Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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      Einige Schritte später hielt sich Doriando an einem der Holzpfosten fest, an denen die Trageseile der Brücke befestigt waren. Er gab Cichianon die Hand und zog ihn zu sich hinauf.

      Zunächst folgten sie auch auf dieser Seite der Brücke einem schmalen Trampelpfad, bis sie zu einer weiten, leicht abschüssigen Lichtung kamen. Von hier aus hatten sie Blick auf ein Tor, das dort alleine, ohne erkennbaren Sinn in der Landschaft zu stehen schien. Es war ein einfacher, schmaler Spitzbogen aus Sandstein, im Schein des Mondlichts gut zu sehen. Er sah aus, wie die Eingangspforte einer Kathedrale.

      „Dieses Ding steht einfach so in der Gegend rum“, sagte Doriando. „Es ist nicht Teil einer Stadtmauer. Ich sehe keine Wachen dort – nichts! Was soll das?“

      „Ich weiß es nicht, Doriando. Ich kann auch noch keinen Sinn darin entdecken. “

      In diesem Moment tauchten rechts des Tores, wie aus dem Nichts, drei Gestalten auf, die, mit langen, dunklen Kapuzenmänteln bekleidet, eilig auf das Tor zusteuerten. Dort angekommen, breitete einer der Drei beide Arme aus, wie die Schwingen eines riesigen Vogels. Die Luft um das Tor herum begann, sich zu bewegen, zunächst langsam, dann immer schneller, drehte sich, erzeugte Wirbel, die die drei Gestalten erfassten und….von einem Augenblick auf den anderen waren sie verschwunden. Das Tor stand verlassen. Es leuchtete im Mondlicht, als sei nichts gewesen.

      „Sieht aus, als bekämen wir gerade eine Antwort auf unsere Fragen“, flüsterte Cichianon.

      „Mag sein“, sagte Doriando, „wir müssen sie nur noch verstehen!“

      Die beiden hatten sich, als die drei Gestalten aufgetaucht waren, schnell hinter einen kleinen Busch geduckt und beobachteten nun von dort aus das Geschehen. Kaum waren die drei nicht mehr zu sehen, tauchten aus der gleichen Ecke erneut zwei Gestalten auf, ebenfalls tief verhüllt. Ihnen folgten zwei Weitere. Die beiden, die zuerst angekommen waren, stellten sich vor das Tor. Einer der beiden ging in die Hocke, griff mit beiden Fäusten ganz offensichtlich ins Leere und bewegte sich dann langsam nach oben. Es sah aus, als würde er ein gewaltiges Gewicht heben. Am Fuß des Tores zeigte sich ein schmaler Lichtstreifen, der schnell größer wurde. Es hatte den Anschein, als würde ein schwerer Theatervorhang gehoben. Tatsächlich erschien in dem Tor, Stück für Stück eine sonnendurchflutete Berglandschaft. Kaum war der vermeintliche Vorhang bis zur Spitze des Tores aufgezogen, erstarb das ganze Bild in einem grellen, weißen Lichtblitz. Das Schauspiel war beendet, die zwei Gestalten, wie ihre Vorgänger, verschwunden. Die nächsten beiden traten vor das Tor. Der erste hob in einer schnellen Bewegung seine Arme senkrecht in die Höhe. In dem Tor zeigte sich eine glitzernde, spiegelnde Eisfläche. Die schmolz dahin, so schnell, wie sie entstanden war und auch diese beiden Kapuzenmänner waren nicht mehr zu sehen. Cichianon und Doriando schauten staunend dem Schauspiel zu, dass vor ihren Augen ablief.

      „Was passiert da?“

      „Keine Ahnung! Ich hab so etwas noch nie gesehen! Schau dort!“

      16 (13/4)

      Cichianon deutete auf drei weitere Kapuzengestalten, die aus dem Dunkel ins Licht des Tores traten. Einer von ihnen ging langsam und schleppend. Die beiden anderen stützten ihn. Auch diese drei stellten sich nebeneinander vor dem Tor auf. Der mittlere der drei griff mit seinen Händen nach unten und machte eine Bewegung, als würde er etwas mit beiden Armen in die Luft werfen. In der Türöffnung erschien ein loderndes Feuer. Es brannte hell und heller und verschwand in einer Explosion, ebenso wie die drei Kapuzenmänner.

