Sekt(e) oder Selters. Hannes Wildecker
zweifelte niemand.
Es war gerade mal acht Uhr abends und wäre da nicht dieser Stammtisch gewesen, den Lissy - geschehe was wolle - für Schaeflein und die restlichen Stammtischbrüder verteidigte, der Pastor hätte gerade noch einen Stehplatz an der Theke erhaschen können und wäre anzüglichen Fragen und den üblichen kleinen Foppereien der Runden trinkenden Männer ausgeliefert gewesen.
Nicht hilflos, beileibe nicht! Schaeflein wusste sich wohl zu wehren und in den meisten Fällen machten seine Kontrahenten bereits nach kurzer Zeit einen Rückzug aus ihren verbalen Ergüssen.
Schaeflein steuerte auf den Stammtisch zu. Dieter Lauheim und Florian Glasheber unterbrachen ihre angeregte Unterhaltung kurz durch eine grüßende Handbewegung gegenüber dem Pfarrer.
Schaeflein erkannte die Situation sofort.
Lauheim als Kulturbeauftragter des Landkreises und einer, den alles Kulturelle und Politische in seiner Umgebung interessierte, hatte Glasheber offensichtlich einiges mitzuteilen und dessen zufriedener Gesichtsausdruck und die Tatsache, dass er sich kaum zu Wort meldete, bewies dem Pastor, dass der Wolf sein Opfer gefunden hatte.
Schaeflein wählte den Platz neben Lauheim, obwohl die Sitzordnung des Stammtisches einem festen Ritual unterlag und sein offizieller Platz einen freien Stuhl zwischen ihm und Lauheim hätte belassen müssen.
Aber auch er war gespannt auf das, was Lauheim zu berichten hatte. Nicht, dass es für ihn etwas völlig Neues sein würde, was er hier und heute zu erfahren imstande war, beileibe nicht. Er wusste schon, was neuerdings in der Gemeinde die Gemüter bewegte, doch hoffte er, dass sich am Stammtisch dieses Bild abrunden würde.
„Was sagen Sie dazu, Herr Pfarrer?“
Lauheim drehte sich zu dem Geistlichen, wobei er mit seinem Stuhl etwas vom Tisch abrücken musste, um seinem stattlichen Bauch den erforderlichen Platz zu gewähren und beendete damit abrupt das Gespräch mit Glasheber, der sich nun seinerseits nach vorne über den Tisch beugen und den Kopf näher an die beiden bringen musste, in der Erwartung, noch einmal das anzuhören, was ihm Lauheim in den vergangenen Minuten groß und breit erläutert hatte.
Glasheber, seines Zeichens Förster in der Gemeinde, teilte sich seine beruflichen Aufgaben mit seinem Kollegen Uwe Marek, jedoch so, dass sich die beiden nicht ins Gehege kamen. Zu unterschiedlich waren ihre Ressorts und die Vielfalt des Hunsrücker Hochwalds nahm ihnen beiden die Möglichkeit, irgendeinem Kompetenzgerangel ausgesetzt zu sein.
Schaeflein nickte mit verkniffenen Lippen und wollte gerade eine entsprechende Antwort geben, als Lauheim auch schon zum Weitersprechen anhub.
Schaeflein sah, dass Lauheim vor Wissen nahezu explodierte, dass er es an den Mann bringen musste und verkniff sich deshalb weitere Fragen. Was er wissen wollte, das würde er erfahren. Hier und heute. An diesem Stammtisch.
Er würde es gleich mehrfach erfahren, denn bislang waren sie nur zu dritt. Es fehlten Ortsbürgermeister Detlef Hildebrandt, Feuerwehrchef Siegfried Brandel, der Kriminalbeamte Heiner Spürmann und Siggi, der Wirt, auf dessen Anwesenheit man heute Abend in Anbetracht des regen Publikumsverkehrs würde verzichten müssen.
Wenn also die Genannten nicht mit einem Male, sondern jeder für sich, einzeln, im Hochwaldstübchen erscheinen würden, dann konnte er die Rede von Lauheim am späten Abend auswendig aufsagen, dessen war sich Schaeflein sicher.
„Ich verstehe nicht, dass die Gemeindeväter so etwas zugelassen haben!“, entschloss sich Schaeflein dann doch, die Richtung der Diskussion zu bestimmen und verhinderte damit weitere Ergüsse von Lauheim.
„Wie kann man in einer Gemeinde wie der unseren so etwas zulassen? Man hätte doch voraussehen können, dass eine solche Entscheidung für die Zukunft von Forstenau ungeahnte Folgen haben kann. Lauheim, Sie sind doch Mitglied dieses Gemeinderates. Waren Sie nicht in der Lage, so etwas zu verhindern?“
„Na hören Sie mal!“
Lauheim sah empört von einem zum anderen. Das Rot der Aufregung in seinem Gesicht stach ab von den silbernen gewellten Haaren.
