Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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den Kopf.

      »Und schon sind wir wie­der an dem Punkt, der uns ent­zweit hat. War­te hier, ich möch­te dir et­was zei­gen«, sag­te er beim Auf­ste­hen und ging ins Zelt.

      Kur­ze Zeit spä­ter kam er mit ei­nem ak­ku­rat ge­web­ten Sitz­kis­sen zu­rück, ging in die Hocke, nahm das, auf dem er ge­ses­sen hat­te, in die an­de­re Hand und hielt bei­de Safi ent­ge­gen.

      »Wel­ches Kis­sen ist bes­ser?«

      »Was soll denn das jetzt wie­der?«, fauch­te Safi un­ge­hal­ten.

      »Be­ant­wor­te ein­fach mei­ne Fra­ge, ohne gleich wie­der ag­gres­siv zu wer­den.«

      Safi hol­te tief Luft, schloss kurz die Au­gen und dach­te an die Ge­sprä­che mit Ka­rim zu­rück. Der hat­te ihm oft sei­ne un­ge­dul­di­ge und in­to­le­ran­te Art, die er vor al­lem ge­gen­über sei­nem Va­ter an den Tag leg­te, vor Au­gen ge­führt. Mit ei­nem Lä­cheln öff­ne­te er die Li­der, mus­ter­te die Kis­sen ein­ge­hend und sag­te:

      »Na­tür­lich das, auf dem du ge­ses­sen hast.«

      Za­rif nick­te.

      »Gut, und warum? Das an­de­re hier scheint doch per­fek­ter zu sein. Kei­ne Web­feh­ler, fei­ne­re Fä­den, ma­kel­lo­se Mus­ter. Wes­halb wür­dest du das alte Kis­sen dem neu­en vor­zie­hen?«

      Schon wie­der woll­te Un­ge­duld in Safi auf­stei­gen, doch er be­herrsch­te sich und sag­te be­tont ru­hig:

      »Weil ich das­sel­be weiß wie du. Das neue­re Kis­sen ist in­dus­tri­ell ge­fer­tigt und taugt nicht für das All­tags­le­ben. Je­den­falls nicht bei uns. Die fei­ne­ren Fä­den sind bei dem stän­di­gen Ge­brauch hier viel schnel­ler durch­ge­scheu­ert, der all­ge­gen­wär­ti­ge Sand tut ein Üb­ri­ges. Bei dem an­de­ren Kis­sen wur­de die Schaf­wol­le mit Ka­mel­haar ge­mischt, wo­durch die Fä­den viel halt­ba­rer sind. Die Fül­lung des al­ten Kis­sens ist auch bes­ser zum Sit­zen ge­eig­net. Sie …«

      »Blei­ben wir mal beim Be­zug, denn der spielt bei dem, was ich dir er­klä­ren will, die Hauptrol­le«, un­ter­brach ihn sein Va­ter.

      Er setz­te sich wie­der auf das alte Kis­sen und leg­te das an­de­re zwi­schen sie.

      »Du weißt, dass un­se­re Frau­en die Kis­sen nach der al­ten Tra­di­ti­on fer­ti­gen. Da wir nicht aus­rei­chend Ka­mel­haar be­schaf­fen kön­nen, wer­den die meis­ten Be­zü­ge aus rei­ner Schur­wol­le ge­webt, was wir den Be­su­chern im­mer ge­sagt ha­ben, und wenn ei­ner ein tra­di­tio­nel­les ha­ben woll­te, hat er es für einen an­ge­mes­se­nen Preis auch be­kom­men. Eine Zeit­lang war die Nach­fra­ge so groß, dass wir we­der die einen noch die an­de­ren an­bie­ten konn­ten. Da ha­ben wir uns ent­schlos­sen, Be­zü­ge hin­zu­zu­kau­fen. Einen sol­chen siehst du hier.«

      Za­rif zeig­te auf das Kis­sen zwi­schen ih­nen.

      »Es hat uns nichts als Är­ger ge­bracht. Die Käu­fer ha­ben be­merkt, dass sie die glei­chen an­ders­wo zu ei­nem güns­ti­ge­ren Preis kau­fen konn­ten. Dass die Her­stel­lung nichts mit der Le­bens­we­se hier zu tun hat, und sie fühl­ten sich be­tro­gen. Wir muss­ten für eine ge­wis­se Zeit einen ge­wal­ti­gen Image­scha­den hin­neh­men, von dem wir uns nur mit Mühe er­holt ha­ben. Jetzt ver­zich­ten wir auf das Ge­schäft, wenn wir kei­ne Be­zü­ge vor­rä­tig ha­ben, aber den Frau­en kann ge­gen ein Bak­schisch beim We­ben zu­ge­se­hen wer­den. Es kommt so­gar vor, dass wir Be­stel­lun­gen ent­ge­gen­neh­men und den Be­zug, des­sen Her­stel­lung ge­se­hen wur­de, zu ei­nem deut­lich hö­he­ren Preis zu­sen­den. Die Käu­fer füh­len sich aber nicht be­tro­gen, im Ge­gen­teil, sie sind glück­lich über das ein­ma­li­ge Pro­dukt. Die Men­schen kom­men hier­her, weil sie für eine be­grenz­te Zeit ih­rem hek­ti­schen Le­ben ent­flie­hen wol­len. Sie ge­nie­ßen es, das Ur­sprüng­li­che zu se­hen und zu füh­len. Des­halb wer­den sie bei ei­nem Ka­mel­ritt viel in­ten­si­ve­re Er­in­ne­run­gen mit­neh­men als bei ei­ner Fahrt mit dem Jeep. Sie wis­sen, dass sie auf Dau­er ih­rem All­tag nicht ent­flie­hen kön­nen und tra­gen oft eine große Sehn­sucht nach dem ein­fa­chen Le­ben in sich, das sie hier se­hen. Auch wenn ih­nen die Wirk­lich­keit hier viel­leicht nicht ge­fal­len wür­de, die Träu­me dazu kön­nen wir ih­nen ge­ben.«

