Sekt(e) oder Selters. Hannes Wildecker

Sekt(e) oder Selters - Hannes Wildecker


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Mittelklasse, der sich aus Richtung der Waldlandschaft kommend langsam aus dem Dunkel schält und auf Höhe der Diskothek anhält. Sofort erlöschen die Scheinwerfer wieder und der Wagen ist nur noch schemenhaft zu erkennen.

      Die Fahrertür öffnet sich langsam und eine Gestalt, in dunkle Kleidung gehüllt, die Kapuze über den Kopf gezogen, steigt sich nach allen Seiten umsehend aus und schließt leise die Tür. Offensichtlich ist sie bestrebt, auf jede Art von Geräusch zu verzichten, denn auch die Hecktür des Fahrzeuges öffnet sie bedächtig und fast vollkommen lautlos.

      Hätte jemand in der Nähe dieser Aktivität Aufstellung bezogen und seinen Blick nicht zugfällig in diese Richtung gewandt, es würde kein Laut bis zu ihm herüberdringen.

      Die Gestalt, die aufgrund ihrer schwarzen Kleidung kaum noch wahrzunehmen ist, greift mit beiden Armen in das Fahrzeuginnere und zieht Zentimeter für Zentimeter einen länglichen Gegenstand heraus und legt ihn hinter dem Fahrzeug auf der geteerten Straße ab.

      Sie schließt die Heckklappe, fast geräuschlos. Nur ein leises Klack ist zu vernehmen. Die Person beugt sich zu dem Objekt hinunter, greift mit beiden Armen zu und wuchtet sich das Paket über beide Unterarme, um sofort mit ihrer schweren Last, unter der sie zusammenzubrechen droht, in Richtung des Diskothek-Gebäudes zu wanken.

      Die Person scheint kurz zu überlegen, dann legt sie den fast zwei Meter langen Gegenstand auf dem Boden ab, runde zehn Meter von der Lokalität entfernt, an den Rand einer frisch gemähten Wiese.

      Schwer atmend erreicht sie mit zwei großen Schritten wieder das befestigte Gelände der Diskothek, steigt in den Kombi ein und fährt, auf eine Beleuchtung verzichtend, langsam davon, in Richtung Forstenau. In der Ferne kann man erkennen, wie die Beleuchtung des Fahrzeuges eingeschaltet wird. Dann ist es wieder still. Totenstill!

      Die aufgehende Sonne des vielversprechenden Maimorgens erhellt langsam die Erde und verteilt den fallenden Nebel endgültig auf die Wiesen und Felder des Hochwalds als Nahrung für Flora und Fauna.

      Auch der neben der Disko abgelegte Gegenstand verliert mehr und mehr seine Schemenhaftigkeit und offenbart schließlich die Form eines menschlichen Körpers, der auf dem Rücken liegt und mit leeren Augen gen Himmel zu schauen scheint.

      Abgelegt wie ein Stück Abfall liegt die tote Frau, deren Alter kaum über fünfundzwanzig zu sein scheint, nun auf der Wiese vor dem Tanzpalast, die gebrochenen Augen in dem fast weißen Gesicht zum Himmel gerichtet, so, als wollte sie ihren Schöpfer bitten, ein grausiges Verbrechen ungeschehen zu machen.

      1. Kapitel

      Der gesamte Ort war in Aufruhr. Die Diskussionen erhitzen die Gemüter an jeder Straßenecke, in den Familien, den Läden und Gaststätten und der Salon von Friseur Bruno Biewer im Ortszentrum schien seit Neuestem mehr denn je als Kommunikationszentrum zu florieren.

      Auch im Hochwaldstübchen war der Geräuschpegel seit einigen Tagen um ein Mehrfaches angestiegen. Die Gäste, die in der Gemeinde Forstenau den Tourismus belebten, zogen in Anbetracht der dunklen Wolken, deren Ursache sie nicht einschätzen konnten, die Köpfe ein, als befürchteten sie, ein Unwetter wolle mit aller Vehemenz über sie hereinbrechen.

      Einer jedoch hatte an der Ursache der Diskussionen am schwersten zu kauen. Es war Pastor Adalbert Schaeflein, über dessen breitkrempigem Hut man förmlich eine schwarze Zorneswolke wahrnehmen konnte, die den Gottesmann auf Schritt und Tritt zu begleiten schien.

      Mit hochrotem und gesenktem Kopf stieg er schwer atmend die wenigen Stufen zum Hochwaldstübchen hinauf, öffnete die Tür und sogleich empfing ihn ein Schwall von Bierdunst und Zigarettenrauch.

      Obwohl seit geraumer Zeit ein Rauchverbot für öffentliche Einrichtungen bestand, wovon die Gaststätten nicht ausgenommen waren, hatte man den kleineren Kneipen übergangsweise weiterhin gestattet, diese Regelung für sich zu ignorieren. Während die Besucher größerer Lokalitäten wie Restaurants und Hotelhallen ihren Lastern entweder in speziell angelegten Raucher-Räumen frönen mussten oder vor das entsprechende Anwesen verbannt wurden.

