Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
jetzt, dazu fehlt mir die Zeit. Willst du oder nicht?«, fragte er ungeduldig.
»Ja, ich will. Ich kann mich jetzt nicht von dir trennen, ohne noch einige Erklärungen zu erhalten.«
»Den Wunsch habe ich auch. Also gut, hast du einen Pass?«
»Ja, aber nicht dabei.«
»Hm, dann müssen wir bei dir vorbeifahren«, sagte Günter nachdenklich. »Na gut, egal, ich muss jetzt noch einige Anrufe erledigen, und du gehst bitte die Straße runter zur Hausnummer vier. Dort wohnt eine ältere Dame – Frau Hillrich –, sie kümmert sich ums Haus, wenn ich nicht da bin. Ihr gibst du bitte den Schlüssel und bittest sie, hier aufzuräumen. Die Lebensmittel soll sie mitnehmen, die werden sonst nur schlecht.«
Günter überreichte ihr einen einzelnen Hausschlüssel und drückte Sarah auch noch seinen Autoschlüssel in die Hand.
»Wenn du wiederkommst, fährst du mein Auto aus der Garage und deins rein. Nimm den Schlüssel von der Haustür mit, der schließt auch die Garage.«
Sarah war verwundert über die Hektik des sonst so ruhigen Mannes, nickte aber, blies die Kerze aus und wollte den Tisch abräumen.
»Das macht Frau Hillrich. Geh und beeil dich«, sagte er drängend, während er schon die nächste Telefonnummer eintippte.
Sarah hatte Günters Aufträge erledigt und kehrte zurück, als er, mit gepackter Reisetasche, die Treppe herunterkam. Er beendete das Telefonat, das er beim Gehen noch führte, und nahm von Sarah die Schlüssel entgegen. Im Wohnzimmer griff er zu Stift und Papier, schrieb schnell ein paar Zeilen für Frau Hillrich und legte dann, nach Sarahs Ansicht, eine recht große Summe in Scheinen auf das Blatt.
Im Auto fragte Günter nach Sarahs Adresse. Erfreut stellte er fest, dass die knapp hundert Kilometer bis dorthin fast auf dem Weg lagen, und die Hektik fiel langsam von ihm ab.
»Entschuldige bitte den übereilten Aufbruch«, begann er mit der ruhigen, warmen Stimme, die sie so berührte. »Ich werde versuchen, dir das Wichtigste auf unsere Reise zu erklären. Doch zuerst einmal einiges zum weiteren Ablauf.«
Sie verließen die Ortslage, und er beschleunigte den Wagen so stark, dass Sarah einen leichten Druck in der Magengegend verspürte. Dennoch fühlte sie sich sicher bei ihm und war neugierig auf das angekündigte Gespräch.
»Während du draußen warst, habe ich unseren Flug klar gemacht und uns in Kairo angekündigt.«
»Wann startet das Flugzeug, und wie ist dir das so schnell gelungen?«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, und das spöttische Lächeln in seinen Zügen schien nicht zu ihm zu passen.
»Du weißt noch sehr wenig über mich«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu.
»Aber ... Ich dachte, ich habe an diesen zwei Tagen sehr viel über dich erfahren«, kam es zögernd über ihre Lippen.
»Und doch ist es nur ein Bruchteil von dem, was ich dir noch erzählen könnte.« Er konzentrierte sich kurz auf den Verkehr und fuhr dann fort. »Ich hatte mit diesem Teil meines Traumlebens begonnen und ...«
Sarah schüttelte unwillig den Kopf und setzte zu einem Einwand an, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Belass es bitte bei dieser Bezeichnung, und bilde dir erst eine Meinung, wenn du von dem erfahren hast, was dir in den nächsten Tagen begegnen wird.«
Sarah nickte resignierend.
»Also gut, von wo und wann geht unser Flug?«
Bemüht sachlich antwortete er:
»Mein Jet startet in München, sobald wir da sind.«
»Dein Jet?« Sie riss die Augen auf. »Du besitzt ein eigenes Flugzeug?«
Er lachte ein wenig gequält.
»Mein Leben hat es mit sich gebracht, dass ich einiges besitze und beherrsche, was ich am liebsten gar nicht möchte.«
Nach einer kleinen Pause, in der Sarah ihn immer noch verwundert ansah, fuhr er fort:
»Die Cessna steht in München und ist Teil einer Flotte, deren Mitgesellschafter ich bin. Sie kann auch von anderen gemietet werden, doch ich habe einige Vorrechte. Im Moment ist sie glücklicherweise frei. Die Vorbereitungen für den Start sollten jetzt schon laufen, und der Flugplan wird eingereicht.«
Sarah nahm von der Fahrt fast nichts mehr wahr, denn sie konnte kaum fassen, wie wenig sie über diesen Mann wusste.
»Das klingt fast so, als würdest du auch das Fliegen übernehmen.«
»Ich könnte, wenn ich wollte, doch auf diesem Flug werde ich mich auf das Kommende vorbereiten müssen, und ein Pilot der Gesellschaft übernimmt den Job.«
»Ich fasse es nicht.« Zum ersten Mal überkam Sarah etwas Unruhe in seiner Gesellschaft. »Und ich dachte, ich kenne dich schon ganz gut«, fügte sie leise hinzu.
Günter spürte die leichte Unsicherheit und suchte für einen Moment ihren Blick.
»Ich bin nicht anders, als du mich schon kennengelernt hast, es gibt allerdings ein paar Facetten, die dir noch nicht bekannt sind.« Er richtete den Blick wieder auf die Straße. »Wenn du jetzt Abstand von der Reise nehmen willst, kann ich das verstehen, aber ich fahre nicht mehr zurück, du müsstest dein Auto dann selbst holen.«
Sarah hatte nachdenklich auf ihre Hände geblickt, doch ohne Zögern kam ihre Antwort:
»Nein, auf keinen Fall! Ich spüre immer noch, dass uns Dinge verbinden, die ich unbedingt ergründen will.«
Leiser setzte sie hinzu:
»Auch wenn ich langsam begreife, dass ich vermutlich erst ganz am Anfang stehe.«
In ihrer Wohnung hatte sich Sarah umgezogen, einen kleinen Koffer gepackt und ihre Nachbarin gebeten, sich um die Blumen zu kümmern. Nun saßen sie wieder im Auto und fuhren auf der A9 in Richtung München. Bisher hatten die beiden nur über die Reise gesprochen, doch jetzt äußerte Günter weiterführende Gedanken.
»Warst du schon mal in Ägypten?«, fragte er sie.
»Nein, weiter als bis Italien bin ich noch nicht gekommen.«
»Hm, dann muss ich dir jetzt ein bisschen was erklären.«
Er überlegte kurz, wie er beginnen sollte, und sagte dann einleitend:
»Seit Mursi und seine Muslimbrüder an der Macht sind, hat sich einiges geändert, doch meine Position in diesem Land ist unangefochten.« Er deutete aufs Handschuhfach. »Öffne bitte die kleine Ledertasche,