      Er rück­te sich zu­recht und füll­te die Tas­sen noch ein­mal mit ara­bi­schem Kaf­fee.

      »Aus die­ser Sicht musst du un­se­re Le­bens­wei­se beim Um­gang mit den Frem­den se­hen. Das an­de­re, was du mit dem in der Ver­gan­gen­heit ver­haf­tet sein meinst, be­ruht zu ei­nem großen Teil auf mei­nem Wis­sen über die Ge­schich­te un­se­res Vol­kes. Den Teil, der mit dem Grab zu­sam­men­hängt, wirst du in den nächs­ten Ta­gen durch Ka­rim er­fah­ren. Ich möch­te dem jetzt nicht vor­grei­fen, denn wenn er wirk­lich den Fluch bre­chen kann, ist es nicht mehr nö­tig, dir die Ge­schich­te auf die alt­her­ge­brach­te Wei­se mit­zu­tei­len.«

      Safi setz­te zu ei­ner Ent­geg­nung an, doch sein Va­ter un­ter­brach ihn.

      »Lass es bit­te da­bei be­wen­den. Ich möch­te dir aber einen an­de­ren Teil un­se­rer Fa­mi­li­en­ge­schich­te wei­ter­ge­ben, da­mit du mei­ne Le­bens­wei­se bes­ser ver­stehst.«

      Fra­gend sah Za­rif sei­nen Sohn an:

      »Wenn du nicht selbst nach­ge­forscht hast, dürf­ten dir kaum Hin­ter­grün­de zu un­se­rem Fa­mi­li­enna­men be­kannt sein.«

      »Ja, es hat mich bis­her we­nig in­ter­es­siert und heu­te habe ich zum ers­ten Mal et­was von der al­ten Ge­schich­te der Me­schwesch ge­hört. Bis­her ging ich im­mer da­von aus, dass Me­schwesch nicht mehr als ein Clan- oder Fa­mi­li­enna­me ist.«

      Za­rif nick­te.

      »Ja, über die Jah­re wur­de vie­les über un­se­re Her­kunft ver­ges­sen und von man­chen un­se­rer Vor­fah­ren auch be­wusst ver­drängt. Ei­ner­seits kön­nen wir stolz auf das große Volk der Me­schwesch sein, an­dern­teils gibt es auch dunkle Fle­cken. Dein Groß­va­ter hat mir al­les, was ihm be­kannt war, über­lie­fert, an­ge­fan­gen von den Kampf­hand­lun­gen, die Al-Kis­met­bahr heu­te bei dem Grab er­wähn­te. Aus de­nen ging die Streit­macht des Pha­rao sieg­reich her­vor und un­ser Volk war ge­zwun­gen, sei­ne Le­bens­wei­se grund­le­gend zu än­dern, denn Ram­ses III oder sei­ne Rat­ge­ber ver­folg­ten eine gut durch­dach­te Stra­te­gie. Das No­ma­den­le­ben un­se­res Vol­kes hat­te ein Ende, und wir wur­den im Nil­del­ta an­ge­sie­delt. Un­ser Volk be­kam Land, aber nicht zu­sam­men­hän­gend, son­dern ver­streut zwi­schen den ur­sprüng­li­chen Be­woh­nern. Fast alle gu­ten Krie­ger wur­den in die Streit­macht des Pha­rao in­te­griert, an­de­re ka­men ent­spre­chend ih­ren Fä­hig­kei­ten bei Hand­wer­kern oder Vieh­züch­tern un­ter. Die Stam­mes­füh­rer er­hiel­ten hohe Po­si­tio­nen in der Ver­wal­tung oder in lo­ka­len Tem­peln. Kei­ner hat­te mehr Grund, Feind­schaft ge­gen das ägyp­ti­sche Volk zu he­gen, da sie selbst zu Ägyp­tern ge­wor­den wa­ren. Es leb­te sich nicht schlecht in die­ser neu­en Ge­sell­schaft, zu­mal es un­se­ren Füh­ren mit der Zeit ge­lang, ein klei­nes Fürs­ten­tum der Me­schwesch zu bil­den. Der Ah­nen­li­nie un­se­rer Fa­mi­lie ent­stam­men die Fürs­ten, die durch klu­ge Po­li­tik im­mer wei­ter in die Füh­rungs­rie­ge Ägyp­tens auf­stie­gen. Schließ­lich wur­de Sche­schonq I Kö­nig von Un­terägyp­ten und in sei­nem fünf­ten Re­gie­rungs­jahr Herr­scher über ganz


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