RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
Rabea Akbar. Ruhi hatte darauf bestanden, ihnen Begleiter mitzuschicken, schließlich „wollte er ja seine Pferde wieder haben“, doch jedermann war klar, dass das nicht der einzige Grund war. Er wusste, wie viel sie den Amerikanern zu verdanken hatten und außerdem hatte er sie inzwischen ins Herz geschlossen.
Rayan fühlte sich so alleine, wie selten zuvor in seinem Leben. Selbst Harun Said war inzwischen nach Hause zurückgekehrt, nicht ohne ihm vorher zu versprechen, das Geheimnis über seine Abstammung und sein Verhältnis zu Scheich Sedat für sich zu behalten. Auf ihn war Verlass. Er würde in wenigen Wochen zurückkehren, um Sarif und seinen Freund Resul abzuholen.
Und so kehrte die Ruhe in die kleine Oase zurück, zumindest oberflächlich, denn darunter brodelte es.
Am selben Abend gesellte sich Ruhi zu ihm. Lange Zeit saßen sie einfach so da. Dann fragte Ruhi auf einmal „warum bist du nicht mit ihnen gegangen?“ Rayan schwieg eine Zeit und antwortete dann: „Ich habe noch etwas mit eurem Herrn zu erledigen. Ich gehe erst, wenn es ihm besser geht.“
„Deine Bezahlung?“, fragte Ruhi provozierend. Ihm war klar, dass es um mehr ging. Rayan lachte auf: „Wenn es so einfach wäre … nein diesen Job habe ich tatsächlich umsonst gemacht.“
„Das dachte ich mir schon. Du bist nicht einfach nur ein Söldner, wie du uns immer weismachen willst.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Warum bleibst du nicht einfach hier bei uns? Für immer meine ich?“
Rayan seufzte: „Das geht leider nicht.“
„Warum?“, und weil er ohnehin nicht wirklich eine Antwort erwartete, setzte Ruhi noch hinzu: „Was passiert, wenn der Scheich stirbt? Wer wird dann unser Anführer?“
Rayan fühlte sich auf gefährlichem Terrain, meinte er doch zu spüren, wohin das Gespräch laufen würde. „Das ist eure Sache. Außerdem: was ist mit dir? Wie ich gehört habe, bildest du bereits seit Jahren die Krieger aus …“
Ruhi lachte kurz auf „Ja klar! Ich bin kein Anführer und das weißt du genau! Aber was ist mit dir? Warum führst du uns nicht?“ – da war es heraus. Genau davor hatte Rayan sich gefürchtet.
„Das würdet ihr nicht wollen. Und das weißt DU genau!“
Ruhi zuckte die Achseln: „Nein, weiß ich nicht, erklär es mir …"
Und gegen seinen Willen antwortete Rayan: „Weil ich keiner von euch bin – das werde ich nie sein, egal wie ich mich bemühe, meine Vergangenheit wird mir immer im Wege stehen. Sieh mich doch an! Amerikaner, ja? Das bin ich erst seitdem ich 17 Jahre alt war und sie haben es mich immer wieder spüren lassen …Ich stehe zwischen so vielen Welten, dass ich selbst nicht mehr weiß, wohin ich eigentlich gehöre …“, seine Stimme war immer leiser geworden, fast als spräche er zu sich selbst.
„Aber als unser Anführer würdest du zu uns gehören, wir wären dein Volk!“ Ruhi sagte es ebenfalls ganz leise, als wolle er Rayan nicht durch zu laute Worte vertreiben.
„Ja klar, ein Volk, das mich hassen, verachten und vermutlich auch fürchten würde! Du meinst mich zu kennen, ja? Als Anführer hätte ich strikte Prinzipien. Könntet ihr damit leben? Ich glaube nicht!“
Ruhi zuckte die Achseln: „Wenn du mich fragst, sind Prinzipien genau das, was wir brauchen …“
Rayan lachte trocken: „Ach Ruhi, du glaubst nicht, wie oft ich diese Geschichte schon gehört habe. Zunächst einmal würde ich Loyalität verlangen. Nicht nur ein wenig, sondern absolute, hundertprozentige Loyalität! Jeder Versuch mich zu hintergehen, würde bestraft werden. Du hast Yusuf gesehen und hast von seinem Ende gehört. Glaube nicht, dass ich wegen dem, was ich ihm angetan habe, auch nur eine schlaflose Nacht haben werde! Und ich würde verlangen, dass alle meine Befehle ausgeführt werden – ohne Wenn und Aber. Zuwiderhandlungen werden bestraft. Ich würde erwarten, dass jeder Mann, jede Frau und jedes Kind mir einzeln ihren Respekt erweist und ihre absolute Treue schwört …Nein, ich wäre wohl eher ein Despot denn ein echter Anführer!“
Ruhi war noch immer nicht überzeugt. „Aber du hast es im Blut! Ich habe dich gesehen. Was für ein Anblick! Du hast die Gabe die Menschen von dir und deinen Prinzipien zu überzeugen! Herrje, es ist dir gelungen einen müden Haufen alter Männer den Glauben zurückzugeben, dass sie mit 700 mittelmäßigen Kriegern eine Übermacht von 2600 Männern überleben können!“
„Und trotzdem hattet ihr alle Angst vor mir, nachdem ich Yusuf bearbeitet hatte. Ich konnte es in euren Augen sehen. Alle haben hinter meinem Rücken über mich getuschelt. Und genau das würde ich als euer Anführer nicht dulden.“
Nach einem Moment des Schweigens fuhr er fort: „Neulich in der Oase von Farah. Da war alles ganz einfach. Warum? Weil die Männer von Yuemnue faul und zufrieden waren. Keine der Wachen war richtig auf ihrem Posten. Sieben Tage in der Oase und alle sind in Lethargie verfallen.
