Seine Sensible Seite. Amalia Frey

Seine Sensible Seite - Amalia Frey


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mich jedoch noch nicht.

      Sascha deutete mir, dass ich mich setzen sollte. Vielleicht hätte ich die Distanz wahren sollen, doch ich zog seine Bettkante vor, anstatt mir umständlich einen Sessel herbeizuziehen. Ihn schien diese Vertrautheit zu freuen. Er fragte mich nach meinem Vorankommen im Allgemeinen, nach meiner Schreibproduktivität im Speziellen und nach meiner Lesereise.

      Von alledem berichtete ich ihm nur zu gerne. Ohne ihn wäre mein Leben niemals so, wie es heute ist. Sascha und ich trafen uns während Dads Aufenthaltes öfter in der Kuranstalt, und nach und nach las ich ihm einige Dinge vor, die ich so schrieb. Wieder zu Hause hielten wir Kontakt per E-Mail, und irgendwann fragte er mich, ob ich auch ein größeres Schreibprojekt ins Auge gefasst hätte. Das hatte ich. Es lag sogar schon seit Monaten in meiner Schublade.

      »Worum geht es?«, wollte er wissen.

      »Eine junge Frau zieht mit zwanzig aus dem Haus ihrer reichen, reichen Eltern aus und nimmt ihr Leben selbst in die Hand.«

      »Klingt autobiografisch«, meinte er.

      »Nur, dass ich achtzehn war«, gab ich zurück.

      Er hatte mich darum gebeten, es lesen zu dürfen. Kurz darauf teilte er mir mit, dass er da jemanden kannte, der meinen Traum, Autorin zu sein, verwirklichen könnte.

      Und er kannte nicht irgendjemanden. Er kannte Doktor Wolfgang Richter, den Chef des Buche Verlags. Wie ich dann herausbekam, gehörte Sascha sogar zu den Gründungsmitgliedern dieses inzwischen riesigen Verlagshauses.

      Es gab Tausende andere Schreibende allein in Deutschland – ich wollte gar nicht wissen, wie viele von ihnen besser als ich waren – die wegen des übervollen Buchmarktes niemals ein Stück vom Kuchen abbekommen würden. In dieser Welt zu bestehen, scheint unmöglich. Neben dem Mainstream, neben all den populären Werken aus USA, Skandinavien und England, die unsereins verdrängen. Im eigenen Land ist kaum Platz für deutsche Autor*innen. Meine Wenigkeit war ein verdammtes Glücksschwein. Dank Sascha startete mein kometenhafter Aufstieg. Wie ein beschützender Großvater schirmte er mich vor dem Kuddelmuddel des Verlagswesens ab, reichte mir seine leitende Hand, half mir, an meinem Stil zu feilen und dennoch meine eigenen Geschichten zu erzählen.

      Mein erster Roman »Flucht aus dem goldenen Käfig« ging bereits in die Tiefenpsychologie. Ich arbeitete den frühen Bruch mit meinen Eltern Rex und Fio auf. Kaum volljährig war ich nach Ostberlin in eine Wohngemeinschaft gezogen, verdiente Knall auf Fall mein eigenes Brot. 'Eine reiche Tochter rechnet ab', nannten es die Illustrierten. Ich fand mit der Geschichte, trotzdem sie von meiner Lebensgeschichte verfremdet war, rasch einen willigen Fankreis. Reißerisch und intensiv verarbeitete ich in meinem zweiten Werk speziell die Beziehung zu meiner Ma: »Mutterchroniken«. So viele Töchter fühlten sich verstanden: die Mutter als erste Vertraute und gleichzeitig letzte Gegenspielerin. In meinem Fall ein blondes Gift, das mit rassistischem Sexismus zu triezen verstand, aber das selber nicht einmal merkte. Das Buch verkaufte sich mehr als fünfzigtausendmal. Ma hatte nie etwas von meinem Getippsel gehalten, natürlich auch, weil sie ihre toxischen Verhaltensmuster nicht sehen wollte. Davon, dass ich ohne ihr Geld Berühmtheit erreicht hatte, war sie ebenso wenig begeistert und so las sie keinen meiner Romane.

      Ma und mein Bruder Woolf vertrugen sich auch nicht mehr, wir hatten uns so gesehen nie richtig miteinander vertragen. Als ich mit 24 meine erste eigene Wohnung in Pankow bezog, holte ich den damals Zehnjährigen zu mir. Das hatte ich ihm schon Jahre zuvor versprechen müssen. Der dritte Roman »Bruder und Sohn« behandelte das Ringen mit den werten Heranwachsenden. In meinem vierten Buch und ersten Bestseller »WEITER WEG« setzte ich mich mit der schleichenden Trennung von meiner langjährigen Liebesbeziehung zu David auseinander. Als wir uns kennenlernten, war ich das Mädchen von Kasse 4, er der Erstgeborene eines Finanzhais. Als wir uns trennten, war ich die aufstrebende Autorin und er BWL-Student im achten Semester.

