Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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seine nächsten Schritte nach.

      19 Du feines Täubchen, nur herein!

      „Sagt mal“, fragte Sinja und spuckte einen Kirschkern über das Geländer der Terrasse, „wo sind eigentlich die beiden hübschen Jungs?“

      „Du meinft Doriando und Fifianon?“, fragte Gamanziel kauend. Sie hatte sich gerade mit einem fetten Veggieburger und einer Tomate vollgestopft.

      „Sie sind in Ildindor“, antwortete Emelda, „beim Rat der Elfen. Hatte ich dir das nicht schon erzählt?“

      „Nicht, dass ich wüsste, oder ich hab´s vergessen!“

      „Tut mir leid, dass ich vorhin etwas kratzig war“, brummte Amandra dazwischen, „ich hatte Hunger und war noch müde und du weißt ja, dass ich dann nicht ganz ich selbst bin.“

      „Sehr Vornehm ausgedrückt! Ja, ich hatte sowas in Erinnerung.“ Sinja lächelte die Elfe von der Seite an und nahm die nächste Kirsche aus einer der Schalen, die auf dem, mit Leckereien vollgepackten Tisch standen.

      „Also, dann lass´ uns den Vortrag von vorhin am besten schnell vergessen und nochmal von vorne anfangen. Ich bin jetzt wach, habe etwas gegessen und weiß wieder, wie ich heiße! Hallo Sinja! Schön, dass du da bist! Nochmal willkommen!“ Amandra stand auf und umarmte Sinja herzlich. Die griff in das volle, schwarze Haar der Elfe und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

      „Nachtrag zum Vortrag vom Vortag“, scherzte sie, „Hallo Amandra, schön, zu sehen, dass sich bei euch nicht allzu viel verändert hat. Es ist ja schon eine ganze Weile her!“

      „Wenn ich richtig gerechnet habe, müsstest du jetzt zwölf Menschenjahre alt sein“, sagte Gamanziel.

      „Hmnja! Richtig gerechnet. Seit in unserer Welt Sommer war, bin ich zwölf.“

      „Sommer? Sommer?“, überlegte Amandra.

      „Eine unserer Jahreszeiten. Für mich die schönste von allen. Es ist warm, die Tage sind lang und man kann den ganzen Tag draußen sein. Ich weiß, ihr habt sowas nicht. Lass mich nachdenken. Also für euch sind seit meinem Geburtstag ungefähr…. hundertsiebzig, hundertachtzig Sonnentänze vergangen. Wir können ja später nochmal genauer nachrechnen!“

      „Ach“, sagte Emelda und lachte, „nicht nötig! Wir glauben dir das auch so!“

      So saßen sie auf der Terrasse, tauschten Geschichten aus, alte und neue, schwätzten und quatschten über dies und das. Es gab nichts zu tun, als zu essen und zu trinken und gelegentlich ein wenig zu dösen. Die zwei Sonnen tanzten ihren Tanz. Ferendiano spielte noch einmal den `Nachmittag eines Fauns´, dieses Mal passend zur Tageszeit und tauchte mit seiner Flöte die gesamte Lichtung in zauberische Klänge. Alles schien entspannt der Dunkelzeit entgegen zu dämmern, da griff Emelda auf einmal hart nach Sinjas Arm, packte sie, zog sie ohne ein Wort aus ihrem Sessel hoch und schob sie von der Terrasse herunter in den dahinterliegenden Raum. Der Sessel fiel mit lautem Gepolter um. Sinja erschrak zu Tode über Emeldas plötzliche Attacke.

      „Heh, spinnst du? Was ist los? Du tust mir weh!“, protestierte sie.

      „Rein da, schnell!....“, presste Emelda durch ihre zusammengebissenen Zähne. „….und kein Wort mehr.“ Sie ließ Sinjas Arm los, legte ihr eine Hand auf den Mund und zeigte mit dem Daumen der anderen in Richtung der Baumwipfel. Sie verharrten einige Augenblicke regungslos. Dann flüsterte Emelda: „Hast du den großen schwarzen Vogel gesehen?“

      „Nein!“, antwortete Sinja, „was ist mit ihm?“

      „Pscht, sei leise…! Ich dachte mir, dass er dir nicht aufgefallen ist. Mir schon. Dass der hier auftaucht, ist kein gutes Zeichen. Das bedeutet, dass sie wissen, dass du in Engil bist.“

      „Wer weiß das?“, fragte Sinja.

      „Der Unerhörte und seine Leute“, antwortete Emelda.

