Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


Скачать книгу
die Formalitäten damit beendet?“, brummte die Elfe, ohne das Menschenmädchen anzusehen. „Dann lasst uns essen! Hab Hunger! Bringt mich mal auf den neuesten Stand. Was ist während meiner Kurzschlafphase passiert? Und was macht Sinja hier? Irgendwas, das ich wissen sollte?“

      „Hallo Amandra!“, sagte Sinja und zog den rechten Mundwinkel nach oben, „ich freu mich auch, dich zu sehen!“

      „Hmmmpffhgnpffftt!“ Gamanziel hielt sich die Hand vors Gesicht, um nicht laut loszulachen.

      „Nehmt Platz, Ladies!“, rief Ferendiano, „lasst uns frühstücken, dann geht alles andere wie von selbst!“

      „Ein wahres Wort!“, antwortete Amandra, nahm sich eine Melonenscheibe und biss hinein, dass der Saft nach allen Seiten spritzte.

      „Mädels!“, rief Emelda, „sieht aus, als sei das Buffet eröffnet! Haut rein!“

      12 O zittre nicht, mein lieber Sohn

      Die beiden Elfenmänner standen, mit wackeligen Knien, in der Mitte des gewaltigen Kuppelbaus. Über ihnen wölbte sich das dunkle Dach der Halle mit dem aufgemalten Sternenhimmel, dessen enorme Ausmaße sie mit einem Blick nicht erfassen konnten. Hinter ihnen summte Gildanmir, der Meteorit, für den diese Halle errichtet worden war. Der Bote aus dem All, der vom Himmel Gekommene, sang leise, aber unüberhörbar, seinen Ton. Den Ton, den Einen, in dem alle Klänge der Welten aufgehoben waren. Der Gesang von der Weisheit der Gesetze des Universums. War man bei Verstand und lauschte ihm nur lange genug, wurden einem Dinge offenbar, die einem ansonsten für immer verschlossen blieben. Trat man vor Gildanmir allerdings in einem Zustand der Verwirrung, so dauerte es in der Regel nicht lange, bis sein Lied die Verrücktheit zutage brachte. Nicht selten waren Anhörungen im Angesicht des Gildanmir in Ausbrüchen der Wut, in Tobsuchtsanfällen und Irrsinn der Befragten geendet. Doch heute sollte es nicht um solche Dinge gehen.

      Hinandua, der Weise, hatte zu einer Ratssitzung geladen. Niemals zuvor war den Elfen von Engil die Ehre zuteil geworden, an einer solchen Versammlung, einer Sitzung des „Ehrwürdigen Rates der Elfen zu Ildindor“ teilzunehmen. Etwas Außergewöhnliches musste geschehen sein, etwas so Irritierendes, dass der Rat sich genötigt sah, die Engilaner hinzu zu ziehen. Nun standen die beiden Eingeladenen in der Mitte dieser Halle und wünschten sich nur eins: weit, weit weg zu sein, am liebsten auf der sonnendurchfluteten Lichtung Engils. Cichianon wagte nicht, sich umzusehen. Er wollte nicht in die Gesichter derer schauen, die um sie herum saßen. Auf ihren hohen Stühlen prangten, über den Köpfen, die Wappen ihrer Ahnen. Die Augen des Engilaners suchten nach einem Halt, seine Füße nach festem Grund, nach der Kraft der Erde. Stattdessen spürte er die finsteren, prüfenden Blicke der Ratsmitglieder auf sich ruhen. Sie durchleuchteten ihn und Doriando von oben nach unten, schauten in ihren Geist und in ihre Seelen. Der Boden schwankte unter Cichianons Füssen. Er fühlte sich, wie der Kapitän eines Schiffes, dass, verlassen von seinen Matrosen, auf hoher See in einen Sturm geraten war. Er sah hinüber zu Hinandua, dem Alten. Der saß auf dem Thron der Könige und wirkte seltsam abwesend. Seine langen, grauen Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht. Dann hob er, ohne aufzuschauen, langsam seine rechte Hand. Sofort erstarben alle Gespräche. Gespenstische Ruhe trat ein. Das einzige Geräusch, das noch zu hören war, war der magische Klang des Gildanmir.

      „Ehrwürdige Mitglieder des Rates, Cichianon, Doriando, meine Söhne“, begann der Alte, nach einer halben Ewigkeit, mit leiser, brüchiger Stimme, „die Zeiten sind rauer, als wir alle uns das wünschen können.“

      Erneut ließ er eine lange Pause entstehen. Dann fuhr er fort: „Wir alle dachten, dass der mit den vielen Namen, der sich selbst Anapäst, der fünfte König nannte, der Finstere, der Stille, dass der Noswan, der keine Schönheit in sich trägt, wir sagen der Unerhörte, nach der Schlacht der vier Heere ein für alle Mal geschlagen sei. Wir alle dachten, dass die Gefahr, die aus Morendo kam, für immer gebannt sei. Wir alle dachten, dass Dorémisien, dass Adagio, Ildindor und Engil, Smorzando und Andante, die Völker der Minglom, der Ongloshin und Fanandua, die Menschen in Fasolanda, dass alle diese eine lange Periode des Friedens, des Wachstums, des Wohlstands, des Austausches und des Handels zum gegenseitigen Nutzen erleben würden und nicht Zeiten der Kriege und des Kämpfens. Wir wollten unsere Kinder und Kindeskinder endlich wieder in gute Schulen, zu guten Lehrern schicken, sie die magischen Künste und das Wissen über die Welten lehren, ihnen, wie vormals, in glücklicheren Zeiten, Dinge beibringen, die ihr Leben angenehm, nützlich und lebenswert machen. Wir wollten ein Leben führen in Liebe und im Einklang mit der Natur und der Welt um uns herum und wir müssen heute erkennen: Wir haben uns geirrt! Wir haben uns geirrt und es ist möglich, dass wir für diesen Irrtum teuer bezahlen müssen.“ Der Alte hielt inne und atmete schwer.

