RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
Der tat, als wäre nichts geschehen und fragte nur: „Wo geht’s lang?“
Rayan wusste nicht, ob er diesen Mann bewundern oder sich über ihn ärgern sollte …
2014 - Zarifa - Endlich da
Als Rayan nach seiner Auseinandersetzung mit Carina zurück ins Lager kam, wartete Jassim schon auf ihn. Als er das Gesicht seines Herrn sah, warf er ihm einen fragenden Blick zu. Doch der Scheich schüttelte lediglich den Kopf, also hakte Jassim nicht weiter nach.
Kurz danach kam auch Carina.
Hanif, der sowohl Rayans, als auch Carinas Rückkehr beobachtet hatte, fragte ihn ein wenig später, ob alles in Ordnung sei, doch auch er bekam nur ein Kopfschütteln und ein unbestimmtes „soll einer die Frauen verstehen.“ Und da er merkte, dass Rayan verstimmt war, beschloss er lieber aus dem Schussfeld zu gehen.
Sie packten zusammen und ritten los.
Carina war verwirrt. Was hatte sie Falsches gesagt? Aber dann beschloss sie, nicht mehr länger zu grübeln, das würde bloß ihre Vorfreude schmälern, denn sie war sehr gespannt auf Zarifa.
Am späten Nachmittag, als die Sonne schon sehr tief stand, hielten sie auf der Düne oberhalb von Zarifa an.
Das Gebirge erstreckte sich von hier aus gesehen, sowohl nach rechts als auch nach links und sie konnten auf die Oase hinunter sehen. Von der Schlacht, die hier 13 Jahre früher stattgefunden hatte, konnte man inzwischen nichts mehr erkennen. Die Oase erstrahlte in einem satten Grün, was nach der Eintönigkeit der Wüste fast wie ein kleines Wunder wirkte.
Carina war begeistert.
So schön hatte sie sich den Anblick nicht vorgestellt. Eigentlich hatte sie nicht recht gewusst, was sie überhaupt erwarten sollte. Dass das Gebirge derart groß war, übertraf all ihre Fantasien.
Und dann ritten sie los, hinunter nach Zarifa.
Endlich!
2001 - Oase von Zarifa - Krankenbesuch
Harun mit seinem Bruder Sarif zu sehen, war so rührend, dass Rayan geneigt war, ihm den Angriff vorher zu verzeihen.
Der Junge war noch immer bewusstlos, jedoch schien er ruhig zu schlafen. Der Arzt war bei Harun gewesen und hatte ihm genau erklärt, wie es um den Jungen stand. Nun saß er an seinem Bett, hielt seine Hand und redete leise in ihrem Dialekt auf den Jungen ein. Er klang dabei so liebevoll, dass Rayan sich wunderte, was ihn vorher geritten hatte.
Um keinen unnötigen Aufruhr zu verursachen, hatte Rayan ihm wortlos einen Umhang der Tarmanen ausgehändigt, den Harun ebenso ohne etwas zu sagen angezogen hatte.
Nur wenige wussten um die Identität des Jungen und um Rayans Plan. Die Emotionen waren überall hitzig genug, auch ohne dass die Krieger wussten, dass hier der Anführer eines Teils der angreifenden Armee saß.
Der kleine Resul war vor einer halben Stunde erwacht und hatte mit großen Augen den Besucher begrüßt. Im letzten Moment hatten sie ihm klar machen können, dass es besser war, keine Namen zu nennen. So saßen sie nun zu zweit am Bett von Sarif.
Rayan schätzte das Risiko, das von Harun im Moment ausging, als gering ein, wo hätte er auch hingehen sollen? Und vor allem war Sarif auf keinen Fall transportfähig, das hatte der Arzt Harun unmissverständlich klar gemacht.
Darum ließ er die beiden sitzen und machte eine Runde durch das Lager, um mit den einzelnen Trupps zu sprechen und zu sehen, wie die Lage war. Auch er hatte seine Wunde am Kopf, die er vom Gewehrkolben von Saids Mann hatte, von einer Schwester versorgen lassen.
Kaum, dass Rayan weg war, fing Resul aufgeregt an, Harun die Geschichten über ihn zu erzählen. Sowohl die, die er selbst erlebt hatte: Den Kampf, wie er die Kinder verschont hatte und schließlich die Rettung von Sarif. Harun erkundigte sich mehrfach nach der genauen, zeitlichen Abfolge: Hatte der Fremde wirklich nicht gewusst, wem er da das Leben rettete? Resul antwortete, ob der wiederholten Fragen fast beleidigt, dass er sich ganz sicher sei, dass es so war. Rayan hatte Sarif schon wegtragen wollen, dann erst hatte er sich nach seiner Identität erkundigt.