Das würde ich niemals zulassen. Wer Wache hat, hat seinen Mann zu stehen. Aufmerksam und zu jeder Zeit. Ich habe zu viele Einsätze gemacht, in denen immer das gleiche Schema ablief: Du musst nur lange genug warten und die Wachsamkeit lässt nach.
Bei mir würde jeder Wachposten, der seine Aufgabe vernachlässigt mit der Peitsche bestraft. Glaube mir, ich habe das schon durchgezogen! Bei Einsätzen unter meiner Führung hat es niemand mehr gewagt zu schlafen. So haben wir überlebt, aber auch diese Männer haben mich gehasst.“
Wieder hielt er kurz inne und überlegte. „Oder sieh dir diesen Jungen an.“ Rayan deutete auf einen etwa Zehnjährigen, der mit den eingesammelten Patronenhülsen spielte. „Er spielt mit den Waffen. Das sollte nicht sein, ich würde ihm den Hintern versohlen, wenn ich das Sagen hätte! Waffen sind zum Kämpfen und Töten, allenfalls noch zum Trainieren, aber nicht zum Spielen da …“
Doch Ruhi lies noch immer nicht locker: „Aber genau das ist es, was ich meine. Wir brauchen diese Prinzipien. Dringender als alles andere! Und ich behaupte nochmals, dass dir Anführen im Blut liegt.“
Rayan sagte im beißenden Ton: „Und genau das ist mein Problem – mein Blut. Würdest du meine Abstammung kennen, würdest du dich noch nicht einmal mehr mit mir unterhalten.“
Ruhi stand kopfschüttelnd auf: „Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Du solltest an die Leute glauben. So wie sie an dich! Du bist ihr Held und sie jubeln dir zu, vergiss das nicht!“
Auch Rayan sprang jetzt auf. „Glaubst du nicht, dass ich das gerne täte? Aber ich bin, was ich bin und das wird keine „Heldentat“ einfach so tilgen. Und weißt du, was das ist: ein Heimatloser, ein Ausgestoßener! Dort wo ich herkomme, spucken die Leute aus, wenn sie meinen Namen hören, denn ich bin ein Verräter!“
Und damit drehte er sich um und ging hinaus in die Wüste. Ihm war selbst nicht bewusst, wie er dabei wirkte: Hoch aufgerichtet und stolz! Ganz und gar nicht wie jemand auf den die Leute spucken würden.
Er war zu aufgewühlt, um noch jemandem über den Weg zu laufen. Die Einsamkeit der Wüste hatte ihn noch immer beruhigt.
Ruhi seinerseits starrte ihm noch lange vor sich hin sinnend nach.
2014 - Tal von Zarifa - Gast des Hauses
Bevor Carina noch einmal nachfragen konnte, wurde Julie durch das Erscheinen von Rayan und Tahsin gerettet. Fast ein bisschen zu fröhlich begrüßte Julie die beiden, so als wäre sie froh, dass sie just in diesem Moment aufgetaucht waren.
Rayan erzählte gut gelaunt, dass er zusammen mit Jassim und Hanif seine Männer besucht hatte, vor allem diejenigen, die verwundet gewesen waren. Sie waren inzwischen schon einige Tage hier und hatten inzwischen Gelegenheit gehabt, sich zu erholen.
Einige von ihnen hatten sich auch gleich um die fünf Pferde gekümmert, mit denen Rayan und seine Begleiter angekommen waren. Die Tiere hatten sich gefreut, nach dem anstrengenden Ritt durch die Wüste auf die große Wiese freigelassen worden zu sein.
Was er Carina und Julie nicht sagte, war, dass er auch