Seine Sensible Seite. Amalia Frey
für dieses Buch
Hier spricht Austen.
Und hier Alexander.
Erstens
April 2012
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Von: Ivan Schneid
An: Dr. Alexander Schneid; Ivan Schneid Team
Betreff: Meine Memoiren
Hallo Alexander,
das Fräulein ist angetan von der Idee und wird sich, nach Beendigung ihres aktuellen Manuskripts, meiner Biografie widmen. Richter & ich haben es gerade gefixt. Halte dich bereit, falls wir etwas aufsetzen müssen bzw. falls Fräulein Lux auch an dich Fragen hat.
LG
Vater
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Von. Dr. Alexander Schneid
An: Ivan Schneid; Team
Betreff: Re. Meine Memoiren
Warum sie, wo du doch aus einem reichen Pool an erfahreneren Autoren schöpfen kannst? Was immer du auch an dieser Person findest, ich bitte dich, einen qualifizierten Autor zu beauftragen.
Beste Grüße
A
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Von: Austen Lux
An: Dr. Alexander Schneid
cc. Ivan Schneid; Team
Betreff: Aw. Re. Meine Memoiren
Sehr geehrter Herr Dr. Schneid,
vielen Dank, dass Sie die Funktion 'allen antworten' genutzt haben und das gesamte Team nun über Ihren ach so geringschätzigen Eindruck über meine Person Bescheid weiß. Ich finde es interessant, dass Sie dieses Urteil fällen können, wenngleich mich Ihr Vater davon in Kenntnis setzte, dass Sie sich seit jeher weigern, meine Werke zu lesen. Vielleicht mögen Sie bei Gelegenheit die Bestsellerlisten checken: »WEITER WEG«, veröffentlicht Anfang dieses Jahres - ja, das ist von mir!
Sascha ließ mich ebenso wissen, dass es ihm besonders wichtig wäre, mich mit dieser Arbeit zu betrauen und nicht nur aus Freundschaft, sondern weil mich das Projekt überaus interessiert, werde ich seinen Wunsch erfüllen.
VG Austen Lux
August 2012
Schnauze an Schnauze parkte ich meinen Sportage vor einem Porsche Cayenne. An der Fahrertür lehnte ein weißer Hüne und telefonierte, einen Arm vor der Brust verschränkt, die Hand auf dem Oberarm. Durch das künstliche Netz aus Efeu, das die Südseite des Parkhauses bedeckte, fielen heiße Sonnenstrahlen auf sein strohblondes Haar. Ein Mann von Statur und Charakter, ein hübsches, markantes Gesicht, kurz: geile Sau. Ich zog die Handbremse an und befreite mich aus dem Gurt.
Das Klappern der Autotür des Kia Geländewagens riss mich flüchtig aus dem Gespräch. Ich sah mich nach dem Geräusch um, und unterhalb der offenen Tür fielen ein paar Flipflops auf den Boden. Ungelenk folgten zwei schlanke Füße, schlüpften fix in die Riemchen, schließlich rauschte ihr langes Kleid über ihre Beine. Dann erst hob sie ihre hochgewachsene, athletische Gestalt aus dem Auto und schlug die Tür zu. Durch ihre goldbraune Haut strahlte der pastellgelbe Stoff. Sichtlich spannten sich die Muskeln ihrer nackten Oberarme. Kohleschwarze kurze Locken umgaben ihr ovales Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Volle dunkelrote Lippen zeichneten schemenhaft ein spöttisches Lächeln. Was für eine Amazone! Unsere Blicke trafen sich.
Ganz dunkelgrün.
Hellbraun. Das ist selten.
Ich schloss das Auto ab und lief an meinem Wagen vorbei.
»Alexander, слушайте? Hören Sie zu?«, erklang es gereizt aus dem Telefon.
Erst dann konnte ich den Blick von ihrem Gesicht abwenden. Irgendwoher kannte ich sie. Selten sah ich Frauen, die sich in Flipflops und Maxikleidern anmutig bewegen konnten.
