Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1. Giacomo Casanova

Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1 - Giacomo Casanova


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Wein ihm verlieh; denn wenn er nüchtern war, konnte er nicht mal die unbedeutendsten Familienangelegenheiten behandeln, und seine Frau sagte, er würde sie nie geheiratet haben, wenn man nicht zur Vorsicht ihn tüchtig hätte frühstücken lassen, ehe sie zur Kirche gingen.

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      Meine erste zärtliche Bekanntschaft

       Meine erste zärtliche Bekanntschaft

      Doktor Gozzi hatte auch eine dreizehnjährige Schwester, Bettina; sie war hübsch, lustig und eine große Romanleserin. Vater und Mutter zankten beständig mit ihr, weil sie sich so oft am Fenster sehen ließe, und der Doktor schalt sie wegen ihrer Lesewut. Das Mädchen gefiel mir sofort, ohne dass ich wusste warum. Sie schleuderte dann später in mein Herz die ersten Funken einer Leidenschaft, die in der Folge meine herrschende wurde.

      Sechs Monate nach meinem Eintritt in das Haus hatte der Doktor keine Schüler mehr; denn alle verließen ihn, weil ich der einzige Gegenstand seiner Zuneigung geworden war. Dies brachte ihn zu dem Entschlusse, ein kleines Institut einzurichten, indem er junge Schüler in Kost nähme; aber es dauerte zwei Jahre, bis ihm dieser Plan gelang. Während dieser Zeit teilte er mir alles mit, was er wusste, und das war allerdings nicht viel, doch aber genügend, mich in alle Wissenschaften einzuführen. Er lehrte mich auch Violine spielen; eine Kunst, die ich mir später unter Umständen, von denen der Leser noch hören wird, zunutze machen musste. Der gute Doktor, der ganz und gar kein Philosoph war, ließ mich die Logik der Peripatetiker und die Kosmographie des alten Ptolomäischen Systems lernen, über das ich mich beständig lustig machte, indem ich ihn durch Lehrsätze auf die er nie zu antworten wusste, zur Verzweiflung brachte. Übrigens waren seine Sitten untadelhaft, und in religiösen Dingen war er sehr streng, obgleich er kein Frömmler war. Da alles für ihn Glaubensartikel war, so fand er nichts schwer zu begreifen. Nach seiner Meinung hatte die Sintflut die ganze Erde bedeckt; vor dieser Katastrophe wurden die Menschen tausend Jahre alt und Gott unterhielt sich mit ihnen in Gesprächen; Noah hatte in hundert Jahren die Arche gebaut, und die Erde hing unbeweglich im Mittelpunkt des Weltalls, das Gott aus dem Nichts erschaffen hatte. Als ich ihm sagte und bewies, dass das Vorhandensein des Nichts ein Unsinn wäre, fiel er mir ins Wort und sagte, ich sei ein Dummkopf.

      Er liebte ein gutes Bett, seinen Schoppen Wein und Fröhlichkeit im Familienkreise. Dagegen liebte er weder Schöngeister, noch Witzworte, noch Kritik, denn diese wird leicht zur bösen Nachrede; er lachte über die Dummheit der Leute, die sich mit Zeitunglesen abgäben; denn die Zeitungen, sagte er, lögen immer und wiederholten ewig dasselbe. Er sagte, nichts sei so lästig wie Ungewissheit, und darum verdammte er das Denken, weil aus diesem der Zweifel entspringe.

      Seine Hauptleidenschaft war Predigen; dabei kam ihm nämlich Gesicht und Stimme zustatten. Seine Zuhörerschaft bestand denn auch nur aus Frauen; trotzdem war er ein geschworener Weiberfeind, und er sah niemals einer ins Gesicht, wenn er mit ihr sprechen musste. Die fleischliche Sünde war nach seiner Meinung die allergrößte; deshalb ärgerte er sich, wenn ich ihm sagte, dass gerade diese nur die allerkleinste sein könne. Seine Predigten waren gespickt mit Zitaten aus der griechischen Literatur, die er aber ins Lateinische übersetzte. Als ich mich eines Tages erkeckte, ihm zu sagen, er müsste sie ins Italienische übersetzen, weil die Frauen Latein ebenso wenig verständen wie Griechisch, da wurde er so böse, dass ich niemals wieder den Mut fand, hierüber mit ihm zu sprechen. Übrigens rühmte er mich seinen Freunden als ein Wunderkind, weil ich ganz allein, ohne andere Beihilfe als die Grammatik, die griechischen Schriftsteller lesen gelernt hatte.

      In der Fastenzeit des Jahres 1736 schrieb meine Mutter dem Doktor, sie müsse bald nach Petersburg abreisen und wünsche mich vorher noch einmal zu sehen; er möge daher auf drei oder vier Tage mit mir nach Venedig kommen. Diese Einladung machte ihn nachdenklich, denn er hatte niemals Venedig gesehen und auch noch nie in guter Gesellschaft verkehrt; trotzdem wollte er aber auch nicht als Neuling erscheinen. Sobald wir unsere Reisevorbereitungen getroffen hatten, begleitete die ganze Familie uns zum Burchiello.

