Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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da sie noch zwei Bil­der für ihr ägyp­ti­sches Visa brauch­te. Wäh­rend Sa­rah mit der Tech­nik kämpf­te, er­kun­dig­te sich Gün­ter nach dem Stand der Vor­be­rei­tun­gen. Al­les schi­en bes­tens zu lau­fen. Der Flug­plan war ge­neh­migt, die Ma­schi­ne start­klar, und der Pi­lot war­te­te auf ihre An­kunft.

      Über das Ge­ne­ral Avia­ti­on Ter­mi­nal check­ten sie pro­blem­los ein, und nur kur­ze Zeit spä­ter be­stie­gen sie die Cess­na. Der Pi­lot, der sie an Bord in Emp­fang nahm, wirk­te bei dem Ge­spräch, das Gün­ter mit ihm führ­te, selt­sam ab­we­send. Sa­rah konn­te sich aber nicht rich­tig dar­auf kon­zen­trie­ren, da sie das Ge­fühl hat­te, bei ih­rem Be­glei­ter sei ir­gend­et­was an­ders. Ver­geb­lich such­te sie nach der Ur­sa­che, doch kaum war der Pi­lot in der Kan­zel ver­schwun­den, schi­en al­les wie vor­her zu sein. Gün­ter ge­lei­te­te sie zu ei­nem der be­que­men Le­der­ses­sel und nahm ihr ge­gen­über Platz.

      »Es kann ein paar Mi­nu­ten dau­ern, bis wir star­ten dür­fen«, sag­te er und ent­nahm dem Kühl­fach, das zwi­schen den Sit­zen in der Ver­klei­dung ein­ge­baut war, eine Fla­sche Mi­ne­ral­was­ser. Nach­dem er sie in die da­für vor­ge­se­he­ne Ver­tie­fung ne­ben sich ge­stellt hat­te, öff­ne­te er ein an­de­res Fach und brach­te zwei Glä­ser zum Vor­schein. Er hielt ihr eins ent­ge­gen und frag­te:

      »Du auch? Oder willst du et­was an­de­res trin­ken? Es sind noch an­de­re Ge­trän­ke da.«

      »Nein, ein Schluck Was­ser wäre gut«, sag­te sie mit mü­der Stim­me.

      Wäh­rend Gün­ter ihr ein­goss, mus­ter­te er sie prü­fend.

      »Es geht dir al­les zu schnell, und du weißt nicht, was du von all­dem hal­ten sollst«, stell­te er nüch­tern fest.

      Sa­rah nahm einen kräf­ti­gen Schluck, such­te sei­nen Blick­kon­takt und sag­te:

      »Ein biss­chen von bei­dem.« Sie at­me­te ge­räusch­voll ein. »Doch das heißt nicht, dass ich die Wahr­heit dei­ner Wor­te an­zweifle oder be­reue, an die­ser Rei­se teil­zu­neh­men. Aber ich su­che nach Ant­wor­ten, nach ei­nem Sinn in all­dem.«

      Gün­ter lach­te mit ei­nem ge­quäl­ten Ge­sichts­aus­druck lei­se auf.

      »Nach ei­nem Sinn in all­dem su­che ich schon lan­ge. Und mit der Wahr­heit ist das so eine Sa­che. Ich habe und wer­de dich nie­mals be­lü­gen, doch wenn ich dir nur einen Teil der In­for­ma­tio­nen gebe – sei es, weil ich nicht mehr preis­ge­ben will oder es nicht bes­ser weiß –, kannst du zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis kom­men wie ich. Nach mei­ner Er­fah­rung gibt es nicht nur eine Wahr­heit, und nicht nur ein Weg führt zum Ziel. Vie­le Wege ver­bin­den sich, vie­le In­for­ma­tio­nen be­ein­flus­sen sich, ver­än­dern die Ge­ge­ben­hei­ten, die Rich­tung, wer­den zu ei­nem Gan­zen und füh­ren viel­leicht zu ei­nem ganz an­de­ren Er­geb­nis als einst an­ge­nom­men.«

      »Puh, soll das hei­ßen, dass ich mir jetzt Ge­dan­ken ma­chen muss? Dass du mir we­sent­li­che Din­ge vor­ent­hältst und doch ein ganz an­de­rer bist, als ich an­neh­me?«, frag­te Sa­rah mit ei­nem Stirn­run­zeln.

      »Nein.« Gün­ter lä­chel­te sie an und hielt ih­rem for­schen­den Blick stand. »So war das nicht ge­meint. Doch ich habe ges­tern Abend zum Bei­spiel nicht er­zählt, was ge­schah, als ich beim An­blick des bren­nen­den Shao­lin den Tod er­hoff­te. So, wie ich ge­en­det habe, muss­test du an­neh­men, ich sei in mein al­tes Le­ben zu­rück­ge­kehrt, und ob­wohl ich das wuss­te, habe ich dich nicht kor­ri­giert. Nicht, weil ich dich be­lü­gen woll­te, son­dern weil mir die Kraft fehl­te, an die­sem Tag noch mehr preis­zu­ge­ben. Also kamst du zu ganz an­de­ren An­nah­men. Des­we­gen sind sie aber nicht falsch, dir feh­len nur we­sent­li­che Tei­le des Puzz­les, und das ist so groß, dass wir noch ei­ni­ge Ge­sprä­che füh­ren müs­sen, da­mit du alle Tei­le zu­sam­men­be­kommst.«

      Sa­rah sann über sei­ne Wor­te nach. Sie fühl­te sei­ne Ehr­lich­keit, und auch in sei­nen Au­gen konn­te sie kei­nen Wi­der­spruch dazu fin­den.

