Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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Wir beschwören diese vier Geister, um das Tor nach Ildindor zu öffnen. Aber das Wichtigste ist euch entgangen, weil ihr nicht alle eure Sinne benutzt habt. Die Uriod Mar sind Kinder des Uriod Ur, des `Einen Klangs´. Sie sind aus Tönen geformt, nicht aus Bildern. Ich glaube nicht, dass ihr in die Stadt hineingekommen wärt, hätte euch nicht Charles das Tor geöffnet. Und jetzt wird er euch euer Quartier zeigen.“

      Mit diesen Worten erhob sich der Alte langsam von seinem Stuhl. Die anderen Neun taten es ihm gleich. Ohne ein einziges Geräusch verließen sie den Raum.

      18 Hm! Hm! Hm!

      Im Schloss zu Fasolanda herrschte helle Aufregung. Diener und Hausmädchen liefen, rannten und riefen, stolperten und stürzten durch- und übereinander, stießen auf dem Flur mit Regierungsvertretern, Ministern und Advokaten zusammen. Soldaten der königlichen Leibgarde durchsuchten jeden Raum und jedes Zimmer, durchkämmten jeden Winkel des weitläufigen Gebäudes. Türen wurden geschlagen, quietschend wieder geöffnet und erneut zugeschlagen, selbst in Räumen und Kemenaten, in denen die Spinnweben von der Decke hingen. Räumen, die seit ewigen Zeiten niemand mehr betreten hatte, mit zentimeterdicken Staubschichten auf den Möbeln.

      „Majestät, Majestät? Seid ihr hier?“, hallten sorgenvolle Rufe durch die hohen Gänge. Niemand antwortete.

      „Was ist, habt ihr sie endlich gefunden?“

      „Nein, Mister Menroy! Wir suchen schon seit drei Vierteln. Zu ihrer Morgenaudienz ist sie nicht erschienen. In ihren Räumen ist sie nicht, im Keller auch nicht, nicht auf dem Hof, auf dem Dachboden, nicht im Garten, nicht in ihren Arbeitsräumen. Wir können sie nirgends finden. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Es ist schrecklich!“

      „Was sollte sie auch auf dem Dachboden oder im Keller? Nun gut, lassen sie weitersuchen, Gustav! Alle verfügbaren Kräfte. Wo befindet sich Kanzler Gravus?“

      „Er sitzt in seinem Arbeitszimmer, Mister Menroy. Er ist deprimiert und nicht ansprechbar!“

      „Hm, verstehe! Am besten bleibt er, wo er ist und rührt sich nicht von der Stelle, bis wir das alles hier geklärt haben. Dann macht er wenigstens nichts falsch. Wurden die Wohnräume der Königin durchsucht?“

      „Nein! Bislang wurde nur im Schloss selbst nach ihr gefahndet!“

      „Bei allen Geistern der vier Elemente!“, schimpfte Menroy, „muss man denn alles selbst machen in diesem Schloss? Wozu haben wir eigentlich dieses ganze überbezahlte Personal?“

      „Ich werde sofort eine Durchsuchung veranlassen, Mister Menroy! Ich bitte um Vergebung für dieses Versäumnis!“

      „Schon gut, Gustav! Wir sind alle etwas nervös. Bitte, zwei Bedienstete umgehend in die Privatgemächer der Königin! Machen sie schnell!“

      Zabruda Menroy nannte sich `erster Kammerdiener ihrer Majestät, Königin Myrianas´. Er war aber viel mehr als das. Er war Hausverwalter, väterlicher Berater, Organisator der täglichen Abläufe im königlichen Haushalt, sowie Vorgesetzter aller Bediensteten, die sich um das Wohl ihrer Majestät zu kümmern hatten. Er war also ein Mann von nicht unbeträchtlichem Einfluss und entsprechendem Temperament. Er hatte seine eigene Meinung, was die Regierungsgeschäfte im Königreich anging, hielt sich jedoch heraus aus der Tagespolitik der Königin. Dafür hatte sie ihre Berater, ihren Kanzler und ihre Regierung. Doch für alle anderen Dinge war Zabruda Menroy zuständig. So koordinierte er auch jetzt die Bemühungen, das plötzliche Verschwinden der Königin aufzuklären. Er schickte Diener und Mägde von links nach rechts, von oben nach unten, die Treppen hinauf und hinunter, in alle Räume und entlegensten Winkel des Schlosses. Er holte Informationen ein und gab sie weiter, welche Zimmer, Räume und Kemenaten schon durchsucht worden waren und welche nicht. Kurzum – es lief auch heute nichts im Schloss oder um das Schloss herum, ohne dass Zabruda Menroy davon erfuhr. Heute allerdings waren all seine Anstrengungen vergeblich. Die Königin war und blieb verschwunden – bis jetzt!

