Sekt(e) oder Selters. Hannes Wildecker

Sekt(e) oder Selters - Hannes Wildecker


Скачать книгу
fragen: Was hast du gesagt? Nein, darauf wollte ich mich nicht einlassen. Nicht heute, nicht jetzt.

      „Lisa, ich muss los. In der Nähe der Diskothek liegt ein Toter. Ich bin also in deiner Nähe.“

      Im Hinausgehen hörte ich noch ein schwaches „Pah“, dann fiel die Tür hinter mir zu.

      Ich war erleichtert. Bis heute Abend würde Lisa den Vorfall vergessen haben. „Welchen Vorfall?“, fragte ich mich. Das war doch kein Vorfall, das war eine Falle, in die sie mich gelockt hatte. Eine verbale Falle, gestellt mit den Motiven weiblicher Eitelkeit. Verstehe einer die Frauen.

      Es war mir noch nie passiert, dass ich vergaß, Terry, unseren Hund, am Morgen zu begrüßen. Heute war eben alles anders gelaufen. Terry fristete sein Dasein in der ehemaligen Waschküche, einige Stufen unterhalb der Küche und verlieh anlässlich unserer Stimmen seiner Verwunderung Ausdruck darüber, dass man ihn nicht zu dieser Diskussion hinzugezogen hatte.

      ***

      Der Anruf kam vom Kriminal-Dauerdienst beim Polizeipräsidium in Trier. Ein Kollege, ich muss gestehen, seinen Namen hatte ich nicht verstanden, einer von diesen Jungspunden war in der Leitung, einer von denen, die frisch von der Polizeischule kamen und sich die ersten Sporen verdienen mussten. Wie jeder Neuling beim Kriminal-Dauerdienst.

      „Hallo, Herr Spürmann, hier hat soeben ein Herr Marx aus Forstenau - ihrem Heimatort, wie man mir sagte - angerufen. In der Nähe der Diskothek – ich gehe davon aus, Sie werden die Örtlichkeit kennen - wurde eine Leiche gefunden. Die Kollegen der Schutzpolizei Hermeskeil sind schon dort und sichern den Tatort. Hauptkommissar Peters von der Spurensicherung ist mit seinen Leuten ebenfalls bereits unterwegs.“

      Eine umfassende Information des jungen Kollegen, das musste ich zugeben. So bedankte ich mich artig und machte mich auf zum Tatort, oder wie Lisa mich selbst zitierte, zum Fundort der Leiche.

      Dass Heinz Peters die Spurensicherung übernahm beruhigte mich ungemein. Auf ihn war Verlass, in jeder Hinsicht, nicht nur in dienstlicher. Er war mir mit den Jahren, in denen wir zusammenarbeiteten, zum Freund geworden.

      Es waren nur wenige Hundert Meter zur Diskothek „Inferno“ und ich fragte mich zum wiederholten Male, wie man einer solchen Einrichtung einen solchen Namen geben konnte. Wahrscheinlich ging es heiß her in ihrem Inneren oder viele Teufelchen brachten die Junggesellen oder die, die es gerne wieder gewesen wären, auf höllische Temperaturen. Vielleicht hatte ja einer der Gäste diese Temperaturen nicht verkraftet und sein Herz war dahingeschmolzen, sozusagen. Na ja, ich würde es gleich erfahren.

      Von weitem sah ich schon die rotierenden Blaulichter der Fahrzeuge der Hermeskeiler Kollegen und fast zeitgleich mit mir traf ein Krankenwagen des DRK Zerf ein, auch mit Blaulicht und ich war erleichtert, dass man wenigstens das Martinshorn ausgeschaltet ließ.

      Ich steuerte mein treues Gefährt - ich fuhr immer noch meinen alten Opel Astra Kombi, Baujahr 1991, der mir irgendwie ans Herz gewachsen war - auf den Parkplatz der Disko und marschierte, den Notizblock in der Hand, zu der Gruppe Menschen auf einer frisch gemähten Wiese, etwas abseits der Diskothek.

      Die Kollegen vom Erkennungsdienst hatten bereits ganze Arbeit geleistet und den Tatort großräumig mit Flatterband abgesperrt. Ich sah mich um. Noch waren kaum neugierige Gaffer in der Nähe, doch das würde sich in den nächsten Minuten schlagartig ändern, dessen war ich mir ganz sicher.

      Ich ging vorbei an Kollegen der Schutzpolizei Hermeskeil und nickte ihnen zu. Die meisten von ihnen kannte ich, hatte oft Kontakt zu ihnen und was mir sehr wichtig war, sie unterstützten mich bei jedem Einsatz und ließen sich mit Begeisterung in die Ermittlungen einbinden und konnten dabei auch oftmals eigene Erfolgserlebnisse verzeichnen.

