Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
habe ich alles Notwendige organisiert. Dann werden wir wieder hier sein, und ich erwarte Sie mit den unterschriebenen Dokumenten. Damit Sie sichergehen, dass ich keine Einwände gegen den Wortlaut habe, können Sie mir die Entwürfe vorher zukommen lassen.« Er übergab Silvia Wallert seine Visitenkarte. »An unten stehende Faxnummer oder E-Mail-Adresse können Sie alles senden.«
Die Umstehenden schnappten nach Luft, denn er war jetzt sehr forsch und fordernd aufgetreten.
»Was ist? Ich werde Sie dann innerhalb von Stunden in die Grabkammer bringen. Denken Sie, dass es schneller geht, wenn Sie jetzt weitergraben? Oder haben Sie Angst, dass ich das Grab bis dahin leere? Verdoppeln Sie die Wachen, wenn Sie sich auf diese Weise sicherer fühlen.«
Mit mürrischen Gesichtern gab das Grabungsteam klein bei, doch der leitende Regierungsbeamte schien mehr als nur verärgert. Als sich die Gruppen trennten, trat in einem günstigen Augenblick der Beamte, den Karim so herzlich begrüßt hatte, an ihn heran.
»War es wirklich notwendig, meinen Chef so zu reizen?«
»Es tut mir leid, mein Freund, aber ich musste diesem Kamal den Wind aus den Segeln nehmen. Er war dabei, alles wieder zu kippen. Du kannst deinem Boss sagen, dass ich in den nächsten Tagen dem Ministerium für ägyptische Altertümer eine außerordentlich großzügige Spende zukommen lasse. Das sollte ihn etwas beschwichtigen. Außerdem sind die Grabbeigaben wirklich eine kleine Sensation und werden sich im Museum als ein weiterer Magnet erweisen.«
»Aber wie sollen wir der Öffentlichkeit das Verschwinden der Mumie erklären? Ich vermute, das wird auch seine größte Sorge sein. Wenn die Forscher ihren Fund publik machen und die Beigaben ausgestellt werden, kommen mit Sicherheit Fragen nach der Toten auf.«
Al-Kismetbahrs Blick richtete sich kurz nach innen, aber schon wenig später zeigte ein Aufleuchten seiner Augen, dass ihm eine Lösung eingefallen war.
»Ich vermute, die Archäologen werden ein oder zwei Tage brauchen, um alles zu fotografieren und zu dokumentieren. Dann sollten wir die Bergung der Mumie vor den Augen der Medien vornehmen. Alles Weitere werde ich organisieren.«
Fragend sah ihn sein Gesprächspartner an, doch Karim schüttelte nur den Kopf.
»Es ist besser, wenn ihr nichts darüber wisst, und jetzt geh wieder zu deinen Kollegen, sie mustern uns schon skeptisch.«
Der Beamte nickte, drehte sich um und wollte gehen, doch Al-Kismetbahr griff schnell nach seinem Arm und flüsterte ihm mit unterdrückter Stimme zu:
»Berichte deinem Boss von unserem Gespräch. Stell es so hin, als hättest du mir große Vorhaltungen gemacht und ich würde jetzt nachgeben. Du hast erreicht, dass die Mumie für kurze Zeit in meiner Anwesenheit untersucht werden darf. Sag ihm aber auch, dass nichts ohne mein Beisein geschieht und ich den Transport und alles andere organisiere.«
Ein verständnisloser Blick war die Antwort, doch mit einer auffordernden Geste verabschiedete sich Karim und folgte seinen Freunden zum Auto.
Auf dem Rückweg waren zunächst nur wenige Worte gefallen. Safi hatte darum gebeten, bei seinem Vater bleiben zu dürfen, und Al-Kismetbahr hatte nur zu gerne zugestimmt. Der Zeitpunkt schien günstig, um die Bande zwischen Vater und Sohn wieder enger zu knüpfen. Der Geländewagen war beim Vermieter abgegeben, und Sarah saß auf dem Beifahrersitz des BMW. Sie grübelte immer noch über das Gehörte, als Karim das Schweigen endlich brach.
»Wie denkst du jetzt über mich und meine Geschichte?«
Sie brauchte einen Augenblick, um in die Wirklichkeit zurückzukommen, und mit schleppender Stimme kam ihre Antwort.
»Ich bin verwirrter denn je. Kann kaum fassen, was ich heute erfahren habe, und hoffe, dass du mir alles erklärst.«
Ihre Augen suchten die von Karim, doch der blickte konzentriert auf die Straße.
»Stimmt es, was ich jetzt vermute?«
»Wenn diese Vermutung einen ununterbrochenen Erinnerungsstrang an ein Leben seit jener Zeit betrifft, dann ja«, sagte er nüchtern.
»3188 Jahre?«
»Und noch einige mehr. Rechne meine Zeit in China und Japan dazu, dann, nach meinem erneuten Erwachen, eine längere Zeitspanne während meiner Reise von China hierher. Ach so, und vergiss die paar Jahre nicht, die ich als Günter Kaufmann in Deutschland gelebt habe.«
Sarah schluckte.
»Wie viele Jahre zusammengerechnet?«
Das erste Mal seit den Gesprächen an der Grabungsstelle blickte er sie kurz an. Die Leere und Trauer in seinen Augen erschreckte Sarah zutiefst.
»Ich kann es dir nicht genau sagen, denn irgendwann habe ich den Überblick verloren. Als ich wieder zu mir kam, erwartete ich, in meinem alten Leben zurück zu sein, doch ich befand mich an der gleichen und doch nicht gleichen Stelle. Die Landschaft war nur wenig verändert, aber es gab keinen Weg mehr, keine Spur vom Kloster, weder Ruinen noch anderes deutete auf Leben in dieser Gegend hin.«
Die Nüchternheit, mit der er sprach, verstärkte Sarahs Beklemmung, aber aus Furcht, er könne wieder aufhören mit seiner Geschichte, wagte sie nicht, davon zu sprechen.
»Ziellos wanderte ich durch die Gegend und merkte bald, dass ich noch weiter in die Vergangenheit zurückgeraten war. Nichts von dem, was ich von China kannte, gab es schon. Ich verließ das Land und wanderte durch Tibet, das zu jener Zeit nur sehr dünn besiedelt war. Lange hielt es mich aber nicht in dieser Gegend. Ruhelos streifte ich kreuz und quer durch ganz Asien. Der siebenjährige Erneuerungszyklus setzte wieder ein, und ich wagte es nicht, irgendwo sesshaft zu werden. Drei Zyklen bei sibirischen Nomaden und drei bei Bewohnern des laotischen Hochlandes zählten zu den längeren Perioden. Meist verließ ich die Menschen, bei denen ich verweilte, spätestens mit der zweiten Erneuerung. Nur einmal hielt ich mich fast dreißig Jahre an einem Ort auf. Eine Frau im heutigen Indien hatte mein Herz erobert, doch auch diese Ehe blieb kinderlos, was unser Zusammenleben belastete. Die Veränderungen, denen ich unterliege, scheinen mich zeugungsunfähig gemacht zu haben.«
Die Erwähnung einer weiteren Frau in seinem Leben versetzte Sarah einen Stich ins Herz. Obwohl sie wusste, dass eine endlos erscheinende Zeitspanne seitdem vergangen war, fragte sie:
»Hast du sie auch so geliebt wie Kazuko?«
Die Art, wie sie fragte, veranlasste