RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
sie gehört hatte, dass Yuemnue das feindliche Heer anführte, hatte sie sich freiwillig gemeldet, zu helfen, wo sie konnte. Sie wusste besser als jeder andere, was den Tarmanen blühte, sollten sie unterliegen. Vor allem den Frauen!
Harun war entsetzt – und wütend! Wie hatte er sich benutzen lassen! Und nun war er sich umso sicherer, dass es definitiv Schicksal war, was sie zusammengeführt hatte.
Sie riefen Ruhi, Sedat, Hummer, Cho und Hanif zusammen und schmiedeten einen Plan: Harun würde sich verhalten, als wäre alles in Ordnung. Er würde Yuemnue erklären, dass er wieder die Flanken von zwei Seiten angreifen wollte.
Somit würden die Männer des bösartigen Scheichs, wie am Tag zuvor auch schon, in der Mitte angreifen. Sobald sie mit einem großen Teil der Männer in der Mitte zwischen den beiden Teilen des Minenfelds waren, würden seine Männer umschwenken und das Lager von Yuemnue direkt angreifen. Bis die Krieger den Hang der großen Düne wieder hinaufkämen, wäre das Lager ihres Feindes ein Aschehaufen.
Harun verabschiedete sich von Sarif, Resul, Samira und den anderen und kehrte in sein eigenes Lager zurück, um seine Vorbereitungen zu treffen. Seine Männer waren erleichtert, als sie ihn unversehrt wiedersahen. Er informierte seinen Unterfürsten über die Lage.
Der morgige Tag würde zeigen, ob es ihnen gemeinsam gelang, dem schändlichen Treiben von Yuemnue ein Ende zu setzen.
2014 - Zarifa - Neue Facetten
Rayan und Hanif beschlossen, gleich am nächsten Morgen weiterzureiten, um so schnell wie möglich das große Tal von Zarifa zu erreichen.
Nur Zati und Hassan blieben zurück, damit Zati erst einmal seine Schürfwunden auskurieren konnte.
So waren sie noch zu fünft: Rayan, Hanif, Jassim, Nihat und Carina.
Carina hatte den Scheich noch nie so entspannt gesehen. Es war, als wäre er permanent auf der Hut vor irgendwelchen Angriffen und nur im Schutze der Berge von Zarifa fühlte er sich sicher.
Sie überwanden in einer so kleinen Gruppe relativ schnell den Weg, der sie immer weiter nach oben in die höheren Lagen des Gebirges führte.
Trotzdem mussten sie einmal zwischenübernachten, da der Weg bis ins Tal nicht in einer Nacht zu schaffen war.
Sie rasteten in einer kleinen Höhle, die genau zu diesem Zweck schon mit diversen Lebensmitteln und Lagerstätten ausgerüstet war. Einige Männer hielten hier auch Wache, um den Weg nach Zarifa zu sichern.
Die Höhle war ganz in der Nähe des kleinen Tümpels, der damals, vor inzwischen dreizehn Jahren, der Grund gewesen war, warum Rayan hier geblieben war, als er die kleine Rana rettete und so die Aufmerksamkeit seines Vaters Sedat erregt hatte. Morgen früh würden sie diese Stelle nach etwa einer halben Stunde passieren.
Alle gingen früh schlafen, weil sie sich kurz vor Sonnenaufgang wieder auf den Weg machen wollten.
Sie packten ihre paar Sachen zusammen und ritten los, als sich die Sonne gerade über den Horizont schob. Da sie sich zwischen den Bergen befanden, war es noch ziemlich dunkel, doch ausreichend hell den Weg zu erkennen.
Sie mussten lediglich etwas mehr als eine halbe Stunde reiten, dann erreichten sie den Durchbruch des Flusses durch den Felsen.
Oben über der Passage, die in das eigentliche Tal von Zarifa hinein führte, grüßten sie zwei Wachposten, die sicherstellten, dass kein Unbefugter unbemerkt das Tal betreten konnte. Die Männer winkten, riefen etwas und waren dann wieder außer Sicht verschwunden.
Was Carina nicht ahnte: Sie waren mit Funktelefonen und modernen Waffen ausgestattet, damit sie eventuelle Eindringlinge auf dem engen Pfad durchaus selbst aufhalten konnten und gleichzeitig die Menschen im Tal verständigen würden.
Als die Sonne gerade über die Ränder des Tales hineinblickte, ritten sie auf der anderen Seite aus dem Felsen. Es war Absicht von Rayan gewesen, ihre Ankunft so zu timen, da er wusste, dass das Tal dann besonders beeindruckend aussah und die Schönheit im goldenen Glanz der Morgensonne noch unterstrichen wurde.
