#2 MondZauber: VERSUCHUNG. Mari März

#2 MondZauber: VERSUCHUNG - Mari März


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der Treppe in einem eigens dafür gehauenen riesigen Steinkreis flackerte. Im Dunkel dahinter konnte sie eine weitere Tür erkennen. Moira hatte ihr erzählt, dass dort die Druidin des Clans wohnte, die Beanna genannt wurde, was so viel wie Krähe bedeutete. Es hieß, dass sie über einhundertfünfzig Jahre alt sei und ihre Haut so weiß wäre wie Schnee, der sich in diesem Teil Irlands genauso selten zeigte wie der Papst.

      Lyra beobachtete Moira, die jetzt in der alten irischen Sprache flüsterte und dabei etwas ins Feuer warf. Natürlich wusste Lyra, was ihre neue Freundin da tat. Die Gestaltwandler hatten ihre ganz eigene Religion, zu der es gehörte, die Druidin des Clans zu verehren und sich dankbar zu zeigen. Da Lyra noch nicht vollends in die Gemeinschaft aufgenommen war und darüber hinaus längst nicht alles wusste, hielt sie sich zurück und betrachtete indes die kunstfertigen Wandmalereien. Ian hatte ihr bereits einige Ornamente in einem alten Buch gezeigt, die sie nun auf der Felswand wiedererkannte. So viel Neues hatte sie erfahren, dass sie bisweilen das Gefühl hatte, ihr Kopf würde platzen. Doch Ian war ein geduldiger Lehrer und lächelte sein hübsches Lächeln, wenn Lyra wieder einmal irritiert darüber war, wie freundlich sie alle behandelten. Sie gehörte doch gar nicht zum Clan, nicht in diese Welt. Sie hatte im Grunde von nichts eine Ahnung und doch schenkte man ihr das Gefühl, als wäre sie eine von ihnen. Für Lyra war das vollkommen neu. Bisher war sie der selbsternannte Outlaw, eine Außenseiterin, die niemand leiden konnte. Und auf einmal sollte sie zu dieser Gemeinschaft gehören?

      »Sei gegrüßt, Lyra! Willkommen in meinem Sídhe!«

      Wie durch ein Wunder verstand Lyra jedes Wort, was die Beanna sprach. In einer ihr fremden Sprache antwortete sie nun, als hätte sie es schon tausend Mal getan: »Sei gegrüßt, Nathair! Es ist mir eine Ehre, dass du die Zeit für mich findest und mich bei meiner Verwandlung begleitest.« Wie ihr Ian und Moira es gezeigt hatten, verbeugte sich Lyra und verharrte in dieser Position. Die Druidin kam ihr entgegen und hob Lyras Gesicht in den Schein des Feuers. »Du hast die Augen deines Vaters. Ich danke den Göttern, dass du endlich den Weg zu uns gefunden hast. Schon lange vor deiner Geburt bist du mir im Traum erschienen. Jetzt soll sich die Prophezeiung also erfüllen.«

      Lyra starrte mit klopfendem Herzen in die weißen Augen der Druidin. Niemand hatte ihr gesagt, dass die Beanna blind war. Alle sprachen von der Seherin, wie hätte sie da auf die Idee kommen sollen …?

      Die Berührung der alten Frau fühlte sich trotz der Hitze des Feuers kühl an. Kühl und trocken, was zu dem Wesen passte, in das sich die Druidin verwandeln konnte. Beanna war keine Wölfin, sondern eine Krähe und stammte vom Volk der Danu. Nur diesen äußerst seltenen Gestaltwandlern war es bestimmt, sich als Druiden ausbilden zu lassen und als ebensolche tätig zu sein. Denn nur sie verfügten über weit mehr magische Fähigkeiten als der Rest ihrer Art. Sanft wie eine Feder strich die Beanna nun über Lyras Gesicht und fragte: »Bist du bereit?«

      Lyra nickte und überlegte im selben Moment, ob ein solches Nicken gegenüber einer Blinden unhöflich sei. Doch die Druidin sah nicht mit ihren Augen, sondern mit ihrem Geist.

      »Dann lass uns keine weitere Zeit verschwenden. Große Herausforderungen liegen vor uns. Es ist auch für mich das erste Mal.«

      Lyra verstand nicht, erhielt aber prompt eine Antwort. »Du bist die erste Hybridin. Nicht einmal ich weiß, welche Fähigkeiten in dir stecken. Deine Angst ist also begründet, zumal es in der Geschichte dieses Clans noch nie vorgekommen ist, dass sich ein Gestaltwandler an seinem achtzehnten Geburtstag nicht verwandelt hat. Aber die Gewissheit ist stärker als die Furcht. Außerdem brauchen wir dich, so sagt es die Prophezeiung. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, und dann folge mir zum See.«

      Lyras Herz schlug laut in ihrer Brust. Die Ungewissheit war das eine. Das, was die Alte sagte, machte ihr jedoch weitaus mehr Angst. Welche Prophezeiung? Niemand hatte bisher davon gesprochen. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen und schaute die steinerne Treppe hinauf. Ab liebsten würde sie jetzt einfach fortlaufen. Doch wohin? Das Schicksal schien genau diesen Weg für sie vorherbestimmt zu haben. Sonst wäre sie wohl nicht hier. Also hieß es jetzt: Augen zu und durch!

