höchsten Vertrauensmänner heraufgeschickt, der sich mit eignen Augen von unserer Gesinnung überzeugen soll.

      Eline gespannt. Nun – und?

      Inger. Und dieser Ritter kommt heut nacht hierher.

      Eline. Hierher? Und heut nacht?

      Inger. Ein Kauffahrer brachte ihn gestern nach Drontheim. Eben erhielt ich die Botschaft, daß er hier einkehren wird. Binnen einer Stunde kann man ihn erwarten.

      Eline. Und Ihr bedenkt nicht, Mutter, wie Ihr Euern Ruf aufs Spiel setzt, wenn Ihr dem dänischen Abgesandten eine solche Zusammenkunft gewährt? Ist nicht das Volk ringsumher schon mißtrauisch genug gegen Euch. Wie könnt Ihr hoffen, daß es sich dereinst von Euch lenken und leiten läßt, wenn ruchbar wird –

      Inger. Sei unbekümmert. All das hab' ich zur Genüge bedacht; aber es hat keine Not. Sein Geschäft hier im Land ist ein Geheimnis; deshalb ist er als Fremder nach Drontheim gekommen, und fremd und unerkannt wird er auch auf Östrot weilen.

      Eline. Und der Name dieses dänischen Herrn –?

      Inger. Er klingt gut, Eline! Dänemarks Adel hat kaum einen besseren zu nennen.

      Eline. Und was habt Ihr im Sinne? Noch hab' ich Eure Absicht nicht erfaßt.

      Inger. Du wirst bald verstehen. – Da wir die Schlange nicht zertreten können, so müssen wir sie binden.

      Eline. Hütet Euch wohl – die Schnur möchte reißen!

      Inger. Es kommt auf Dich an, wie fest sie geknüpft werden soll.

      Eline. Auf mich?

      Inger. Längst hab' ich gemerkt, daß Östrot Dir ein Kerker ist. Für einen jungen Falken taugt es nicht, zwischen Eisenstäben zu sitzen.

      Eline. Meine Schwingen sind gelähmt. Gäbt Ihr mich auch frei, es würde mir wenig frommen.

      Inger. Deine Schwingen sind nicht länger gelähmt, als Du selbst es willst.

      Eline. Ich es will? Mein Wille ist in Euern Händen. Werdet wieder, was Ihr gewesen seid, so will auch ich –

      Inger. Genug davon! Höre weiter! – Östrot zu verlassen, wird Dir gewiß nicht unlieb sein.

      Eline. Wohl möglich, Mutter!

      Inger. Du hast mir einmal gesagt, daß Du Deine glücklichste Zeit in Deinen Märchen und Sagen verlebt hättest! Dieses Leben könnte Dir wiederkehren.

      Eline. Was meint Ihr?

      Inger. Eline, – wenn nun ein mächtiger Rittersmann käme und Dich nach seiner Burg führte, wo Du Knechte und Mägde, Seidenkleider und hohe Säle fändest?

      Eline. Ein Ritter, sagt Ihr?

      Inger. Ein Ritter.

      Eline leiser. Und der dänische Gesandte kommt heut nacht?

      Inger. Heut nacht.

      Eline. Wenn dem so ist, dann schaudert es mich, Eure Worte zu deuten.

      Inger. Es braucht Dich nicht zu schaudern, wenn Du sie nicht mißdeuten willst. Es ist gewißlich nicht meine Absicht, Dich zu zwingen. Nach eignem Gutdünken sollst Du wählen und selbst beschließen in dieser Sache.

      Eline einen Schritt näher. Habt Ihr von jener Mutter gehört, die zur Nachtzeit mit ihren kleinen Kindern im Schlitten übers Gebirge fuhr? Ein Rudel Wölfe folgte ihren Spuren; es ging um Tod und Leben – und sie warf ihre Kleinen hinter sich hinaus, eins nach dem andern, um Zeit zu gewinnen für die eigene Rettung!

      Inger. Märchen! Eine Mutter risse sich das Herz aus der Brust, ehe sie ihre Kinder vor die Wölfe würfe.

      Eline. Wär' ich nicht meiner Mutter Tochter, dann würd' ich Euch recht geben. Aber Ihr seid wie jene Mutter: Ihr habt Eure Töchter den Wölfen vorgeworfen, eine nach der andern. Zuerst habt Ihr ihnen die älteste vorgeworfen. Vor fünf Jahren zog Merete von Östrot. Nun sitzt sie in Bergen als Vincenz Lunges Hausfrau. Aber glaubt Ihr, sie ist glücklich als des


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