RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
Mann musste sehr groß gewesen sein, er stand aufrecht neben einem Ledersessel, seine Hand gebieterisch auf die Lehne gelegt. Er lächelte nicht, sondern blickte gestreng direkt auf den Betrachter herab.
Sie war so gefangen beim Betrachten des Bildes, dass sie ein wenig zusammenzuckte, als Rayan plötzlich neben sie trat und leise sagte: „Beeindruckend, nicht wahr? Das ist Scheich Sedat Suekran al Medina y Nayran – mein verstorbener Vater.“
Carina sah ihn an und bemerkte, dass er gedankenverloren auf das Bild starrte. Ausnahmsweise war sein Gesicht nicht ausdrucklos. Sie versuchte seinen Blick zu deuten – war es Trauer um den Vater? Bedauern seines frühen Todes? Es schien eher eine Mischung aus vielen Gefühlen zu sein und sie kam zu dem Schluss, dass das Verhältnis Rayans zu seinem Vater nicht ausschließlich gut gewesen sein konnte.
In diesem Moment bemerkte Rayan, dass sie ihn beobachtete und schlagartig war sein Gesicht wieder neutral, er sah sie an und lächelte: „Wie Sie sicher schon vermutet haben, war dies früher meines Vaters Zimmer. Ich habe es durch den Einbau von weiteren Fenstern etwas freundlicher gestaltet, ansonsten aber weitestgehend unverändert gelassen. Heutzutage nutze ich es als Gästezimmer für Freunde, die den arabischen Wohnstil bevorzugen. So, wollen wir nach unten in den Garten gehen?“
Und ohne dem Bild einen weiteren Blick zu widmen, schloss er die beiden Schiebetüren und sie gingen über den kleinen Vorplatz vor dem Zimmer zurück zur Treppe.
Erst draußen in der Sonne konnte Carina das eigenartige Gefühl, dass der Mann auf dem Bild in ihr ausgelöst hatte, abschütteln.
Sie überlegte einen Augenblick, wie es wohl gewesen wäre, ihm persönlich gegenüberzustehen und war sich nicht sicher, ob das positiv gewesen wäre. Sie seufzte.
Rayan sah sie an und lächelte wieder einmal sein ironisches Lächeln, doch diesmal galt die Ironie nicht ihr: „Es ist interessant, dass mein Vater offenbar sogar nach seinem Tod noch einen bleibenden Eindruck bei den Menschen hinterlässt.“
Und Carina begann zu ahnen, dass der Schlüssel dazu, Rayan zu verstehen, zum großen Teil im Verhältnis zu seinem Vater zu finden war. Seine so unterschiedlichen Wesenszüge, einen Moment freizügig, charmant und unwiderstehlich, dann wieder gnadenlos, brutal und absolut gewissenlos, schienen stark von ihm geprägt worden zu sein.
Sie sah ihn kurz noch einmal nachdenklich an, verkniff sich jedoch ihre Fragen, weil sie wusste, dass sie ohnehin keine Antwort bekommen würde.
Stattdessen widmete sie sich angenehmeren Dingen: dem Anblick des schönen Gartens um sie herum.
Aus der Hintertüre hinaus getreten in den Sonnenschein, stand sie an dem Pool, den sie von oben schon gesehen hatte.
Er war von einer Holzterrasse umgeben, die zum Sonnenbaden einlud. Rechter Hand war ein weißer Baldachin aufgespannt, der Schutz vor zu viel Sonne bot und Schatten auf zwei Liegen, einige weiße Korbsessel und kleine Tische warf.
Sie machten eine kleine Runde durch den Garten, am Teich vorbei, durch den Pavillon bis ans Ende des Gartens.
Als sie umdrehten, rannte Tahsin plötzlich los: „Wer zuerst im Pool ist!“ und kopfschüttelnd beobachtete sie, wie Rayan hinter Tahsin herrannte, sich nur kurz Zeit nahm seine lange Hose auszuziehen und beide hintereinander in den Pool sprangen.
Im ersten Moment hatte sie Angst, er könne in Unterhosen vor ihr im Pool plantschen, dann sah sie, dass beide wohl von vorneherein das Bad geplant hatten und bereits Badehosen angezogen hatten.
Sie setzte sich in einen der Stühle und streckte genießerisch die Beine von sich. Nach so vielen Stunden zu Pferd mit Staub und Sonne war es wunderbar, hier einfach so zu sitzen und ins Grüne zu schauen.
Wie schön alle die Pflanzen waren, nach dem vielen Gelb und Braun der Wüste, das sie in den letzten Wochen stundenlang zu sehen bekommen hatte.
Ein Bediensteter kam und bot ihr einen kühlen Eistee an, den sie dankend annahm.
