Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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ma­ni­pu­lierst dein Er­schei­nungs­bild?«

      »Lei­der ist es in die­sem Jahr­hun­dert un­um­gäng­lich ge­wor­den, zu sol­chen Mit­teln zu grei­fen, doch auch da­mit ge­ra­te ich lang­sam an mei­ne Gren­zen. Durch DNA-Er­ken­nung und die welt­wei­te Ver­net­zung ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis mir je­mand auf die Spur kommt.« Er stöhn­te lei­se auf. »Wo und wie kann ich mich dann noch ver­ber­gen. Ich wür­de zum Ver­suchs­ka­nin­chen oder zum Spiel­ball der Mäch­ti­gen. Flucht wäre kaum noch mög­lich. Ich bin in ei­ner Zeit an­ge­kom­men, in der ich mir den Tod sehn­li­cher wün­sche, als je zu­vor, doch der wird mir ver­wei­gert.«

      Die Ent­rüs­tung, die Sa­rah emp­fun­den hat­te, ver­ebb­te. Sie ver­setz­te sich in sei­ne Si­tua­ti­on und ahn­te, wie er sich fühl­te, aber stär­ker denn je mel­de­ten sich die Stim­men in ihr. Sie ver­such­te sie zu ver­ste­hen, doch es ge­lang ihr nicht.

      Gün­ter hat­te sich ab­ge­wandt und schi­en auf die Land­schaft un­ter ih­nen zu bli­cken, doch er sah nicht, dass Kai­ro in Sicht kam. Sei­ne Ge­dan­ken hat­ten einen Punkt er­reicht, der ihn je­des Mal wie­der in Nie­der­ge­schla­gen­heit ver­setz­te.

      Sa­rah horch­te im­mer noch in sich hi­n­ein, als sie auf­ge­for­dert wur­den, die Gur­te an­zu­le­gen. Die Lan­dung ver­lief pro­blem­los, und als der Pi­lot sie ver­ab­schie­de­te, fiel Sa­rah auf, dass ihn Gün­ters Aus­se­hen nicht im Min­des­ten zu ver­wun­dern schi­en.

      »Kennt er dich und dei­ne Ver­gan­gen­heit?«, frag­te sie beim Ver­las­sen des Flug­zeu­ges.

      »Wie kommst du denn dar­auf?«

      »Er schi­en nicht er­staunt über dei­ne Ver­än­de­rung.«

      »Als wir die Ma­schi­ne be­tra­ten, sah er mich so, wie ich jetzt bin.«

      Bei der Ver­mu­tung, die ihr kam, stöhn­te Sa­rah lei­se auf.

      »Du ma­ni­pu­lierst auch die Ge­dan­ken an­de­rer. Du setzt die Nin­ja­küns­te ein, die du einst ab­ge­lehnt hast.«

      Ein Schau­er lief ihr über den Rücken, und zum wie­der­hol­ten Mal an die­sem Tag sah sie ihn mit Zwei­fel im Her­zen an.

      Gün­ter blieb ste­hen und such­te den Blick­kon­takt zu ihr.

      »Zeig mir einen an­de­ren Weg, und ich neh­me ihn ger­ne an.«

      Sa­rah schwieg und las in sei­nem Ge­sicht, wäh­rend er fort­fuhr:

      »Ich ver­su­che es zu ver­mei­den, wo es nur geht, doch wenn Eile ge­bo­ten ist oder Ge­fahr für mich und an­de­re be­steht, grei­fe ich bis­wei­len dar­auf zu­rück. Das ge­schieht aber nur, wenn an­de­re da­durch nicht zu Scha­den kom­men.«

      Wie er es einst selbst ge­tan hat­te, als er mit die­sem Kön­nen kon­fron­tiert wur­de, frag­te Sa­rah mit leich­tem Vor­wurf in der Stim­me:

      »Wo ziehst du die Gren­ze? Ist nicht schon der kleins­te An­satz frag­wür­dig?«

      Gün­ter schloss die Au­gen und schüt­tel­te be­dau­ernd den Kopf, doch Sa­rah war noch nicht fer­tig.

      »Machst du das auch mit mir? Muss ich mir Ge­dan­ken ma­chen, dass du mich zu Din­gen bringst, die ich ei­gent­lich nicht will?«

      Sie sah die Trau­rig­keit in sei­nen Au­gen, als er sie wie­der an­blick­te, aber sie woll­te in die­sem Mo­ment nicht auf ihre Ge­füh­le hö­ren und mach­te eine auf­for­dern­de Ges­te.

      »Es steht dir frei, nach Hau­se zu flie­gen. Der Pi­lot wird nach ei­ner vor­ge­schrie­be­nen Pau­se wie­der star­ten, und ich kann al­les Not­wen­di­ge ver­an­las­sen.«

      Der Trotz in sei­ner Stim­me pass­te nicht zu sei­nem sons­ti­gen Ver­hal­ten.

