Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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das Schutztuch beiseite und nahm vorsichtig die Geige aus dem Koffer. Von dem Instrument ging ein bernsteinfarbenes Leuchten aus. Das Pappelholz des Geigenbodens war so gemasert und gelackt, dass es in der Tat aussah, als würden Flammen aus ihm hervorzüngeln.

      „Jetzt weiß ich, warum die Geige `flammendes Herz´ genannt wird“, flüsterte Gamanziel ehrfurchtsvoll, „es sieht wirklich aus, als würde sie brennen.“

      „Ja, es ist grandios!“, staunte auch Ferendiano, „wollen wir ein kleines Stückchen spielen?“

      „Gerne!“, antwortete Sinja freudig, „ich übe gerade eine russische Melodie. Hör mal zu, vielleicht kriegen wir es zu zweit hin.“

      Sinja nahm die Geige auf, zupfte kurz die leeren Saiten an, um die Stimmung zu prüfen, spannte ihren Geigenbogen und setzte das Instrument an. Mit viel Gefühl spielte sie ihre russische Volksweise, ein trauriges Stück mit komplizierten Rhythmen. Sie hatte kaum die ersten Takte gespielt, da begann die Geige zu leuchten. Silbrige Lichtfäden schwebten durch die Luft. Der ganze Wald schien plötzlich zu lauschen und mit Sinjas Melodie zu schwingen. Ferendiano hörte einen Moment still zu. Dann griff er nach seiner Flöte und begann, leise Sinjas Melodie mitzuspielen, spielte eine zweite Melodie dazu und so woben die Klänge der beiden Instrumente sich ineinander und wurden eins. Ein Klang, eine Harmonie. Wenn sie am Schluss des letzten Taktes angekommen waren, begannen sie wieder von vorne…und noch einmal…und noch einmal. Nach der dritten Wiederholung nickten sich Sinja und Ferendiano kurz zu und beendeten ihr Spiel. Einen kurzen Moment verharrte der letzte Ton, schwang sich noch einmal auf und empor und verlor sich dann zischen den Bäumen Engils. Stille trat ein. Kein Vogel zwitscherte im Wald, kein Ast knackte, kein Wind strich durch die Äste der Bäume, als hätte der ganze Wald andächtig der Musik der Beiden gelauscht. Für einen Moment schien das Leben im Wald geruht zu haben. Die beiden Musiker lächelten sich voller Freude an.

      25 (22/4)

      „Ich habe es solange nicht mehr gehört“, flüsterte Gamanziel verzückt in die Stille hinein, „es ist immer wieder wie ein Wunder, wenn sie die Geige spielt.“ Damit war der Bann gebrochen.

      „Ja, fantastisch, die beiden zusammen“, pflichtete Amandra bei.

      „Ich hoffe nur, dass nicht der Rangnak zufällig noch in der Nähe war“, bremste Emelda die Freude, „dann wissen sie nämlich endgültig Bescheid. Das war vielleicht ein wenig unvorsichtig.“

      „Unvorsichtig, aber wunderschön!“, setzte Ferendiano hinzu, „es hat mir große Freude gemacht.“

      „Ja, natürlich! Können wir dann trotzdem mal langsam zur Sache kommen? Wir haben noch etwas zu erledigen, bevor die Sonnen untergehen.“

      „Wird das wieder so eine Wandertour wie beim letzten Mal“, fragte Sinja unsicher und legte ihr Instrument zurück in den Geigenkasten.

      „Nein!“, antwortete Emelda, „die Zeit hatten wir schon damals eigentlich nicht, aber der Kristall musste ja zurück in den Berg. Also blieb uns gar nichts anderes übrig, als den Weg durch Andante zu gehen. Das ist diesmal nicht nötig und ich verspreche dir: es wird erheblich schneller gehen. Du hast ja eben gesehen, dass wir auch flott können.“ Emelda zwinkerte Sinja zu.

      „Du glaubst gar nicht, wie mich das beruhigt“, sagte die erleichtert, „noch so eine Tour? Ich glaube, da hätte ich gestreikt!“

      „Na ja“, sagte Amandra, „ein Ausflug ins Grüne wird das dieses Mal auch nicht. Lediglich die Anreise wird etwas komfortabler.“

      „Gut!“, sagte Sinja, etwas beleidigt. „Da ihr ja offenbar alle wisst, wo es hingeht , lasst uns loslegen!“

      „Oh, Sinja!“, schaltete sich Cichianon in das Gespräch ein. „Keiner von uns weiß wirklich, was uns in Fasolanda erwartet und womit wir es dort zu tun bekommen. Das einzige, was wir wissen, ist, dass wir von dem Portal in Emeldas Bude aus ziemlich flott in die Hauptstadt kommen. Keine Umwege, keine Klettereien, keine Schluchten, keine Berge. Einfach Zack! und wir sind drüben.“

      „Nenn´ mein Zuhause nicht Bude!“, motzte Emelda.