      Meine Mutter empfing ihn mit dem edelsten Anstande; da sie aber schön war wie der Tag, so war mein armer Lehrer in großer Verlegenheit; denn er wagte ihr nicht ins Gesicht zu sehen und musste sich doch mit ihr unterhalten. Sie merkte dies und beschloss sich gelegentlich einen Spaß mit ihm zu machen. Ich selber erregte die Aufmerksamkeit aller Bekannten und Verwandten; als sie mich früher kannten, war ich beinahe blödsinnig gewesen, darum war jeder erstaunt, dass ich in der kurzen Zeit von zwei Jahren mich so sehr herausgemacht hatte. Dem Doktor war es eine Wonne zu sehen, dass man ihm das ganze Verdienst meiner Umwandlung beimaß.

      Das erste, woran meine Mutter Anstoß nahm, war meine blonde Perücke, die schreiend von meinem braunen Gesicht abstach und gar nicht zu meinen Augenbrauen und zu meinen schwarzen Augen passen wollte. Der Doktor, den sie fragte, warum er mir denn nicht meine eigenen Haare frisieren lasse, antwortete ihr: dank der Perücke könne seine Schwester mich leichter sauber halten. Über diese naive Antwort erhob sich allgemeines Gelächter, das sich verdoppelte, als auf die Frage, ob seine Schwester verheiratet sei, ich das Wort ergriff und an seiner Stelle erwiderte, Bettina sei das hübscheste Mädchen im ganzen Viertel und erst vierzehn Jahre alt. Als nun meine Mutter dem Doktor sagte, sie werde seiner Schwester ein schönes Geschenk machen, doch nur unter der Bedingung, dass sie mir meine Haare frisiere, da versprach er ihr, es solle nach ihrem Willen geschehen. Meine Mutter ließ einen Perückenmacher holen, der mir eine zu meiner Gesichtsfarbe passende Perücke brachte.

      Da die ganze Gesellschaft mit Ausnahme des Doktors sich jetzt an die Spieltische setzte, so suchte ich meine Brüder auf, die bei meiner Großmutter im Zimmer waren. Francesco zeigte mir Architekturzeichnungen, die ich mit Gönnermiene für leidlich erklärte; Giovanni zeigte mir nichts, und ich fand ihn sehr unbedeutend. Die anderen waren noch sehr jung.

      Beim Abendessen benahm der Doktor, der neben meiner Mutter saß, sich sehr linkisch. Er würde wahrscheinlich kein Sterbenswörtchen gesagt haben, hätte nicht ein anwesender, englischer Gelehrter ihn lateinisch angesprochen; da er jedoch nichts verstanden hatte, antwortete er bescheiden, er könne nicht englisch, worüber große Heiterkeit entstand. Herr Baffo half uns aus der Verlegenheit, indem er uns sagte, dass die Engländer das Lateinische läsen und aussprächen wie ihre eigene Sprache. Hierauf bemerkte ich, darin hätten die Engländer ebenso unrecht, wie wir unrecht haben würden, wenn wir ihre Sprache nach den für das Lateinische gültigen Regeln aussprechen wollten. Der Engländer fand meine Bemerkung ausgezeichnet und schrieb sofort ein bekanntes altes Distichon nieder, das er mir zu lesen gab:

       Dicite, grammatici, cur mascula nornina cunnus,

       et cur femineum mentula nomen habet?

      Sagt, ihr Grammatiker, mir, warum ist ein männliches Hauptwort

      Cunnus? Und sagt mir, warum weiblich die Mentula ist?

      Nachdem ich es laut gelesen hatte, rief ich aus: „Das ist allerdings richtiges Latein!“ – „Das wissen wir“, sagte meine Mutter, „aber du musst es uns übersetzen.“ – „Es zu übersetzen genügt nicht“, antwortete ich, „es ist eine Frage, auf die ich antworten will.“ Und nachdem ich einen Augenblick nachgedacht hatte, schrieb ich folgenden Pentameter:

       Disce quod a domino nomina servus habet.

      Wisse, es muss nach dem Herrn immer sich richten der Knecht.

      Dies war meine erste literarische Leistung; und ich kann sagen, dieser Augenblick streute in meine Seele den Samen der Begier nach literarischem Ruhm; denn das Beifallsklatschen erhob mich auf den Gipfel des Glückes. Der Engländer war höchst erstaunt; er sagte, so etwas hätte noch niemals ein elfjähriger Knabe geleistet; dann umarmte er mich mehrere Male und schenkte mir seine Uhr. Meine Mutter fragte Herrn Grimani neugierig, was denn die Verse bedeuteten; da aber der Abbate nicht mehr davon verstanden hatte als sie selber, sagte Herr Baffo es ihr leise ins Ohr. Überrascht über meine Kenntnisse stand sie auf, holte eine goldene Uhr und reichte sie meinem Lehrer. Nun wusste dieser nicht, wie er sich benehmen sollte, um ihr seine große Dankbarkeit zu bezeigen, und dadurch wurde der Auftritt sehr komisch. Um ihm alle Komplimente zu ersparen, reichte meine Mutter ihm ihre Wange; er brauchte


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