      „Mister Menroy! Mister Menroy!“, kam Gustav plötzlich um die Ecke, mehr gestürzt, als dass er lief, „eine der Mägde hat in Königin Myrianas Ankleideraum etwas gefunden!“ Er war völlig aufgelöst und außer Atem, schnappte dreimal nach Luft und rief dann: „Sie ist entführt worden! Königin Myriana ist entführt worden!“

      Zum Beweis für seine Behauptung hielt er Zabruda Menroy einen zerknüllten Zettel unter die Nase, auf dem in krakeliger, unbeholfener Schrift und mindestens ebenso grauenvoller Rechtschreibung etwas notiert stand:

       Wen ir euer Königin witersehn wolt, gebt mier das `flamente Herts´. Trefpungd in trei Sonntäntsn, Ende des lätsten Takts am altn Brunn.

      „Ein Anschlag auf die Königin!“, rief Zabruda Menroy entsetzt, „ich wusste, dass das irgendwann passieren würde. Sie wollte ja nicht auf mich hören. Wie oft habe ich ihr geraten, die Schlosswachen zu verstärken, Sie hat es jedes Mal abgelehnt. Jetzt haben wir das Problem! Gibt es Zeugen?“

      „Nur ihre Zofe. Die saß gefesselt und geknebelt auf dem Boden und sagte nur Hm! Hm! Hm!“

      „Habt ihr sie denn nicht befreit?“

      „Doch, selbstverständlich, Mister Menroy!“

      „Und, was hat sie gesagt?“

      „Hm! Zunächst nichts, weil sie noch völlig verängstigt war. Sie hat mich nur mit großen, Augen angeschaut und ein Zeichen gemacht, dass wohl bedeuten sollte, dass irgendjemand ihr die Kehle durchschneiden will. Als wir sie dann beruhigt hatten, sagte sie, sie hätte einen kleinen, dicken Mann gesehen mit einer seltsamen Kopfbedeckung. Er hätte sie gefesselt, den Zettel hinterlassen, ihr gedroht, dass er sie umbringe, würde sie ein Wort sagen und sei dann durch das Fenster in den Garten hinuntergesprungen und entkommen!“

      „Und die Königin?“

      „War zu dieser Zeit wohl schon nicht mehr im Raum!“

      „Also waren die Entführer zu zweit?“

      „Nichts sonst deutet darauf hin, dass zwei Personen an der Tat beteiligt waren. Jedenfalls nichts, von dem, was die Zofe erzählt hat und auch sonst war nichts zu erkennen, was darauf schließen ließe, dass ein zweiter Entführer sich im Raum befunden hätte!“

      „Aber wie haben sie die Königin dann gefangen nehmen können? Wie konnten sie sie aus dem Schloss bringen? Das ergibt doch alles keinen Sinn, Gustav!“

      „Ich weiß es auch nicht, Mister Menroy. Ich bin kein Gendarm. Was ich ermitteln, sehen und hören konnte, habe ich ihnen mitgeteilt. Mehr weiß ich nicht!“

      „Schon gut, Gustav!“, sagte Menroy und wandte sich ab. Dann drehte er sich noch einmal kurz zu dem Diener um und sagte: „Gute Arbeit!“ Er dachte nach. Dann gab er Gustav einige Anweisungen:

      „Geben sie bitte sofort der Schlosswache und der Leibgarde Bescheid. Der Entführer will sich mit uns am alten Brunnen treffen. Also vermute ich, dass die Königin sich noch in der Hauptstadt befindet. Er wird Fasolanda kaum mit ihr zusammen verlassen haben! Ich wollte das eigentlich vermeiden, aber es geht wohl nicht anders: alarmieren sie Kanzler Gravus! Sagen sie ihm, dass für seine Depressionen jetzt keine Zeit ist. Er muss sofort den Ausnahmezustand über Fasolanda verhängen. Er soll von mir aus die ganze Stadt umkrempeln lassen. Am besten jedes Kellerloch und auch das Labyrinth! Alle verfügbaren Männer sollen sich sofort an die Arbeit machen. Wir müssen die Königin finden, koste es, was es wolle!“

      „Wirklich? Auch das Labyrinth, Mister Menroy?“

      „Wenn es nötig ist – auch das Labyrinth!“ Gustav machte auf dem Absatz kehrt.

      „Ach, Gustav“, fragte Menroy im Weggehen, „hat jemand die Königinmutter informiert?“

      „Nein“, antwortete der Diener, „niemand wollte sie bislang mit dieser Nachricht behelligen. Sie ist ja nun nicht mehr die Allerjüngste!“

      „Das ist gut so und mag auch fürs Erste so bleiben. Sollte es erforderlich sein, werde ich Lady Merigone selbst die notwendigen Informationen


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