Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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      »Das ist nicht das ein­zi­ge Ziel. Ich möch­te auch ver­hin­dern, dass die To­ten­ru­he der Frau ge­stört wird. Und das wird ver­mut­lich das grö­ße­re Pro­blem sein«, ant­wor­te­te er ge­dan­ken­ver­lo­ren.

      »Also wie?«, dräng­te sie wei­ter.

      »Du wirst da­bei sein, und ich wer­de über­set­zen, was du nicht ver­stehst«, sag­te er ab­wei­send und dreh­te sei­nen Kopf zur Sei­te.

      Sa­rah be­ob­ach­te­te ihn wei­ter, denn sie hoff­te, er wür­de mehr preis­ge­ben, doch bald wur­de ihr klar, dass er mit sei­nen Ge­dan­ken al­lein sein woll­te.

      Sie fuh­ren bis ans süd­li­che Ende von Sak­ka­ra, und als in der Fer­ne Py­ra­mi­den und Grab­hü­gel auf­tauch­ten, be­gann Sa­rah zu ah­nen, dass Un­ge­wöhn­li­ches auf sie zu­kam. Als der Wa­gen in öst­li­che Rich­tung ab­bog und sie in den ver­win­kel­ten Stra­ßen ei­ner grö­ße­ren Ort­schaft die Ori­en­tie­rung ver­lor, be­ru­hig­te sie sich aber wie­der. Doch nur bis sie bei ei­nem Au­to­ver­leih in einen be­reit­ste­hen­den Ge­län­de­wa­gen stie­gen, den Ka­rim dann steu­er­te. Safi hat­te die Kühl­box mit den Was­ser­fla­schen um­ge­la­den, und sie fuh­ren zu­rück in Rich­tung Wüs­te. Am Ran­de des grü­nen Gür­tels, der vom Nil aus­ging, fuh­ren sie auf ei­ner Wüs­ten­stra­ße in nord­west­li­che Rich­tung. Wenn der leich­te Wind die Staub­fah­ne lich­te­te, die ihr Auto auf­wir­bel­te, konn­te sie nörd­lich im Dunst wie­der die Gra­b­an­la­gen se­hen. Sie wa­ren noch nicht sehr weit ge­fah­ren, als Ka­rim in die Wüs­te ein­bog. Sie fuh­ren in die Rich­tung der Py­ra­mi­den, die Sa­rah se­hen konn­te. Fahr­spu­ren zeig­ten, dass sie nicht die Ers­ten wa­ren, die die­sen Weg nah­men, und Sa­rahs Ver­wun­de­rung wur­de im­mer grö­ßer. Die Un­ge­wiss­heit des Be­vor­ste­hen­den mach­te ihr zu schaf­fen, doch Ka­rim hat­te eine Mau­er des Schwei­gens um sich ge­zo­gen, und Safi hat­te bis­her nur ara­bisch ge­spro­chen.

      Die Fahr­spu­ren vor ih­nen hat­ten die Rich­tung er­neut ge­wech­selt und führ­ten jetzt ge­nau nach Nor­den. Die im Dunst ver­fal­len wir­ken­de Py­ra­mi­de, die sie zu­erst ge­se­hen hat­te, lag mitt­ler­wei­le hin­ter ih­nen. Nord­öst­lich kam eine grö­ße­re Py­ra­mi­de in Sicht, aber Ka­rim fuhr jetzt nach Wes­ten auf eine klei­ne Fels­for­ma­ti­on zu. Der Gra­bungs­schutt, der zu bei­den Sei­ten der Fahr­spur auf­ge­wor­fen war, zeig­te, dass vor nicht all­zu lan­ger Zeit auch hier eine Grab­su­che statt­ge­fun­den hat­te. Kurz be­vor sie den Fel­sen, der aus dem Wüs­ten­sand rag­te, er­reicht hat­ten, wur­den sie an ei­ner Ab­sper­rung ge­stoppt.

      Die Wach­mann­schaft, die den Gra­bungs­be­reich vor Neu­gie­ri­gen ab­si­cher­te, woll­te sie nicht pas­sie­ren las­sen. Al-Kis­met­bahr zück­te schon sein Han­dy, um einen klä­ren­den An­ruf zu tä­ti­gen, als ein wei­te­rer Wa­gen ne­ben ih­nen stopp­te, aus dem drei für den Ort un­pas­send ele­gant ge­klei­de­te Män­ner aus­stie­gen. Zu­min­dest einen von ih­nen schi­en Al-Kis­met­bahr per­sön­lich zu ken­nen, denn die Be­grü­ßung war sehr herz­lich. Ein an­de­rer wies sich bei den Wa­chen als Re­gie­rungs­be­am­ter aus, der für die Gra­bungs­ge­neh­mi­gun­gen zu­stän­dig war, wor­auf­hin ih­nen der Zu­gang ge­stat­tet wur­de.