      Die Beanna ging voraus zum Ufer des unterirdischen Sees. Lyra wusste genau, was sie tun musste, und doch kam sie sich vor wie in einem Traum, in dem sie die Matheklausur vergeigte.

      Eine Hand legte sich sanft auf ihre Schulter. Moira stand neben ihr und zwinkerte Lyra aufmunternd zu. Als die kleine Wölfin ihre Hand in die ihre legte, spürte Lyra die Kraft des Mädchens, welche nun langsam in sie überging.

      Feuer!, schlich ihr ein Gedanke in den Kopf. Was hatte ihre Mutter gesagt? Das Feuer gibt dir Kraft.

      Also schaute Lyra in die Flammen und schloss dann für einen Moment die Augen. Zu Moiras Kraft gesellte sich jetzt etwas weitaus Größeres. Pure Energie schien in Lyra zu strömen. Sie atmete tief den würzigen Duft des Feuers ein und machte sich bereit für das Ritual und die Aufnahme in die magische Welt.

      Warm breitete sich Zuversicht in ihr aus. Ja, jetzt war sie bereit. Sie öffnete die Augen und nickte Moira zu, die immer noch ihre Hand hielt. Dann folgten sie der Druidin, die am Fuße des Sees auf sie wartete.

      Mit erhobenen Armen sang die Alte ein uraltes Lied. Lyra hörte eine Harfe, obwohl sie nirgendwo ein solches Instrument erkennen konnte. Das Wasser zu ihren Füßen schimmerte grün und spiegelte sich im grandiosen Gewölbe der Höhle. Eine magische Anziehungskraft ging von dem See aus – der Quelle, wo die Tore zur Anderswelt zu finden waren. Lyra wusste, dass es nur sehr wenigen vergönnt war, lebend hinabzutauchen und vor allem lebend wieder herauszukommen. Die Iren glaubten wie viele Kelten an verschiedene Reiche, die jenseits der menschlichen Welt lagen. So auch an die Túatha Dé Dannan, das Volk der Danu. Obwohl sie keine Menschen waren, hatten auch die Gestaltwandler nur dann Zutritt, wenn jemand vom Volk der Danu ihnen ebendiesen gewährte. Umso größer war Lyras Angst, dass sie es wieder versauen würde. Doch nun, als sie nach und nach ihre weltlichen Kleider ablegte und dem Gesang der Druidin lauschte, fürchtete sie sich nicht mehr davor, zu versagen. Das hier war keine Abiturprüfung, wenngleich sie die Details des Rituals genauso einstudiert hatte. Zumindest für die Theorie würde sie eine glatte Eins bekommen.

      Als Erstes würde sie alles Irdische ablegen müssen, um äußerlich rein in die Quelle zu tauchen. Das Wasser würde sie reinwaschen. Für einen Augenblick dachte sie an Jenny und die völlig absurde Idee, dass Weihwasser ihr etwas antun könnte. Als Lyra auf ein Zeichen der Druidin in das Wasser des Sees stieg, kam ihr der christliche Glaube mit seinen Götzenbildern und Artefakten seltsam kindlich vor. In keiner Kirche hatte sie jemals diese Form der Spiritualität gespürt. Zugegeben, die Beanna hatte mit ihren weißen Augäpfeln, den zahlreichen Tätowierungen auf der hellen furchigen Haut und dem langen grauen Haar sehr wenig mit Pastor Meier zu tun, der in Lyras Heimatort jeden Sonntag den Gottesdienst abhielt.

      »Bist du bereit, deinen Körper reinzuwaschen?«

      Lyra nickte. War sie es? War sie wirklich bereit, ihr gesamtes Leben hinter sich zu lassen? Dies hier war nicht irgendein Selbstfindungskurs für gestresste Workaholics, sondern ihr Leben.

      Als das Wasser ihre Knie erreichte, ließ sie sich endlich fallen. Ihre Vergangenheit zog vor ihrem inneren Auge vorbei wie ein Film. Fühlte sich so der Tod an? Vielleicht war das hier so etwas Ähnliches. Sterben, um in einem neuen Leben wiedergeboren zu werden.

      Etwas riss an ihren Haaren, dann tauchte Lyra unter. Das Wasser der Quelle umströmte ihren Körper, es war kühl und doch angenehm. Friedlich irgendwie. Sie bekam keine Luft, aber diese Tatsache machte ihr keine Angst. Fühlte sich so ein Embryo im Mutterleib?

      Um sie herum war endloses Grün. Eine wunderbar friedliche grüne Stille. Lyra hörte nicht mal mehr ihren Herzschlag oder ein Rauschen in ihren Ohren. Nein, da war nichts. Es war so wunderbar still, als wäre die Zeit stehengeblieben. Sie schloss die Augen und genoss den Moment. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, von denen kleine Luftbläschen perlten.

      Und dann schlug die Stimmung plötzlich um. Irgendetwas hatte sich verändert. Das


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