„Ich war nur als einer von vielen in den Entscheidungsprozess eingebunden. Ein Einzelner zählt da nicht. Schließlich war es ein Mehrheitsentscheid. Demokratie nennt man so etwas hier in diesem unseren Lande.“
Schaeflein überhörte die Bemerkung. „Ein sehr knapper Entscheid, wie ich hörte.“ Schaeflein schüttelte verständnislos den Kopf und sein volles rundes Gesicht nahm eine rosige Farbe an, die sich über den teils kahlen Kopf nach hinten verbreitete.
„Richtig“, fuhr Lauheim fort. „Es war eine knappe Entscheidung. Eine knappe demokratische Entscheidung.“
„Die meines Erachtens nicht ausreichend überdacht wurde. Sie sind doch alle erwachsene Menschen, Sie müssen sich doch über die Folgen im Klaren sein! Auch das gehört zu einer Demokratie. Abwägen einer Entscheidung.“
„Welche Folgen meinen Sie? Gut, Sie als Kirchenmann haben da Ihre Bedenken, aber sonst …“
„Was soll das heißen: Aber sonst…? Ach, lassen wir das!“, Schaeflein machte eine abwertende Handbewegung. „Erzählen Sie uns lieber einmal in allen Einzelheiten, was uns hier in Forstenau erwartet!“
Glasheber hatte bis zu diesem Zeitpunkt kein Wort gesagt, sondern die Unterhaltung, besser gesagt den kleinen Disput, aufmerksam verfolgt, ab und zu mit der Hand durch die angegrauten welligen, nach hinten gekämmten Haare streichend. Gerade als er dem Mund öffnen wollte, um seinen Teil an dem Gespräch beizutragen, öffnete sich die Tür der Gaststätte und Detlef Hildebrandt, seines Zeichens Ortsbürgermeister und Siegfried Brandel, Chef der örtlichen Feuerwehr, steuerten auf den Stammtisch zu.
„Kann mal jemand ein Fenster öffnen?“, rief Hildebrandt Lissy hinter der Theke im Vorbeigehen zu und die Bemerkung „Wird Zeit, dass auch in den kleinen Kneipen das Rauchverbot eingeführt wird!“, lenkte mit einem Schlag vielsagende Blicke eines Teils der Thekensteher, die genüsslich an ihren Glimmstängeln saugten, auf ihn.
„Er kann Ihnen genau sagen, was Sie wissen wollen!“
Lauheim zeigte auf Hildebrandt und schien selbst mit einem Mal kein Interesse mehr an der Weitergabe von Informationen zu haben.
„Ich habe dagegen gestimmt, damit Sie `s wissen!“, brummte Hildebrandt, während er sich auf einen freien Stuhl niederließ, der ebenfalls nicht derjenige war, der seit Monaten für ihn vorgesehen war. Angesichts der Neuigkeit, die offensichtlich das ganze Dorf bewegte, schien die Sitzordnung am Stammtisch im Hochwaldstübchen ihre Wichtigkeit verloren zu haben.
Der Gemeindechef streifte im Sitzen sein Jackett aus und hängte es hinter sich über der Stuhllehne auf. Hildebrandt wirkte abgemagert, als er hemdsärmelig da saß, sein ohnehin schmales Gesicht offenbarte ein paar Sorgenfalten. Seine Frau Margarethe saß immer noch im Gefängnis, denn sie war es, die dem Zuhälter Rietmaier einen tödlichen Stoß mit einem seiner eigenen Schwerter versetzt hatte. Man hatte ihr mildernde Umstände zugesprochen, denn auch sie war von ihrem Opfer misshandelt und vergewaltigt worden.
Hildebrandt krempelte seine Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hoch und schaute zu Lissy hinüber, die ihm zunickte und kurz darauf ein Bier servierte.
„Also, kann mir endlich einer genauestens sagen, worum es geht! Stimmen die Gerüchte oder ist es nur heiße Luft? Und wenn es stimmt, verdammt noch mal, dann möchte ich wissen, wie so etwas passieren konnte!“, ereiferte sich Schaeflein, um sich gleich darauf mit Blick zur Zimmerdecke zu bekreuzigen.
„Entschuldigung, ist aber doch wahr! Da kommt eine Gefahr auf uns zu, der vielleicht einige meiner Schäflein nicht widerstehen können“, flüsterte er, so leise, dass keiner seiner Stammtischbrüder es hören konnte. „Wenn du uns jetzt nicht hilfst, dann werden wir beide eine schwere Zeit vor uns haben!“
2. Kapitel
Es war ein langer Tag gewesen heute. Für mich und für Leni. Wir waren den ganzen Tag auf den Beinen und hatten unser Büro erst am Abend wiedergesehen,