Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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et­was in Er­wä­gung zieht. Des­halb der Wunsch nach ei­ner Flucht aus dem Le­ben.«

      »Und Ka­rim weiß das al­les?«

      »Er hat es nie so di­rekt aus­ge­spro­chen wie du.« Wie­der stieg das Blut in Nailahs Wan­gen. »Aber sei­ne Wor­te sag­ten mir, dass er mein In­ners­tes er­kannt hat­te und al­les wuss­te. Zu­erst dach­te ich, dass auch er sich die­se Fil­me rein­zog, doch bald er­kann­te ich sei­ne an­de­re Sei­te, die viel­leicht nicht ein­mal du kennst. Ka­rim ist an­ders, er hat Ver­ständ­nis für al­les und eine be­son­de­re Art, da­mit um­zu­ge­hen.«

      »Kei­ne Ah­nung, was für eine Sei­te du meinst, aber of­fen­bar hast du ihn in den we­ni­gen Ta­gen bes­ser ken­nen­ge­lernt als ich in meh­re­ren Jah­ren.«

      Nai­la lach­te kurz auf.

      »Und da woll­te ich dir Tipps ge­ben, wie man einen Mann be­tört. Die könn­te ich mir ver­mut­lich bei dir ho­len.« Sie such­te Sa­rahs Blick­kon­takt. »Wo­her weißt du, dass er kein Make-up mag, und warum hast du die String­tan­ga ab­ge­lehnt?«

      »Weil er mir al­les, bis ins kleins­te De­tail, über sei­ne größ­te Lie­be er­zählt hat. Über ein Le­ben mit ei­ner Frau, die Au­ßer­ge­wöhn­li­ches in sich ver­ein­te. Sie war klug, selbst­be­wusst, sen­si­bel und hat­te eine Art, mit dem Le­ben um­zu­ge­hen, die vie­len un­mög­lich er­scheint. Auch sie moch­te kein Make-up und ver­stand es, Ka­rim mit Halb­ge­zeig­tem mehr in Fahrt zu brin­gen als mit Of­fen­sicht­li­chem.«

      Nailahs Au­gen wa­ren bei je­dem Wort grö­ßer ge­wor­den.

      »Das hat er dir al­les er­zählt? Sol­che in­ti­men Sa­chen?«

      »Ja und auf eine Art, die du dir nicht vor­stel­len kannst. Doch das ist jetzt ne­ben­säch­lich. Ich bin mir nicht mehr so si­cher, ob ich die In­itia­ti­ve er­grei­fen soll. Viel­leicht ist es bes­ser, wenn ich erst ein­mal ab­war­te, wie sich al­les wei­ter­ent­wi­ckelt.«

      »Hm, warum? Du hast von der Frau im­mer in der Ver­gan­gen­heits­form ge­spro­chen. Also gehe ich da­von aus, dass die­se Be­zie­hung nicht mehr be­steht. Ich habe ihn bis heu­te auch nie mit ei­ner Frau ge­se­hen, die sei­ne Part­ne­rin sein könn­te, und nahm im­mer an, dass er ein Ein­zel­gän­ger ist.«

      »Ein Ein­zel­gän­ger ist er be­stimmt nicht, das kann ich mit Si­cher­heit sa­gen. Die Frau, von der ich sprach, ist auch schon vor ei­ni­ger Zeit, durch tra­gi­sche Um­stän­de ums Le­ben ge­kom­men, aber in Ge­dan­ken hängt er im­mer noch an ihr. Was mich am meis­ten ver­un­si­chert, ist die kur­ze Zeit, die wir uns erst ken­nen. Kann ich da wirk­lich über­zeugt sein, dass ich ihn lie­be?«

      »Ge­wiss, auch ich habe mich so ver­hal­ten, als ich die­se Ge­füh­le für ihn heg­te. Ob es al­ler­dings eine Lie­be ist, die Be­stand hat – die auch im All­tag be­ste­hen kann –, das kann nur die Zeit zei­gen.«

      »Hat er dich ab­ge­wie­sen, oder hast du dich ihm nie er­klärt?«

      Nailah hol­te tief Luft.

      »O doch, das habe ich, aber viel­leicht habe ich da­bei auch jede Men­ge Feh­ler ge­macht.«

      Sa­rah war­te­te, dass sie wei­ter­sprach, doch Nailah blick­te nach­denk­lich auf ihre Kaf­fee­tas­se.

      »Ent­schul­di­ge, ich woll­te nicht an Din­gen rüh­ren, die mich nichts an­ge­hen.«

      Aus ih­ren Ge­dan­ken ge­ris­sen, sah Nailah hoch und schüt­tel­te leicht den Kopf.

      »Nein, das sind kei­ne Ge­heim­nis­se. Ich dach­te nur ge­ra­de an die­se Zeit, die in vie­ler Hin­sicht an­ders und zum Teil schö­ner war.«

      Sie wink­te der Be­die­nung und be­stell­te zwei Kaf­fee mit et­was Ge­bäck.