      »Weißt du denn, was ich an­ge­nom­men habe?«

      »Nur das, was ich dir schon sag­te, weil ich ei­gent­lich be­wusst dei­ne Ge­dan­ken in die­se Rich­tung ge­führt habe. Aber ich ver­mu­te, dass du dir schon eine be­stimm­te Er­klä­rung zu­recht­ge­legt hat­test, die durch un­ser Ge­spräch wäh­rend der Fahrt al­ler­dings nich­tig wur­de. Lass dir je­doch das eine sa­gen: Ich selbst habe das Rät­sel noch nicht ge­löst. Viel­leicht bin ich so­gar wei­ter da­von ent­fernt als du.«

      Sa­rah schüt­tel­te den Kopf.

      »Du irrst dich. Ich war die hal­be Nacht mun­ter, und dut­zen­de Er­klä­run­gen ka­men mir in den Sinn, doch eine er­schi­en mir un­wahr­schein­li­cher als die an­de­re. Ich hat­te ge­hofft, sie heu­te von dir zu er­hal­ten, und jetzt sagst du, dass du kei­ne hast.« Sie schloss die Au­gen und fuhr sich mit der Hand übers Ge­sicht. »Warum nimmst du an, dass ich der Lö­sung nä­her bin als du, wenn ich noch nicht ein­mal alle Tei­le zu­sam­men­ha­be?«

      »Aus ei­nem star­ken in­ne­ren Ge­fühl he­r­aus und weil du al­les aus ei­nem an­de­ren Blick­win­kel siehst.«

      Gün­ter füll­te sein Glas ein wei­te­res Mal und leer­te es in gie­ri­gen Zü­gen.

      »Wel­che Ver­mu­tun­gen er­schie­nen dir denn bis­her am wahr­schein­lichs­ten?«, frag­te er sie un­ver­mit­telt.

      Ein biss­chen über­rascht von der Fra­ge, sann sie einen Mo­ment nach.

      »Ich dach­te an eine Wie­der­ge­burt dei­ner See­le oder dass du Er­in­ne­run­gen an ein frü­he­res Le­ben auf­ar­bei­test. Was ja ir­gend­wie zum Bud­dhis­mus passt, mit dem du in dei­nem neu­en Le­ben so in­ten­siv in Be­rüh­rung kamst. An­de­rer­seits sagst du, dass du die­sen Glau­ben nicht an­ge­nom­men hast, und sprichst auch von ei­nem fort­lau­fen­den Er­in­ne­rungs­strang, ei­nem lan­gen Le­ben. Was über­haupt nicht dazu pas­sen will. Heu­te be­rich­test du mir dann von meh­re­ren Iden­ti­tä­ten, ei­nem Dop­pel­le­ben, und al­les wird noch mys­te­ri­öser. Doch in mir gibt es seit ges­tern Stim­men. Sie spre­chen mit mir, aber ich kann sie nicht ver­ste­hen. Sie las­sen mich Din­ge wis­sen, die mir un­be­kannt sein müss­ten. Brin­gen mich dazu Tai-Chi aus­zu­füh­ren, ob­wohl ich es nur aus dei­ner Ge­schich­te ken­ne. Ich hing nie ir­gend­ei­nem Glau­ben an, was al­les nur noch schwe­rer zu ma­chen scheint.«

      »Oder auch viel leich­ter«, warf Gün­ter ein.

      »Wie meinst du das?«

      »Du bist nicht ge­fan­gen in ir­gend­wel­chen Dog­men. Gehst un­vor­ein­ge­nom­men an die Sa­che ran und zwei­felst mei­ne Ge­schich­te nicht an.«

      »Weil du sie mir auf eine Art ver­mit­telt hast, an die ich nie­mals glau­ben wür­de, wenn ich sie nicht selbst er­lebt hät­te.« Sa­rah hielt ihm ihr lee­res Glas hin und Gün­ter goss nach. »Ver­mut­lich hast du recht, denn mir feh­len wirk­lich noch zu vie­le Ein­zel­hei­ten, um mein Bild zu ver­voll­stän­di­gen. Es wäre mir auch lie­ber, wenn ich die wei­te­re Ge­schich­te so er­fah­ren könn­te wie die bis­he­ri­ge. Könn­ten wir nicht da wei­ter­ma­chen, wo wir am Abend ge­en­det ha­ben?«

      Gün­ter schüt­tel­te den Kopf.

      »Dazu fehlt mir im Mo­ment die Ruhe. Ich muss mich auf die nächs­ten Tage vor­be­rei­ten, und dazu brau­che ich mei­ne gan­ze Ener­gie.«

      Die


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