      Die Au­tos hat­ten sie ste­hen las­sen und wa­ren zu Fuß auf eine Grup­pe Zel­te zu­ge­gan­gen, die vor der Aus­gra­bung stan­den. Dort wur­den sie schon von zwei Frau­en und vier Män­nern un­ge­dul­dig er­war­tet. Eine der Frau­en und zwei Män­ner, die of­fen­sicht­lich Eu­ro­pä­er wa­ren, wirk­ten be­son­ders zor­nig. Kaum wa­ren die Be­am­ten und Al-Kis­met­bahrs Grup­pe bei ih­nen an­ge­kom­men, er­gin­gen sie sich in ei­nem ag­gres­si­ven Wort­schwall, dem selbst die Ägyp­ter kaum fol­gen konn­ten. Nur mit Mühe ge­lang es den Re­gie­rungs­ver­tre­tern, sie zu be­ru­hi­gen, und sie wie­sen auf Ka­rim, der vor­trat und das Wort er­griff.

      »Mein Name ist Ka­rim bin Azmi bin Ha­lim Al-Kis­met­bahr und es stimmt, ich bin da­für ver­ant­wort­lich, dass Ihre Gra­bung ge­stoppt wur­de«, sag­te er auf Eng­lisch.

      Ei­ner der ägyp­ti­schen Män­ner des Teams er­ging sich in ei­ner ara­bi­schen Schimpf­ti­ra­de, doch Ka­rim un­ter­brach ihn in be­wusst ru­hi­gem Ton­fall.

      »Bit­te spre­chen Sie Eng­lisch, mei­ne Be­glei­te­rin kann dem Ge­spräch sonst nicht fol­gen.«

      Der Mann schnapp­te nach Luft und woll­te wie­der los­le­gen, wur­de aber von der Eu­ro­päe­rin un­ter­bro­chen, die ihm einen be­ru­hi­gen­den Blick zu­warf.

      »Mein ver­ehr­ter Kol­le­ge will sa­gen, dass es uns un­ver­ständ­lich ist, warum Sie un­se­re Gra­bung ver­hin­dern wol­len. Und mit wel­chem Recht ...«

      »Sehr ge­ehr­te Frau …«

      Fra­gend sah Ka­rim sie an.

      »Wal­lert, Dok­tor Sil­via Wal­lert.«

      Ihr Ak­zent wies sie ein­deu­tig als Schwei­ze­rin aus.

      »Sehr ge­ehr­te Frau Dok­tor Wal­lert«, be­gann Al-Kis­met­bahr er­neut, »kei­ner will Ihre Gra­bung ver­hin­dern. Ver­mut­lich wäre ich auch nicht dazu in der Lage. Im Ge­gen­teil, ich möch­te ih­nen un­ter be­stimm­ten Be­din­gun­gen so­gar mei­ne Hil­fe an­bie­ten.«

      »Was für Be­din­gun­gen? Wir ha­ben die­ses Grab ent­deckt, und wir ha­ben die Ge­neh­mi­gung der Re­gie­rung zur Gra­bung er­hal­ten. Was wol­len Sie da für Rech­te an­mel­den?«, fuhr der ägyp­ti­sche Ar­chäo­lo­ge da­zwi­schen.

      »Das Recht ei­nes Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen, der die­ses Grab mit Freun­den pflegt«, mel­de­te sich eine Stim­me aus dem Hin­ter­grund.

      Alle Köp­fe ruck­ten he­r­um und starr­ten den Neu­an­kömm­ling an. Nur Ka­rim nick­te ihm, ohne Er­stau­nen zu zei­gen, zu. Der breit­schult­ri­ge Be­dui­ne mach­te auf alle großen Ein­druck. Sei­nen bei­ge­far­be­nen Kaftan säum­te eine gold­gelb durch­wirk­te Bor­te, und er wirk­te un­pas­send edel für die­sen Ort. Mit ei­ner ru­hi­gen Be­we­gung lüf­te­te er den Teil des Tur­ban­tu­ches, der als Staub­schutz Mund und Nase be­deck­te, und of­fen­bar­te sei­ne mar­kan­ten Ge­sichts­zü­ge. Der gut ge­stutz­te graue Voll­bart ver­barg die vol­len Lip­pen kaum, und die kräf­ti­ge Nase ver­lieh dem Ge­sicht eine her­ri­sche Note. Die schma­len, tief lie­gen­den Au­gen zeig­ten eine Ener­gie, die je­den in ih­ren Bann zog, und als sein Blick Safi streif­te, husch­te ein trau­ri­ger Schat­ten über sein Ant­litz.

      Der im­pul­si­ve Ägyp­ter, der sich als Ers­ter wie­der ge­fasst hat­te, fuhr den Be­dui­nen an:

      »Wer sind Sie denn?«

      Ka­rim über­nahm die Ant­wort:

      »Das ist Za­rif bin Ka­dir bin Na­bil Al-Me­schwesch, ein Freund mei­ner Fa­mi­lie.«

      »Und, was hat er hier zu su­chen?«

      »Er will ih­nen zu­sam­men mit mir bei der Grab­öff­nung be­hilf­lich sein, wenn Sie auf un­se­re Be­din­gun­gen ein­ge­hen.«

      Zor­nes­rö­te stieg in das Ge­sicht des Ägyp­ters, und er setz­te zu ei­ner neu­en Schimpf­ka­no­na­de an. Die Schwei­ze­rin leg­te be­ru­hi­gend ihre Hand auf sei­ne Schul­ter und sag­te ver­mit­telnd:

      »Mein Kol­le­ge kann – wie auch ich – nicht ver­ste­hen, was Sie dazu be­rech­ti­gen soll­te, Be­din­gun­gen zu stel­len?«


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