      „Nur, weil da so ein Vogel rumfliegt?“

      „Dieser Vogel ist im Auftrag des Unerhörten unterwegs. Ein überaus unangenehmer Zeitgenosse. Ich fürchte, du wirst ihn noch näher kennenlernen.“

      „Eilt nicht!“

      „Auch wenn sie wissen, dass du in Engil bist, ist es auf jeden Fall besser, wenn er dich hier nicht sieht. Je länger sie im Ungewissen darüber sind, wo genau du dich aufhältst, umso besser für dich!“

      „Und ich hatte schon befürchtet, dass ich nur zum Frühstücken hergekommen bin!“

      „Sicher nicht!“

      „Ich weiß gar nicht, warum mich das jetzt nicht beruhigt!“, flüsterte Sinja, „Sagt mal, hat dieses Monster einen Namen?“

      „Er heißt Rangnak. Er macht die Drecksarbeit für den Unerhörten. Immer, wenn der beschlossen hat, jemanden zu entführen, gefangen zu nehmen oder zu töten, dann schickt er den Rangnak. Der macht das dann für ihn. Er ist sein Vollstrecker. Wenn dieser Vogel in deiner Nähe auftaucht, dann ist dein Leben definitiv in Gefahr.“

      „Meinst du wirklich, sie suchen mich oder kann das ein Zufall sein?“

      „Ein sehr großer Zufall wäre das. Daran glaube ich nicht. Gut möglich, dass sie Wind davon bekommen haben, dass der Orden nach dir geschickt hat. Vielleicht haben sie einen Glissando abgefangen oder in Fasolanda irgendwas gehört oder beobachtet. Es wäre nur gut, wenn sie dich jetzt möglichst noch nicht sehen. Deswegen musste ich eben etwas grob zu dir sein!“

      „Ja, schon gut! Mit den blauen Flecken komme ich klar. Hoffen wir, dass es rechtzeitig war und dieser Mördervogel nichts mitgekriegt hat!“

      „Amandra! Ist die Luft rein?“, flüsterte Emelda nach draußen. Amandra zeigte mit dem Daumen nach oben. „Ihr könnt rauskommen!“

      Emelda und Sinja schlichen sich zurück auf die Terrasse. Ihre Blicke suchten ängstlich die Baumwipfel ab, ob nicht doch auf einer Astspitze oder irgendwo zwischen den Bäumen ein überlebensgroßer schwarzer Rabe zu sichten wäre. Doch der war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.

      Eben noch hatten die Fünf fröhlich scherzend auf der Terrasse gesessen und sich des Lebens und ihrer Geschichten erfreut. Mit dem Auftauchen des unheimlichen Raben war die Unbeschwertheit davongeweht wie eine Vogelfeder im Wind. Die Heiterkeit war dahin. Langsam sanken die zwei Sonnen. Es wurde dämmrig und kühler in Engil.

      „Lasst uns dann demnächst mal reingehen“, schlug Gamanziel vor, „es wird ein wenig frisch hier draußen. Sinja, wenn du hier im Baumhaus schlafen willst, richtet Engil dir bestimmt ein hübsches Eckchen ein. Du kannst aber auch mit rüberkommen und dich bei mir in eines der Riesenblätter einrollen. Das ist auch sehr gemütlich, ein bisschen wie Hängematte, nur etwas sicherer, weil die Farne auf dich aufpassen.“

      „Ich glaube, ich nehme dein Angebot an, Gamanziel. Nach diesem Schreck brauche ich Gesellschaft und noch ein kleines Schwätzchen vor dem Einschlafen.“

      So verabschiedeten sich die beiden von Emelda, Amandra und Ferendiano und brachen auf zu Gamanziels Behausung. Sie hatte sich am Rande der Lichtung zwischen vier Riesenfarnen eingerichtet. Zwischen den gewaltigen Stängeln waren kleinere Hecken gewachsen, die sie mit Ästen und Blättern so verstärkt hatte, dass daraus regelrechte Wände geworden waren. Von außen sahen sie aus, wie ganz normales Buschwerk. Von einem Farn zum anderen hatte Gamanziel Wurzelfäden gezogen, die sich in der Mitte kreuzten. Genau dort war ein kleiner Kelch mit der Öffnung nach oben aufgehängt. Gamanziel entzündete einen Docht, der aus dem Kelch herauslugte. Das Öl, dass den kleinen Docht brennen ließ, gab nicht nur Licht, sondern war auch noch äußerst wohlriechend. Holzig und schwer, herb-süßlich, wie ein Gemisch aus vielen Blütendüften, mit einem Hauch Zitronenaroma. Angenehm kräftig, nicht zu frisch war der Geruch.

      „Hm, was ist das? Riecht lecker“, stellte Sinja fest, „wie `ne Mischung aus Weihnachtsplätzchen und Badeschaum!“

      „Das ist ein Extrakt“, antwortete Gamanziel.


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