      Schaeflein verfiel nahezu in einen Hustenkrampf und sein voluminöser Bauch unter der schwarzen Soutane, die er heute ausnahmsweise für den Gaststättenbesuch nicht abgelegt hatte, wippte auf und nieder und er musste seinen Hut festhalten, damit er ihm nicht vom Kopf fiele.

      Während seine Augen den Gastraum abtasteten, der ihm heute irgendwie anders als sonst vorkam, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass am Stammtisch bereits zwei seiner Stammtischbrüder saßen. Sie hatten ihn offensichtlich erblickt, denn sie winkten zu ihm herüber, um sich ihm bemerkbar zu machen.

      Die Tische auf der linken Seite des Raumes - es waren ihrer gerade mal fünf an der Zahl mit jeweils vier Sitzplätzen - waren ausnahmslos besetzt. Von Leuten aus dem Ort, aber auch von Personen, die derzeit ihren Urlaub in der Region verbrachten und im Hochwaldstübchen eine Kleinigkeit aßen.

      Eine der Spezialitäten lockte die Gäste dabei besonders an. Es waren in einer kräftigen Gewürzsoße eingelegte Hähnchenflügel, die, in einer Fritteuse mehrere Minuten knusprig gegart, den Gaumen erfreuten und die Gäste immer wieder gerade zum Genuss dieser Köstlichkeit anlockten.

      Schaeflein kämpfte sich durch den schon fast beißenden Smog hindurch zum Stammtisch, dessen Mitglied er seit Jahren war, und erkannte schließlich die vom Rauch umwölkten Personen, die sich dort niedergelassen hatten. Es waren Dieter Lauheim und Florian Glasheber, die heftig miteinander diskutierten.

      Letzteren erkannte Schaeflein nicht sofort, denn der Förster hatte sich seit Neuestem einen grau melierten Vollbart wachsen lassen, der sich mit seiner vollen Dichte von dem rötlichen, runden Gesicht abhob und eine gleichfarbige Einheit mit seinem Kopfhaar bildete.

      Hinter der Theke, an der sich einige Männer angestellt hatten, die keinen Sitzplatz mehr hatten erhaschen können und dort ihr Bier tranken, arbeiteten Siggi, der Wirt, und seine bessere Hälfte Lissy fieberhaft.

      Siggi hatte eigentlich nur eine Aufgabe zu erfüllen. Er musste in der Küche dafür sorgen, dass die Hähnchenflügel knusprig gegart und nicht etwa zu roh waren oder gar in der Außenhaut zu trocken wurden. Genauer gesagt, er musste den richtigen Moment abpassen und dann die fertigen Teile mit einem Sieb herausfischen und abtropfen lassen, um sie auf den Tellern zu verteilen und mit zwei oder drei Scheiben Brot, je nach Größe des Laibes und einigen Papierservietten zu garnieren. Dazu gab es noch ein Erfrischungstuch zum späteren Reinigen der fettigen Finger.

      Ab und zu fuhr er sich mit einem riesigen Taschentuch, dessen Zipfel aus seiner Hosentasche lugte, so dass er nur zuzugreifen brauchte, über seine feuchte Stirn und das inzwischen lichte, aber immer noch dunkle Haupthaar.

      Obwohl Siggi und Lissy ihr Leben fast ausschließlich in der Gaststätte verbracht hatten und ständig auf den Beinen waren, hatten sie sich selten eine Bedienung zugelegt. Sie waren über sechzig und ihr einziges Töchterlein war auf die schiefe Bahn gekommen und hatte sich in Frankfurt den „goldenen Schuss“ gesetzt, weil es für sich keinen Ausweg mehr gesehen hatte.

      Siggi hatte seine Rache gehabt und dem Schuldigen, dem Zuhälter Wilhelm Rietmaier, mit einem Sammler-Schwert schwere Wunden zugefügt. Doch Rietmaier war nicht an den Folgen dieser Verletzungen gestorben. Ermordet hatte ihn im Anschluss an seine Tat ein anderer und Siggi saß nur eine kurze Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung ab.

      Doch dann ereilte ihn ein Herzinfarkt und seit diesem Tag war er nicht mehr derselbe. Er verließ kaum noch das Hochwaldstübchen, wo er auch Mitglied des Stammtisches war. Doch wenn, gerade wie jetzt, die Bude gerammelt voll war, dann hatte er für seine Freunde keine Zeit. Dann musste er sich um das Essen kümmern. Geschäft ist nun mal Geschäft.

      Lissy zapfte derweil mit hochgestecktem Haar hinter der Theke ein Glas Bier nach dem anderen, spülte zwischendurch Gläser und räumte die leeren Teller von den Tischen ihrer zufriedenen Gäste.

      Obwohl sie den ganzen Abend hinter der Theke verbrachte und auch noch die Gäste bediente, blieb ihre weiße Schürze immer sauber.

      Die Ursache konnte nur ein stiller Beobachter


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