Nuclatom. Hans J Muth

Nuclatom - Hans J Muth


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sich. Als er in seiner ganzen Größe vor mir steht, nickt er, als habe er eingesehen, dass es keinen Sinn hat. Doch ich habe mich getäuscht.

      „Ich werde Ihnen alles besorgen: Ein Diktiergerät, ein Headset mit Mikrofon und eine Fernbedienung. Sie werden sehen, Sie werden Freude an Ihrer zukünftigen Arbeit haben."

      Während ich langsam in den Schlaf hinüber dämmere, interessiert mich nur noch eines. Ich nehme alle meine Kraft zusammen und hauche ihm entgegen: „Warum wollen Sie unbedingt, dass ich das tue?"

      „Wie aus weiter Ferne höre ich die stockende Antwort, die gemeinsam mit mir ins Reich der Träume dahinschwebt:

      „Meine Frau … sie ist heute Morgen an den Folgen der Kontaminierung gestorben."

      2. Kapitel

       Die Zeit davor/Felix

      Der Himmel erstrahlte in einem Blau, wie ich es in diesem Sommer selten so erlebt habe. Die weißen, mit Grau durchzogenen Wolkenpartikel gaben dem Gesamtbild über mir etwas von einer Polarisierung, wie es Fototechnik kaum besser würde ausdrücken können.

      Ich schaute hinauf in diese Pracht der Unendlichkeit. Es fiel mir nicht schwer, regungslos, über einen längeren Zeitraum, den Blick nach oben gerichtet zu halten. Ich lag auf meiner Sonnenliege, auf dem Balkon der vierten Etage in der Stadt, unter mir das Brummen und Hupen der Fahrzeuge, über mir die Ruhe des unendlichen Weltalls. Ein Kontrast, wie er unterschiedlicher nicht sein konnte. Die Wohnung in der Innenstadt konnte ich mir leisten, mein Beruf machte es möglich und außerdem hatte ich nach niemandem zu fragen.

      Noch eine knappe Woche, dann würde mein Urlaub vorbei sein, so vorbei, wie meine Beziehung zu Christine, die mich vor wenigen Tagen verlassen hatte. Die Trennung kam nicht plötzlich, nicht spontan aus einem unmittelbaren Grund heraus. Sie hatte sich lange angebahnt und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, wann Christine für sich feststellte, dass mir meine Arbeit mehr bedeutete, als ein Zusammenleben mit ihr, so, wie sie es sich sicherlich erhofft hatte.

      Auch für mich war diese Beziehung in meinem Inneren schon längere Zeit beendet. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es zu einer Trennung kommen sollte. Außerdem war da eine andere Frau. Christine wusste nichts von ihr und ich selbst war von dieser neuen Beziehung mehr als überrascht. Es hatte sich ergeben, einfach so, im Werk, im Anschluss an irgendeine dienstliche Zusammenarbeit.

      Ich starrte weiter auf den blauen Himmel und begann, die Geschwindigkeit zu schätzen, mit der sich die Wolken bewegten. Der Wind, heute ging eine leichte lauwarme Brise, kam von Westen und trieb die Wolken kaum sichtbar für meine Augen vor sich her.

      Der Wind kommt immer von Westen, dachte ich für mich. Auch der Regen. Das schlechte Wetter. Immer kommt es aus dem Westen. Wir Grenzbewohner sagen deshalb scherzhaft: Die Franzosen schieben das Wetter, das ihnen nicht gefällt, über die Grenze zu uns herüber. Heute war das nicht so. Über den leichten Wind, der von Westen herüberweht, konnte ich mich durchaus erfreuen.

      In der Ferne, am Ende des westlichen Horizonts hatte sich eine Wolke gebildet, die anders war, als die, die über mir schwebten und einen Kontrast zu dem blauen Himmel bildeten. Die Wolken dort waren künstlicher Natur. Ich wusste das und konnte das auch begründen. Schließlich war ich in den meisten Fällen an ihrer Kreation beteiligt. Nur nicht heute. Heute hatte ich Urlaub. Aber wenn ich zur Arbeit ging, wenn ich im Kernkraftwerk Nuclatom hinter der Grenze meinem verantwortungsvollen Job nachging, dann war ich daran beteiligt.

      Die Grundbezeichnung meines Jobs war Ingenieur, speziell für meinen Einsatzbereich war meine Berufsbezeichnung Nuklear Ingenieur. Ein verantwortungsvoller Job, wie ich schon sagte. Ich war verantwortlich im Bereich Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Nukleartechnik und hauptverantwortlich für das Ressort Nuklearwissenschaft im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Kontrolle und dem Nutzen von Kernenergie sowie dem Entsorgen radioaktiver Abfälle. Und ich war Mitproduzent dieser Wolken, die man Kilometer weit sehen konnte, ohne das darunter befindliche Atomkraftwerk in Augenschein zu bekommen.