Harun schüttelte den Kopf. Dieser Mann war ihm ein Rätsel.
Dann begann Resul die vielen anderen Geschichten, die er in den letzten Stunden im Lager gehört hatte, zu erzählen. Allesamt über Rayan, der zu einem wahren Helden geworden zu sein schien. Aber keine trug dazu bei, dass Harun seine Motive besser verstehen konnte. Auf der einen Seite schien er ein Söldner zu sein, ein exzellenter Krieger, wie er selbst schon zu spüren bekommen hatte. Auf der anderen Seite schien er ganz genaue Prinzipien zu haben, zum Beispiel keine Kinder zu töten oder zu verletzten, zumindest wenn es sich vermeiden ließ. Oder die Regeln der Wüste. Wie er davon gesprochen hatte, schienen sie ihm heilig zu sein. Einem Amerikaner? Er konnte Rayan einige hundert Meter entfernt mit seinen amerikanischen Mitstreitern sehen. Aufgrund der Distanz konnte er kein Wort verstehen, aber er realisierte, dass sie Englisch sprachen und sich in den für Amerikaner so typischen, Cowboyhaften Gesten verständigten.
Wie passte es dazu, dass er offenbar akzentfrei Tarmanisch sprach? Ihm war aufgefallen, dass er mit den Männern in einem schlechten mit Akzent durchsetztem Arabisch sprach. Das passte doch alles nicht zusammen? Er bat Resul, bei Sarif zu bleiben. Er wollte sich im Lager umsehen. Resul wollte ihn zuerst davon abhalten, gab dann aber schnell nach, als Harun erklärte, er hätte eine Männersache zu erledigen. Männersachen, so wusste Resul, hinterfragte man als Kind nicht. Dann wurde es meistens ernst. Er bekam etwas Angst, dass es doch noch Ärger geben würde.
Dieses Risiko nahm Harun in Kauf, er musste einfach versuchen, eine Spur von Samira zu finden.
2001 - Oase von Zarifa - Des Rätsels Lösung
Es war Ruhi, der den herumstreunenden Harun bereits etwa zehn Minuten später verdächtig fand und ihn zur Rede stellen wollte. Er staunte nicht schlecht, als er dessen Kapuze herunterzog und ihn erkannte. Wäre Rayan nicht schnell dazwischen gegangen, wäre Ruhi wohl wie ein wilder Stier auf ihn losgegangen. Rayan zog Ruhi zur Seite und erklärte ihm halblaut seinen Plan, woraufhin dieser ihm grinsend auf die Schulter haute und sich davon machte.
„Haben Sie nun genug gesehen, was Sie Ihren Männern erzählen können? Alle Schwachpunkte ausgelotet?“ Rayan schäumte vor Wut. Nun hatte er den letzten Beweis, dass Harun kein Mann mit Ehre war, wie sonst sollte er sich erklären, dass der sogar das Krankenbett seines Bruders verließ, um sie auszuspionieren?
„Ich denke, damit ist der Besuch jetzt beendet. Sie haben gesehen, dass es Ihrem Bruder gut geht und wissen auch, dass es keine Erfindung von mir war, dass er nicht bewegt werden darf. ICH habe mich an alle Punkte gehalten, die ich versprochen habe.“
Dann packte er Harun mit eisernem Griff und schob ihn in Richtung des schmalen Felspfades, der zur Plattform führte. Dabei schaute er ihn so verächtlich an, dass Harun am liebsten im Boden versunken wäre. Aber er hatte es ja verdient, hatte er nicht das Vertrauen dieses Mannes missbraucht, der ihm und vor allem seinen Bruder bisher nur geholfen hatte?
Er ließ sich daher widerstandslos den Weg entlang schieben. Seine Gedanken rasten. Als sie die Felsplattform bereits wieder erreicht hatten, entschloss er sich zur Wahrheit. „Hören Sie mir bitte zu. Es ist wichtig!“ Doch Rayan hatte endgültig genug von dem Ehrlosen und schob ihn wortlos weiter.
„Bitte! Vielleicht können wir diesen sinnlosen Krieg doch noch beenden.“ Auch dies hielt Rayan lediglich für Floskeln. Er wollte den Mann einfach nur loswerden, schließlich hatte der schon genug seiner Zeit nutzlos vertan. Er erwog kurz, ob er ihn vielleicht doch noch umbringen sollte, schließlich hatte er genug Gelegenheit gehabt, die Waffen und Verteidigungsstellungen des Lagers zu inspizieren. Er würde mit wertvollen Informationen zu seinen Männern zurückkehren.
So etwas konnte und durfte man eigentlich nicht zulassen. Doch sein Ehrgefühl war stärker. Er hatte mit dem Mann einen Pakt geschlossen, und ER würde sich