Er telefonierte weiter, sein Russisch klang durch seine unglaublich tiefe Stimme gefährlich und er musterte mich dabei. Tief seine Stimme, tief seine Augen. Ich hätte darin ertrinken können. Und so schön groß war er, fast zwei Meter. Doch Maßanzugträger ... und von denen hatte ich die Nase voll. Gut sah er ja aus, aber zehn Jahre zu alt für mich. Ich blickte nach vorn, lief an ihm vorbei und verließ das Parkhaus. Draußen erwischte mich die volle Wucht der Sonnenstrahlen. Schnell schob ich meine riesige Sonnenbrille auf die Nase. An der Bäckerei genehmigte ich mir noch einen Kaffee to go und ging dann direkt hinüber zur Charité. Sascha hatte mir mitgeteilt, auf welcher Station er lag. Seit meiner Feier zur Veröffentlichung meines vierten Romans hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Das war inzwischen sechs Monate her. Schon da hatte er übel ausgesehen; ich wappnete mich innerlich.
»Austen Lux für Herrn Schneid«, stellte ich mich vor.
Der Pfleger überlegte nicht lange. »Er hat Sie angekündigt. – Wenn Sie mir folgen wollen?«
War das die Art von Service, die nur Privatpatient*innen erfuhren? Während wir nebeneinander hergingen, sah er mich immer mal von der Seite an.
Na, was würde jetzt kommen? Nachfrage in Bezug auf den Vornamen Austen oder kannte er etwa meine Bücher? Seit ich Anfang des Jahres in den Bestsellerlisten zu finden war, wurde ich schon mehrfach wegen meines Namens erkannt.
»Erlauben Sie … Lux. Sind Sie mit Rex Lux verwandt?«
Oi, damit hätte ich rechnen müssen. Richard Lux, von allen Rex genannt, war vermutlich zu wohlklingend, als dass Menschen diesen Namen bald vergessen würden. Und was er als US-amerikanischer Investor Anfang der Neunziger in Berlin geschaffen hatte, war ohnehin für die Ewigkeit. Nachdem Dad aber nach der Lehmann-Brothers-Pleite und dem was folgte, fast sechzig Prozent seines Vermögens verloren und am selben Tag einen Herzanfall erlitten hatte, machte er sich rar. Dennoch wurden mein jüngerer Bruder Woolf und ich öfter seinetwegen auf unseren Familiennamen angesprochen.
»Wir sind sehr verwandt, wenn Sie so möchten.«
Ich lächelte den Pfleger schief an. Zum Glück kamen wir da gerade am Zimmer meines Mentors an, und mir blieb ein weiterführendes Verhör erspart.
Ich war 25 an jenem Nachmittag, als ich Sascha das erste Mal getroffen hatte. Damals besuchte ich Dad nach seinem Herzanfall im Kurheim. Meine Mutter Fiona, genannt Fio, war natürlich dabei, und anstatt mich zur Begrüßung zu umarmen, fasste sie mir in mein Haar und fragte, warum ich sie mir denn heute nicht so schön wie sonst geglättet hätte. Um nicht den nächsten Anfall zu provozieren, war ich sofort vor einem Streit mit Ma und Dad in den Innenhof der Kuranlage geflohen. Wie blöde kritzelte ich auf meinem Block, fasste die Wut in Worte. Sascha kam vorbei und sprach mich schließlich an. Trotzdem ihn eine schwere Depression und zusätzlich ein Schlaganfall ins Kurheim gebracht hatten, sah man ihm sein Alter nicht an. Ich schätzte ihn damals auf etwa fünfzig. Die guten Gene täuschten: Er war in seinen Siebzigern. Und als ich ihn heute, fünf Jahre später, am Krankenbett besuchte, konnte ich das auch erkennen.
»Fräulein Lux«, ertönte seine erstickte Stimme. Obwohl wir uns so lange kannten, siezten wir uns. Er war von so alter Schule, dass er mich als unverheiratete Frau immer noch auf diese Weise ansprach. Er würde vermutlich nie auf die Idee kommen, mir das Du anzubieten. Jedoch fand ich das Fräulein von ihm ganz hübsch und betrachtete es als einen Kosenamen.
»Fräulein Lux, so kurzes Haar ... das steht Ihnen, macht Sie frecher.«
»Vielen Dank.« Ich strich mir durch den Pixie-Cut. Zu meiner