      Die Bevölkerung sah stets mit gemischten Gefühlen zu dem künstlichen Wassergebilde hin, obwohl man von Seiten der Kraftwerks-Direktion und auch der Politik nicht müde wurde zu erklären, dass dieser Wasserdampf ungefährlich für Mensch und Tier sei. Ich musste stets lächeln bei diesen Bekenntnissen und manche Diskussion, die ich entfachte, machte mich, zumindest für eine Zeitlang, zu einem Außenseiter, dem man zu verstehen gab, dass es Folgen haben würde, beschmutzte man das eigene Nest.

      Wenn alles seinen geregelten Gang ging, war es auch tatsächlich so, dass keine Gefahr von der Wolke, die im Hintergrund inzwischen an Volumen leicht zugenommen hatte, ausging. Kühltürme sind normalerweise Bestandteile der Anlagen, die für die Bereitstellung des so genannten Kühlwassers für die Prozesskühlung erforderlich sind. In der Regel befinden sich Kühlwasser und Kühlturm in einem eigenen geschlossenen thermodynamischen Kreisprozess.

      Ich sagte: normalerweise. Aber ich finde, Normalität darf man nicht in Projekten wie diesen suchen. Atomare Kraftwerke reagieren nach besonderen Regeln. Natürlich auch nach denen der Physik und der Chemie und diese Gesetzmäßigkeiten hat der Mensch auch im Griff … wenn alles so verläuft, wie es sich der Mensch, sprich Betreiber, vorstellt. Wenn allerdings Einflüsse von außen dafür sorgen, dass die Paragraphen der Gesetzmäßigkeit durcheinandergewirbelt werden, ist meist jede Zeit zu kurz, wieder Ordnung in dem Gefüge zu schaffen. Dann werden auch für einen gewissen Zeitraum die Gesetze der Physik und der Chemie in andere Bahnen gelenkt und nicht immer ist der Mensch in der Lage, diesen Bahnen zu folgen oder das Geschehene in Bahnen zu lenken, die seiner Vorstellung entsprechen.

      Sie werden sich fragen, warum ich als Deutscher in einem französischen Atomkraftwerk arbeitete, wo die Kapazität dieser monströsen Errungenschaften im eigenen Land wahrlich nicht unerheblich ist. Der Grund ist einfach zu erklären. Im Kraftwerk Nuclatom waren neben den etwa 1150 Beschäftigten auch Fremdfirmen beschäftigt, wobei die Zahl der Beschäftigten auf rund 2000 angestiegen ist. Ich war ein Angestellter einer dieser Fremdfirmen und man hatte mir einen befristeten Arbeitsvertrag über fünf Jahre angeboten, den ich aus finanzieller Sicht nicht ausschlagen konnte.

      Ich griff nach der Sonnenlotion, die ich neben mir auf dem Betonboden des Balkons abgestellt hatte und gab etwas davon auf meine linke Handfläche. Während ich die flüssige Creme in die Haut meiner Beine einmassierte, läutete das Telefon. Ich griff nach dem Handtuch über der Lehne des Liegestuhls und trocknete meine Hände. Ich hielt mein Smartphone ans Ohr und meldete mich.

      „Hi, Jerry", tönte es mir entgegen. „Störe ich deine traute Zweisamkeit?"

      Die Stimme gehörte Felix Hormeyer, einem Kollegen von mir, der zurzeit vermutlich meine Arbeit in Nuclatom mit verrichtete.

      „Hallo, Felix", wie geht's?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Es war mir nicht danach, mich über die noch frisch gebrochene Beziehung mit Christine auszulassen. „Möchtest du auf einen Schluck vorbeikommen?"

      „Na, na. Schau mal auf die Uhr. Ach ja, du bist ja im Urlaub. Da verliert man das Zeitgefühl."

      Tatsächlich. Es war drei Uhr nachmittags und Felix war offensichtlich noch im Werk.

      „Was gibt es denn? Probleme?"

      Ich hörte, wie Felix die Luft einsog.

      „Ich muss dich unbedingt sprechen. Da ist etwas Großes im Gang."

      „Was meinst du damit: Etwas Großes? Und vor allem: Wo ist etwas im Gang. So rede doch!"

      „Da läuft etwas in unserem Werk“, flüsterte er. „Ich glaube, ich habe auch Beweise dafür."

      Er meinte offensichtlich das AKW Nuclatom. Unser Werk. Wenn wir über unsere Arbeitsstelle redeten, sprachen wir immer von unserem Werk. Doch was meinte er?

      „Felix, was ist los? Ich verstehe nicht, was du meinst. Kannst du nicht deutlicher werden?"

      „Nein, nicht am Telefon", antwortete Felix aufgeregt. Ich kann in einer halben Stunde bei dir sein. Ist das okay?"

      Es war


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