      „Das waren jetzt zehn“, sagte Cichianon, „kommt dir diese Zahl irgendwie bekannt vor?“

      „Was meinst du?“

      „Es waren zehn Ratsmitglieder, mit denen wir vorhin in der Halle gesessen haben!“

      „Und du meinst, das waren die Gleichen?“

      „Hm, kann sein, dass es Zufall ist. Es sollte mich aber sehr wundern, wenn der mittlere der drei Letzten nicht unser guter, alter Hinandua gewesen wäre.“

      „Du meinst den, der von den beiden anderen gestützt wurde?“

      „Ja, genau!“

      „Möglich! Jetzt, wo du´s sagst!“

      „Ich verwette meinen Bogen drauf, dass wir da eben den Rat der Elfen gesehen haben. Gut, wenn das so ist, sollten wir jetzt auf zwei Fragen Antworten finden!“

      „Nämlich?“

      „Die erste: Wie haben die zehn, wenn es wirklich die Mitglieder des Rates waren, es geschafft, uns zu überholen? Wir hätten sie sehen müssen. Wir haben vor ihnen die Halle verlassen. Sie konnten auf dem schmalen Weg unmöglich an uns vorbeikommen, ohne dass wir sie bemerkt hätten. Auf der Brücke war das auch nicht möglich. Wie also haben sie uns überholt?“

      „Weiß nicht! Vielleicht kennen sie eine Abkürzung durch die Schlucht! Und die zweite Frage?“

      „Das ist die Wichtigere. Dort vorne steht ein Tor, durch das du offensichtlich nur mit Hilfe irgendwelcher Beschwörungsformeln durchkommst. Hätte es einen einfacheren Weg gegeben, hätten die zehn sich nicht diese Mühe gemacht. Wir kennen die Formeln nicht. Wie kommen wir in die Stadt?“

      „Das ist allerdings ein Problem. Hier draußen wären wir völlig ungeschützt und der Wolf ist nicht umsonst das Wappentier von Ildindor!“

      „Ich denke, als erstes sollten wir mal dieses seltsame Tor dort vorne unter die Lupe nehmen. Es sieht nicht so aus, als käme da jetzt noch jemand hinterher!“

      „Sag´ mal, was meinst du? Warum haben sie sich in Grüppchen aufgeteilt? Sie hätten doch auch alle zusammen durch das Tor gehen können?“

      „Ja, aus irgendeinem Grund ging das nicht, aber warum?“ Cichianon dachte nach. „Wie viele Gruppen haben wir gesehen?“

      „Vier!“

      „Und was ist da vorne mit ihnen passiert?“

      „Na, jede Gruppe hat ein Bild aufgerufen und ist dann verschwunden!“

      „Ja, genau! Vier Gruppen, vier Bilder!“

      „Das erste war ein Wirbelsturm, dann kam eine Berglandschaft, danach kam Eis und dann Feuer und eine Explosion! Was könnten diese Bilder bedeuten?“

      „Wirbelsturm, Wirbelsturm?“, grübelte Doriando, „so, wie du redest, hast du sicher eine Idee!“

      „Ja, hör zu!“, sagte Cichianon und packte Doriando am Arm. „Was macht einen Sturm? Ein Sturm entsteht durch die Bewegung von Luft! Der Wirbelsturm steht also für das Element Luft!“

      „Natürlich, die Luft. Da hätten wir aber auch schneller drauf kommen können.“

      „Jetzt übertreib mal nicht gleich!“

      „Und der Rest?“

      „Warte mal! Das erste Bild war Luft! Eins der vier Elemente. Das zweite, der Berg, ist aus Stein. Der Stein ist das das Feste, das Materielle, die Struktur. Der Berg steht für das Element Erde! Danach kam Eis, also gefrorenes Wasser und dann Feuer! Das waren die vier Elemente. Die haben die Geister der vier Elemente beschworen!“

      „Hm, möglich!“, knurrte Doriando. „Ich frage mich nur gerade, was es uns nützt, das zu wissen. Natürlich können wir uns da vorne hinstellen und den Hokuspokus machen, den die zehn veranstaltet haben. Wir wissen aber gar nicht, welches Element wir beschwören müssen und wir wissen auch nicht, ob das bei uns überhaupt funktioniert. Ich fürchte, wir müssen uns einen anderen Weg suchen, um in die Stadt zu gelangen!“

      „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du da so einfach reinspazieren kannst. Wie ich unsere Elfenverwandtschaft kenne, riskierst du wahrscheinlich dein Leben, wenn du es versuchst.“

      „Ich werde das ausprobieren!“, sagte Doriando und stand auf.

      „Bist du verrückt!“, rief Cichianon und hielt Doriando fest, „du wirst nicht dort runtergehen. Was


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