      „Hm, es gibt definitiv Orte, an denen ich mich wohler fühle, als in deinem Dschungelcamp!“

      „Mein Lieber! Ich finde meine Unterkunft zweckmäßig und vollkommen in Ordnung. Es braucht

      nicht jeder so einen Angeberpalast wie du! Und im Übrigen hat dich dein loses Mundwerk soeben die Einladung zur nächsten Fete gekostet. Merkst du eigentlich, wie einsam es gerade um dich wird?“

      Cichianon grinste über beide Backen und ließ Emeldas Attacke unkommentiert stehen.

      „Es geht doch nichts über ein kleines Scharmützel nach Sonnenaufgang. Das treibt die Laune in ungeahnte Höhen und gibt Kraft für den Rest des Tages“, scherzte Amandra und wurde dann gleich wieder ernst. „Sagen wir, Treffen in einer Halben in Emeldas Baracke mit leichtem Gepäck?“

      Emelda schäumte vor Wut. „Baracke!... Baracke!...“, grummelte sie vor sich hin, drehte sich um und stampfte schmollend davon.

      „Eine Halbe sind zwei Viertel“, tuschelte Gamanziel Sinja ins Ohr, „ein Viertel ist bei euch fünfzehn Minuten. Wir treffen uns also in dreißig Menschenminuten.“

      26 …führt dich diese Bahn (Finale des ersten Aktes – zweiter Teil)

      Feine, dunkle Rauchfäden zogen durch den Raum. Es roch nach verbranntem Wachs. Die Luft war stickig und schwer zu atmen. Das Geheimnis, das diese Zusammenkunft der Loge umgab, war zu sehen, zu riechen, fast mit Händen zu greifen. An jeder der drei steinernen Wände des düsteren Saales flackerten in vier Reihen je sieben armdicke Kerzen in gusseisernen Leuchtern. Die rußigen Lichter tauchten den Raum in ein gespenstisch zitterndes Halbdunkel. In der Mitte des Raumes erhob sich, aus hellem Stein gehauen, die Büste eines alten Mannes. Darunter, in silbernen, griechischen Lettern in den dunklen Marmorsockel graviert, sein Name: Pythagoras.

       Drei Wände, vier Reihen, sieben Leuchter. Jeder, der ein wenig über Zahlen wusste, kannte die Bedeutung dieser drei. Da war die Zahl des universellen Schöpfungsprozesses, Drei. Frau, Mann, Kind, die Vereinigung von Zweien, aus denen das Dritte entsteht. Isis, Osiris, Horus. Da war die Zahl Vier, die Zahl des Quadrates, der vier Himmelsrichtungen, Nord, Süd, Ost und West. Die Elemente, Feuer, Erde, Luft und Wasser waren vier. Vier, die Zahl der Materie. Und da war die Sieben, die Zahl der Vollendung, die Verbindung von Drei und Vier, die Zahl, in der sich Geist und Materie vereinen. Die drei heiligen Zahlen. Drei mal vier mal sieben. Vierundachtzig, Quersumme Zwölf, die Zahl der Vollkommenheit. Vierundachtzig Kerzen in vierundachtzig Leuchtern für ebenso viele Eingeweihte der Bruderschaft. Vierundachtzig war die vollkommene Anzahl an Mitgliedern für die Loge der Weisen. Auf jeder der Kerzen ein Name, der Name eines Bruders, sein Stand, sein Grad. Es gab Lehrlinge, es gab Gesellen, Meister, ersten, zweiten, dritten Grades. Alle trugen einen Namen, alle, bis auf eine. Ein Name fehlte: es war der des Großmeisters.

      An der Stirnseite des Saales prangte stolz das Wappen der `Bruderschaft der Weisen von Fasolanda´. Silberner Zirkel und goldenes Schwert auf dunkelblauem Grund. Unmittelbar davor saß an einem, mit schwarzem Tuch bedeckten Tisch, ein Mann in einer dunkelblauen Robe. Sein Gesicht war, wie das aller Eingeweihten, im Dunkel einer weiten Kapuze verborgen. Links und rechts von ihm zwei Männer von gleichem Aussehen. An jeder der beiden langen Seiten des Saales waren Stühle in Reihen aufgestellt. Mittlerweile waren fast alle besetzt. Lediglich zehn waren leer geblieben. Noch war ein vielstimmiges Konzert aus Wispern, Tuscheln und Flüstern zu hören. Neuigkeiten wechselten hinter vorgehaltener Hand den Besitzer. Doch plötzlich hallte ein hartes, knallendes Geräusch durch den Saal. Der Meister hatte mit einem Hammer dreimal auf eine kleine Holzplatte geschlagen, die vor ihm auf dem Tisch lag. Sofort herrschte Ruhe. So still war es, dass man das flatterige Flackern der Kerzen hören konnte. Langsam und würdevoll erhob er sich von seinem Stuhl. Seine Stimme klang, wie das dunkle Raunen von Wind zwischen den Bäumen des Waldes:

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