      „Wie schon einmal, in früherer Zeit, haben wir zugelassen, dass die Völker Dorémisiens rücksichtslos nur ihren eigenen Interessen folgen. Wir haben zugelassen, dass der Bund der Völker, der durch den Großen Rat geschmiedet wurde, zerbrach. Dieser Bund rettete seinerzeit Dorémisien vor dem Untergang. Der letzte Krieg hat viele Leben gekostet und wir konnten ihn nur deshalb gewinnen, weil wir alle zusammenstanden und einer sich für den anderen einsetzte. Es scheint schon so lange her zu sein und doch liegt es nur wenige Sonnentänze zurück. Cichianon“, fragte der Alte den jungen Elfen, hob seinen Blick und schaute traurig in die hohe Kuppel über ihnen, „sage mir, wie oft wurde das `Fest des Klanges´ bei den Steinkreisen gefeiert, seitdem der Unerhörte in der ´Schlacht der vier Heere´ besiegt wurde?“

      „Viermal, o Hinandua, mein weiser Lehrer!“, antwortete Cichianon.

      „Ja, viermal!“, wiederholte der Alte langsam. Er wirkte müde und das Sprechen fiel ihm hörbar schwer. Trotzdem hob er jetzt die Stimme und rief zornig: „In dieser kurzen Zeit haben die Bewohner Dorémisiens den Bund der Völker zerstört und so viel Misstrauen gesät, dass wir nicht einmal mehr in der Lage sind, die wichtigsten Nachrichten auszutauschen. Dem Rat ist zu Ohren gekommen, dass Fasolanda in ernsthaften Schwierigkeiten steckt und aus der Hauptstadt hören wir darüber nicht das Geringste, jedenfalls nicht von unserer Königin. Keine Nachricht, kein Glissando mit einer Botschaft, kein Bote, nichts! Glücklicherweise gibt es noch einige Aufrechte aus dem Kreis der Weisen, die ein Interesse daran haben, dass der Kontakt zwischen den Völkern nicht gänzlich abreißt. Von ihnen haben wir einige sehr beunruhigende Nachrichten erhalten. Es gibt Zeichen, dass der Unerhörte wieder aktiv geworden ist. Er versucht offenbar, durch Intrigen und gezielte Provokationen Unfrieden zu stiften. Das scheint ihm zunehmend zu gelingen. Außerdem scheint sein Interesse an der Vollendung des siebenfachen Sonnenkreises wieder aufgeflammt zu sein.“

      „Der Sonnenkreis?“, rief Aisdolan, eines der Ratsmitglieder. „Wir dachten, der Orden hätte seinerzeit das Pergament vernichtet?“

      „Wie du siehst, Aisdolan“, entgegnete Hinandua nachdenklich, „ist das bislang offenbar nicht geschehen.“ Er schaute in die Runde. „Doch möchte ich jetzt gerne unseren Gästen erklären, warum wir sie zu dieser Zusammenkunft gebeten haben.“ Der Alte wandte sich an die beiden Engilaner.

      „Ihr seht, meine Lieben, die Dinge sind kompliziert. Wir wissen zu wenig über die Situation in der Hauptstadt und daher möchten wir euch beide, Cichianon und Doriando bitten, nach Fasolanda zu gehen und dort Erkundigungen einzuholen, wie es um unsere Sache steht.“

      „Wir sollen als Spione in die Hauptstadt gehen?“, fragte Doriando.

      „Spione?“, entgegnete Hinandua. „Was für ein hässliches Wort! Nein, ihr sollt Augen und Ohren offenhalten und den Rat darüber informieren, was in Fasolanda geschieht. Wir müssen erfahren, wie es um die Königin steht. Wir wissen, dass dies eine gefährliche Reise werden wird. Es mag sein, dass ihr dort mit Schergen des Unerhörten zusammentrefft und sie sind nicht leicht zu erkennen. Ihr wisst, der Finstere kennt kein Mitleid und tötet ohne Gnade, um seine Ziele zu erreichen. Doch ihr seid jung und stark, kennt die Hauptstadt, den Weg dorthin und seid, trotz eurer Jugend, erfahren genug mit den Schlichen des Bösen. Die Königin vertraut euch.“

      Hinandua machte eine kurze Pause, atmete einige Male tief und fuhr dann fort: „Wir haben euch heute hierher kommen lassen, in die Halle des Gildanmir, um die Stimmen Engils in dieser Angelegenheit


Скачать книгу