Wie üblich konnten sie im ersten Moment nach der Dunkelheit in der Höhle kaum etwas erkennen, weil sie geblendet waren, doch dann erstreckte sich das Tal in seiner ganzen Pracht vor ihnen.
Carina war sprachlos. So ein saftiges Grün, das durchzogen war von dem meist recht flachen, doch dafür etwa vier bis fünf Meter breiten Fluss!
Weiter hinten grasten friedlich ganze Pferdeherden.
Und dann sah Carina die weißen Steinhäuser der kleinen Stadt, die sich in der Nähe eines kleinen Pinienwäldchens am Tal-Ende an den Felsen schmiegte.
Sie hielten oben direkt nach dem Durchlass aus der Passage an, um den Anblick zu genießen und jeder hing seinen Gedanken nach.
Dann sagte Rayan mit einem strahlenden Lächeln: „Willkommen im Herzen von Zarifa!“, und ritt an.
Sie mussten noch langsam den steinigen Pfad hinunterreiten, um auf die Wiese zu gelangen.
Auf einmal stand etwa 100 Meter entfernt eine Gestalt, die winkte und einen schrillen Schrei ausstieß.
Carina fiel vor Schreck fast aus dem Sattel, als Rayan den Schrei in gleicher Weise erwiderte und plötzlich sein Pferd anspornte, loszurennen.
Einen Moment lang hatte sie zu tun, ihre Stute unter Kontrolle zu kriegen, die sich zunächst einmal zu einem Wettrennen herausgefordert fühlte.
Als sie die Oberhand wiedererlangt hatte, schaute sie sich nach den drei anderen Männern um, doch die grinsten nur breit und zuckten die Achseln als wollten sie sagen: „Das läuft immer so.“
Da drehte sie sich wieder nach vorne und schaute dem Schauspiel zu, das sich ihnen bot.
Rayan hatte die Distanz bis zum Wartenden im schnellen Galopp überbrückt, zügelte rechtzeitig sein Pferd auf ein nur wenig moderateres Tempo, hielt aber weiter auf die Person zu.
Carina konnte erkennen, dass es sich um einen jungen Burschen handelte, noch ein halbes Kind.
Kurz hatte sie Angst, Rayan würde ihn umreiten, doch dann sah sie, wie sich der Junge mit einem geschickten Sprung hinter ihm aufs Pferd schwang.
Dann erst wendete Rayan seinen Schimmel und kam im langsamen Galopp wieder auf sie zu.
Jassim maulte gutmütig: „Jedes Mal der gleiche Leichtsinn.“ Doch auch er grinste dabei.
Die beiden Reiter hatten sie fast wieder erreicht, beide lachten spitzbübisch ob ihres gelungenen Stunts und im gleichen Moment als Rayan ihr mit hörbarem Stolz in der Stimme zurief: „Darf ich vorstellen, mein Sohn Tahsin!“, erkannte sie die Ähnlichkeit.
Die gleichen dunklen Haare, die Haut insgesamt noch etwas dunkler als bei seinem Vater, aber die gleichen blauen Augen – unverkennbar!
Tahsin lächelte verlegen und hier war ein Punkt, der auffallend unterschiedlich zwischen den beiden war: Während Rayan meistens sarkastisch war und ironisch lächelte, war das Lächeln von Tahsin natürlich und unverfälscht.
„Willkommen in Zarifa, ich hoffe, es wird Ihnen bei uns gefallen“, sagte er scheu. Er sprach ebenfalls Deutsch, aber mit einem eindeutigen, amerikanischen Akzent! Sie schätzte ihn auf nicht älter als 15 Jahre und auf ihre Frage antwortete er, dass er vor wenigen Monaten 14 geworden war.
Wieder einmal stellte Carina für sich fest, dass sie keine Ahnung hatte, wer der Scheich wirklich war.
Immer, wenn sie meinte, ihn nun kennengelernt zu haben, kam wieder eine neue Facette seiner Persönlichkeit hinzu.
Während sie alle gemeinsam weiter in Richtung Tal-Ende und Stadt ritten, plauderte Rayan halblaut mit Tahsin und sie scherzten und lachten viel.
Carina fragte Hanif, woher der Junge von ihrer Ankunft gewusst hatte und wieder fühlte sie sich ein wenig blamiert als Hanif wie selbstverständlich erklärte, dass die beiden gestern telefoniert hatten