      »Da­von war kei­ne Rede. Ich habe dich nur et­was ge­fragt und er­war­te eine Ant­wort.«

      »Und ich kann dir nur sa­gen, was du in dei­nem Her­zen wis­sen müss­test: Ich habe es nicht ge­tan und wer­de es nie­mals tun!« Er hol­te tief Luft. »Warum soll­te ich auch«, setz­te er mit trau­ri­ger Stim­me hin­zu.

      Sa­rah nahm den Weg in Rich­tung Ter­mi­nal wie­der auf, doch die Miss­s­tim­mung, die sich zwi­schen ih­nen auf­ge­baut hat­te, war greif­bar.

      Ein langes Leben

      Dank Ka­rims Au­to­ri­tät war mit Sa­rahs Visa al­les pro­blem­los ver­lau­fen, und bald sa­ßen sie in ei­nem kli­ma­ti­sier­ten BMW, des­sen Fah­rer sie er­war­tet hat­te. Dun­kel­heit hat­te sich schon über das Land ge­senkt, und sie ka­men auf dem Au­to­bahn­ring zü­gig vor­an. Der Chauf­feur sah wie­der­holt ver­wun­dert in den Rück­spie­gel, denn so schweig­sam kann­te er sei­nen Fahr­gast nicht. Im­mer, wenn er Ka­rim Al-Kis­met­bahr ge­fah­ren hat­te, war die Zeit bei Ge­sprä­chen schnell ver­gan­gen. Doch dies­mal herrsch­te an­ge­spann­tes Schwei­gen. Es schi­en von der hüb­schen eu­ro­päi­schen Frau aus­zu­ge­hen, und Safi frag­te sich, warum der gute Freund sei­ner Fa­mi­lie, sie mit­ge­bracht hat­te.

      Zu Be­ginn der Fahrt hat­te er im Auf­trag sei­nes Va­ters sei­nem För­de­rer und Chef Al-Kis­met­bahr ei­ni­ge wich­ti­ge Mit­tei­lun­gen ge­macht. Einen Teil da­von hat­te die­ser der Frau of­fen­sicht­lich über­setzt, doch bis auf eine Es­sens­be­stel­lung per Han­dy fie­len kei­ne wei­te­ren Wor­te. Des­halb war er froh, als sie das No­bel­vier­tel am Ran­de von Ker­da­sa er­reich­ten und er sei­ne Fahr­gäs­te bei Ka­rims An­we­sen ab­set­zen konn­te. Schnell half er das Ge­päck ins Haus tra­gen und nahm auch noch das be­stell­te Es­sen ent­ge­gen, das in die­sem Mo­ment ge­lie­fert wur­de. Nach­dem sie noch kurz den nächs­ten Tag be­spro­chen hat­ten, ver­ließ er auf­at­mend das Grund­stück.

      Er wohn­te in der Nähe und war glück­lich über die­se An­stel­lung. Das ge­le­gent­li­che Chauf­fie­ren war nur ein klei­ner Teil sei­nes Jobs, war er doch an vie­len wich­ti­gen ge­schäft­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten be­tei­ligt. In Zei­ten, die Al-Kis­met­bahr fern von Ägyp­ten ver­brach­te, lief al­les über ihn. Als Ver­bin­dungs­mann hat­te Safi weit­rei­chen­de Voll­mach­ten, und er war es ge­we­sen, der Ka­rim am Mor­gen an­ge­ru­fen hat­te. Er frag­te sich, warum sein Va­ter und Ka­rim so auf­ge­regt we­gen des al­ten Gra­bes wa­ren. Al­ler­ding gab es vie­le Ge­heim­nis­se, in die ihn die bei­den nicht ein­ge­weiht hat­ten. Viel­leicht war es auch bes­ser so, dach­te er, denn er woll­te nicht zu­rück zu dem Be­dui­nen­le­ben sei­nes Va­ters.

      Safi Al-Me­schwesch hat­te sei­ne Woh­nung er­reicht. Er hol­te sich ein Bier aus dem Kühl­schrank und ließ sich in einen Ses­sel fal­len. Un­ter ei­nem genüss­li­chen Seuf­zer rann der ers­te Schluck durch sei­ne Keh­le. Die An­span­nung fiel von ihm ab, und er dach­te an den Abend, als ihn Ka­rim das ers­te Mal mit die­sem Ge­tränk in Be­rüh­rung ge­bracht hat­te.

      Safi hat­te sich ge­schüt­telt, denn es er­schi­en ihm zu bit­ter, doch um Al-Kis­met­bahr nicht zu ver­let­zen, trank er die Fla­sche wi­der­wil­lig aus. Sie sa­ßen an ei­nem La­ger­feu­er am Ran­de der Wüs­te, und die Stil­le un­ter dem nächt­li­chen Ster­nen­him­mel hat­te sich be­ru­hi­gend auf sei­ne See­le ge­legt. Im Nach­hi­n­ein war ihm be­wusst ge­wor­den, dass Ka­rim Ort und Zeit mit Be­dacht ge­wählt hat­te. Es half Safi mit vie­lem zu ver­söh­nen und Tü­ren für Kom­pro­mis­se zu öff­nen.

      An sei­nem zwei­und­zwan­zigs­ten


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