      Ein Kollege in Zivil hob das Absperrband hoch, bückte sich darunter durch und trat auf mich zu. Es war Frank Petry, der Chef der Kriminaldienststelle in Hermeskeil und dennoch nicht zuständig in diesem Fall. Oder vielleicht doch? Es würde sich sicher gleich herausstellen. Wenn es sich um einen Suizid, also einen Selbstmord handelte, dann war Petry schon zuständig und ich könnte wieder abrücken.

      Lag allerdings ein Kapitalverbrechen, ein Mord oder, sagen wir ein Todesfall mit den Merkmalen eines Fremdverschuldens vor, dann war die Mordkommission zuständig und deren Vertreter war an diesem Morgen nun einmal ich. In diesem Fall aber würde ich die Unterstützung von Petry bekommen, die ich gerne in Anspruch nehmen würde, denn die würde ich dann auch bitter nötig haben.

      Als Ermittler war ich momentan allein auf weiter Flur. Leni, meine Kollegin, hatte man offensichtlich nicht informiert, noch nicht. Die Kollegen von der KTU, der Kriminaltechnischen Untersuchung oder der SpuSi, was so viel bedeutet wie Spurensicherung, waren bereits vor Ort. Doch sie würden wieder abziehen, wenn ihre Arbeit getan war. Dann war ich auf mich selbst gestellt und für jede Hilfe dankbar.

      Noch war ich ahnungslos und wusste absolut nicht, was mich erwartete. Man hatte mir nur von einer Leiche berichtet, die man hier gefunden hatte, nicht mehr und nicht weniger.

      „Da bist du ja, Heiner!“, begrüßte mich Petry. „Ich hoffe, du machst dich gut im Deuten von Symbolen?“

      „Von welchen Symbolen? Was meinst du?“

      „Die Tote hat ein Brandmal auf der Stirn. Hat man auch nicht alle Tage, so einen Fall.“

      „Was für ein Fall? Ich glaube, du solltest mir erst einmal alles erzählen, was du weißt. Was ist hier passiert. Und bitte eines nach dem anderen. Wer hat die Leiche gefunden?“, fragte ich Petry.

      „Einer der Inhaber der Disko. Miguel Marx heißt er. War total übernächtigt. Wenn du ihn brauchst, hier ist seine Anschrift. Wie er mir sagte, ist er heute Morgen gegen acht Uhr hierher gefahren. Weil er nicht schlafen konnte, wollte er in der Diskothek noch etwas aufräumen. Er hat die verpackte Leiche gefunden und sofort den Notruf gewählt. Aber was hier passiert ist, kann ich dir nicht sagen. Da musst du die Spurensicherung fragen“, antwortete Petry und fuhr sich durch das lichte Haar, das über der Stirn fast völlig fehlte und an den Seiten von seiner ursprünglichen braunen Farbe bereits ins Graue wechselte.

      Petry war wie ich kurz vor fünfzig und in einem Jahr würden sich die restlichen Haare wohl alle verabschiedet haben.

      „Was ich dir sagen kann ist, dass es sich um eine Frau handelt, die man in einer Decke eingewickelt hier abgelegt hat.“

      „Todesursache?“

      Petry zuckte die Achseln.

      „Auch das musst du die Kollegen von der SpuSi fragen, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind. Dauert sicher noch etwas.“

      Ich hob das Flatterband mit der Aufschrift „Kriminalpolizei“ an und kletterte darunter durch. Petry folgte mir wortlos. Dann erkannte ich auch schon die beiden Kollegen der Kriminaltechnik, die sich in gebeugter Haltung vor der Leiche befanden und über etwas zu diskutieren schienen.

      Der ältere von ihnen war Heinz Peters. Als er auf uns aufmerksam wurde, drehte er sich in meine Richtung. Auch der junge Kollege neben ihm drehte sich kurz um, nickte mir mit einem freundlichen „Hallo“ zu und widmete sich wieder seiner Arbeit.

      Hallo. Das ist heute der Gruß der jungen Leute. Oder hey, aber Sprüche wie Guten Tag, den haben sie kaum noch drauf.

      „Wieso bin ich eigentlich der Erste, der hier am Tatort auftaucht, obwohl du gerade mal einen Steinwurf weit entfernt deine Wohnung hast?“, begann Peters zu spötteln, wurde aber sogleich wieder ernst und stand auf, wobei er sich mit der linken Hand den Rücken hielt.

      „Es wird immer schlimmer mit dem Kreuz. Ischias. Ein eingeklemmter Nerv“, stöhnte er. „Kommt neuerdings immer häufiger vor.“

      „Ja, das Alter.“ Ich nickte und lachte kurz auf. „Vorzeitige Rente, die einzige wahre Lösung für das Übel.“

      „Die einzige Lösung? Heiner, du weißt, wie alt ich bin, wie alt wir beide sind. Wenn wir heute Feierabend machen, mit dem Segen aller Doktoren, wird uns das ganz schön auf den Geldbeutel schlagen. Die Zeiten, wo du an eine vorzeitige Pensionierung aus Krankheitsgründen ohne Abzüge denken konntest sind


Скачать книгу