Eine Weile sah sie den beiden im Pool zu, die sich wie zwei Kinder gegenseitig unterzutauchen suchten. Sie nahm an, dass Rayan absichtlich ab und zu Tahsin gewinnen lies, denn wenn sie seine Muskeln an Armen und Beinen betrachtete, hätte der Junge im Ernstfall wohl kaum eine Chance gehabt.
Carina wunderte sie sich, warum Rayan sein scheinbar unvermeidliches Muskelshirt, dass er immer unter seiner Kleidung zu tragen pflegte, auch im Wasser anhatte, dachte dann aber, dass er sich einfach bei dem Wettrennen vorhin nicht die Zeit genommen hatte, es auszuziehen.
In den kommenden Tagen lernte sie jedoch, dass er niemals ohne ein Shirt schwimmen ging.
Manchmal sah sie ihn morgens bereits vor dem Frühstück einige Bahnen schwimmen. Wenn Tahsin nicht dabei war, der morgens gerne länger schlief, alberte Rayan nicht herum, sondern schwamm mit kräftigen Zügen. Es war ein Genuss ihm zuzusehen.
„Eigenartig – wo hat er wohl so gut schwimmen gelernt? Hier im Pool wohl kaum … und in irgendeiner Oase erst recht nicht.“ Dachte sie dann und seufzend stellte sie fest, dass sie wieder eine Frage mehr hatte, anstelle Antworten zu erhalten.
2001 - Oase von Zarifa - Eine weitere Wahrheit
Rayan stürmte aus dem Zelt. Er war außer sich.
Zum einen hatte ihn der erneute Vertrauensbruch seines Vaters tief enttäuscht. Er konnte nicht verstehen, wieso er gerade Hanif von seiner Identität erzählte, der gerade versucht hatte, ihn umzubringen! Wusste sein Vater etwa nicht, dass Hanif der Schütze gewesen war? Oder glaubte er, es war ein Unfall? Aber er hatte sich vorher umgesehen, er musste Hanif bemerkt haben. Das ergab keinen Sinn.
Er selbst hatte alle seine Versprechen eingehalten und nun verriet sein Vater ihn. Immer, wenn sie sich besser zu verstehen schienen, kam das nächste Loch und eines schien tiefer als das andere zu sein.
Auf der anderen Seite hatte Hanif genauso reagiert, wie er sich die Reaktion der Menschen hier vorgestellt hatte. Er war ein Verräter und hatte Verachtung verdient. Basta.
Seine Schuld! Warum war er nicht mit Hummer und Cho zusammen von hier weggeritten?
Dafür war es nun zu spät.
Einen Moment lang erwog er, auf sein Pferd zu steigen, um nie mehr hierher zurückzukommen. Doch er war einmal weggelaufen, dieses Mal würde er es nicht tun.
Sie wollten sein Blut? Nun gut, dann sollten sie es haben. Er würde sich nicht wieder feige verstecken. Er setzte sich auf eine der Palmen Barrikaden und blickte hinaus in die Wüste. Verschämt stellte er fest, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Es war Jahre her, dass er geweint hatte, zum letzten Mal beim Tod seiner Freundin Clara in Rabea Akbar vor so langer Zeit.
So fand ihn Stunden später Ruhi. „Was ist los? Wer ist gestorben?“ fragte er, als er das Gesicht von Rayan sah.
Der war froh, dass seine Tränen schon lange getrocknet waren und Ruhi ihn nicht, wie ein Mädchen weinend vorgefunden hatte. Schöner Anführer wäre er – heulend hier sitzen. Er sagte nichts.
Und so ergriff Ruhi wieder das Wort: „Man sollte meinen, ihr seid glücklich, dass der Scheich aus seinem Koma erwacht ist, stattdessen sitzt jeder in einer anderen Ecke und sieht aus als hätte er einen Geist gesehen.“
Rayan schloss daraus, dass er zuerst bei Hanif gewesen war. „Und? Hat er es dir erzählt?“, fragte er Ruhi schließlich.
Ruhi schmunzelte: “Was soll er erzählt haben? Dass du Sedats verstorbener Sohn und von den Toten auferstanden bist? Nein, das ist mir gestern Abend von ganz alleine aufgefallen …“ Er lachte kurz auf. Dann wartete er, wie Rayan darauf reagierte, doch als von dessen Seite keinerlei Reaktion erfolgte, fuhr er fort: „Als du mir von deiner Vergangenheit erzählt hast und dann weggegangen bist – so viel Stolz und … Würde. Wie dein Vater in seiner besten Zeit. Da war es mir auf einmal klar. Es passte alles zusammen. Eure Ähnlichkeit war so offensichtlich! Ich habe mich gefragt, wieso ich es nicht schon erheblich früher bemerkt habe …“
Als Rayan noch