      »Doch der Rei­he nach, wir ha­ben ja noch Zeit. Ich habe Ka­rim Al-Kis­met­bahr bei mei­ner frü­he­ren Ar­beit ken­nen­ge­lernt. Stolz auf mei­nen frisch er­wor­be­nen Dok­tor­ti­tel in Ägyp­to­lo­gie trat ich eine Stel­le im Mi­nis­te­ri­um für Al­ter­tü­mer an. Wäh­rend ei­nem mei­ner ers­ten Feld­e­in­sät­ze soll­te ich mich auf An­wei­sung mei­ner Vor­ge­setz­ten mit ei­nem Ken­ner der alt­ägyp­ti­schen Ge­schich­te be­ra­ten. Sei­ne Hin­wei­se soll­te ich un­be­dingt be­ach­ten.«

      Nailah lach­te kurz auf.

      »Es kam mir wie eine Ohr­fei­ge vor. Ich hat­te mir den Ti­tel er­ar­bei­tet. Nach mei­ner An­sicht war mir al­les be­kannt, was es über die Pha­rao­nen­zeit zu wis­sen gab, und da soll­te ich einen un­be­kann­ten Möch­te­gern-Ar­chäo­lo­gen als Be­ra­ter ak­zep­tie­ren? Wü­tend er­war­te­te ich den Mann an der Gra­b­an­la­ge. Ich hat­te mir einen schö­nen Plan zu­recht­ge­legt, um ihn gleich auf­lau­fen zu las­sen, doch der ging gründ­lich da­ne­ben.«

      Bei den Bil­dern, die in ih­rer Vor­stel­lung auf­stie­gen, muss­te sie kurz auf­la­chen.

      »Das Ers­te, was mich ver­un­si­cher­te und nach­hal­tig be­ein­fluss­te, war sei­ne Aus­strah­lung. Bei der Be­grü­ßung konn­te ich nur müh­sam den Blick von ihm wen­den, und ähn­lich er­ging es al­len an­de­ren in un­se­rem Team. Aber das kennst du ja si­cher?«, sag­te sie mit ei­nem Sei­ten­blick auf Sa­rah.

      »Un­se­re ers­te Be­geg­nung ver­lief et­was an­ders, denn ich war in die­sem Au­gen­blick am Tief­punkt mei­nes Le­bens an­ge­langt, doch ich kann es mir leb­haft vor­stel­len.«

      »Wie dem auch sei, bei mir war es so, dass ich, nach­dem ich mich wie­der ge­fan­gen hat­te, mei­nen schön durch­dach­ten Plan in An­griff nahm. Ich woll­te al­len zei­gen, dass mein Wis­sen weit über dem sei­nen lag und wir eine Un­ter­stüt­zung nicht nö­tig hat­ten. In ei­nem Pries­ter­grab, nach da­ma­li­ger Da­tie­rung um 1250 v. Chr. an­ge­legt, wa­ren bei Re­stau­rie­rungs­ar­bei­ten über­mal­te Hie­ro­gly­phen zum Vor­schein ge­kom­men, de­ren Hin­ter­grün­de ich he­r­aus­zu­fin­den soll­te. Ich führ­te Ka­rim in das Grab und zeig­te ihm die be­sag­te Stel­le. Ein­ge­hend be­trach­te­te er die Wand, be­leuch­te sie mit ei­nem Schein­wer­fer aus ver­schie­de­nen Win­keln und er­schi­en ein we­nig rat­los. Sie­ges­si­cher äu­ßer­te ich be­wusst eine Un­wahr­heit über den Text an der Wand, um sei­ne man­geln­de Fach­kennt­nis bloß­zu­stel­len.«

      Nailah stieß ge­räusch­voll Luft durch die Nase aus und ver­zog den Mund zu ei­nem schie­fen Lä­cheln.

      »Als hät­te er nichts an­de­res er­war­tet, sag­te er mit ei­nem be­zeich­nen­den Un­ter­ton:

      ›Sie wis­sen es doch bes­ser. Die­ses Grab des Vor­le­se­pries­ters Qen­a­mun wur­de un­ter an­de­ren vom Bild­hau­er Hui und Vor­zeich­ner Amun­was­hu ge­stal­tet, den­sel­ben Hand­wer­kern, die auch im Grab des Pa­ser er­wähnt wer­den. In­so­fern stimmt die Da­tie­rung des Gra­bes in etwa, aber ich gehe da­von aus, dass es zehn bis fünf­zehn Jah­re jün­ger ist als das Grab des Pa­ser. Die Re­li­efs im Ein­gangs­be­reich und die Ma­le­rei­en hier sind fei­ner ge­ar­bei­tet und wei­sen auf eine bes­se­re Fer­tig­keit der Hand­wer­ker hin.‹

      Ich war für einen Mo­ment un­fä­hig, ver­ständ­li­che Sät­ze zu bil­den, und frag­te stot­ternd, wie er auf die­se Hand­wer­ker kom­me.

      ›Soll­ten sie die Na­mens­kar­tu­sche hier nicht ken­nen?‹, frag­te er mit ei­nem süf­fi­san­ten Lä­cheln und deu­te­te auf die von Amun­was­hu. ›Und hier, wo die al­ten Zeich­nun­gen


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