      Sascha hustete stark, ich reichte ihm ein Glas mit Wasser, von dem er in kleinen Schlucken nippte.

      »Fräulein Lux«, krächzte er dann, »ich muss Ihnen ein Geständnis machen.«

      Ich stellte das Wasserglas zurück und sah ihn gespannt an.

      »Erinnern Sie sich an meinen Sohn?«

      Sofort rauschte es in meinen Ohren. Natürlich erinnerte ich mich, auch wenn ich ihn nie persönlich getroffen hatte. Saschas Sohn, den fast alle im Verlag nur Doktor A nannten. Vor einem halben Jahr hatte ich das bisher erste und letzte Mal mit ihm zu tun gehabt. Per E-Mail, die er versehentlich an Saschas komplettes Team geschickt hatte und somit lasen alle, wie unqualifiziert er mich doch fand. Keine Ahnung, warum das immer noch so an mir nagte. Als Sascha mich seinerzeit darum bat, sein aufregendes Leben zu Papier zu bringen, hatte ich mich riesig gefreut. Dass sein Sohn nicht viel von mir hielt, wenngleich er mich niemals richtig kennen gelernt hatte, das hatte Sascha mehr als einmal durchblicken lassen und er hatte darüber ziemlich geknickt gewirkt.

      Ich schnaufte.

      Daraufhin gluckste Sascha müde. »Verzeihen Sie diese Zudringlichkeit«, begann er dann, »aber es wäre mir sehr wichtig, wenn Sie beide sich miteinander vertragen.«

      »Äh«, machte ich.

      »Wissen Sie, er ist mein einziges Kind, und wir unterhalten kein intensives Verhältnis. Meine Leidenschaft für fiktive Texte teilte er nie, dabei ist ihm Wortgewandtheit vergönnt. Ähnlich wie auch Ihnen, liebe Freundin. Doch er vertut sein Talent in den Gerichtshöfen. Nutzt seine Eloquenz in der falschen Sprache.«

      Ich schluckte. Soweit ich wusste, war Doktor A als ziemlich wichtiger Jurist vornehmlich in puncto Energiepolitik in Russland unterwegs. Niemand verstand so recht, warum Sascha nicht auf den Erfolg seines Sohnes stolz war.

      Sie erarbeiteten Geschäftliches zusammen, pflegten aber kein unbedingt herzliches Verhältnis. Je älter mein Mentor wurde, und vor allem nach seinem Schlaganfall vor einigen Jahren, desto mehr regelte sein Sohn für ihn – wenn auch aus der Ferne.

      »Fräulein Lux, ich weiß, Sie und Alexander hatten einen schlechten Start. Aber ich bitte Sie aufrichtig, ihm noch eine Chance zu geben. Er ist kein übler Mensch, wenngleich das auf viele den Eindruck machen kann. Er hat Einiges erlebt, wissen Sie? Genau wie Sie. Ich denke, Sie beide sind sich auf gewissen Ebenen sehr ähnlich. Deswegen habe ich ihn hergebeten, er müsste in einer halben Stunde hier sein.«

      »Er ist wirklich in Berlin?«

      »Ja, heute Vormittag gelandet. Er wird seinen Aufenthalt mit deutschen Fällen verbinden und nebenher ein paar Angelegenheiten für mich regeln.«

      Das überraschte mich dann sehr. Sascha war schon länger krank, seit Wochen bettlägerig. Ich hatte ihn zu Hause nicht besuchen dürfen. Das und die Tatsache, dass sich Doktor A bisher gefühlt fünfhundert Mal angemeldet, jedoch immer im letzten Moment abgesagt hatte, ließen mich erschaudern. Es konnte doch nur bedeuten, dass es meinem lieben alten Freund so schlecht ging, dass selbst dessen verlorener Sohn in seiner Nähe bleiben wollte. Ich schüttelte den Gedanken ab.

      »Nun«, gestand ich ihm zu, »wenn Sie mich darum bitten, werde ich Doktor Schneid die Möglichkeit geben, seine gute Seite zu zeigen. Ich wüsste allerdings nicht, in welchem Zusammenhang wir uns treffen sollten.«

      »Das bringt mich zu meinem eigentlichen Anliegen. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber könnten Sie sich in Anbetracht der Umstände vorstellen …«

      Plötzlich versagte seine Stimme. Instinktiv griff ich nach seiner Hand und sagte bestimmt: »Herr Schneid, lieber, lieber Sascha, Ihnen verdanke ich meinen Durchbruch. Was kann ich also für Sie tun?«

      »Schreiben Sie mein Buch – jetzt!«

      Ich schreckte zurück.

      Mein fünftes Werk »SCHWARZE ZAHLEN« sollte das Leben meiner Großmutter behandeln. In den Fünfzigern unterhielt sie eine Liebschaft mit einem weißen Industriemogul. Er half ihr finanziell und unterstützte sie, als sie ihre eigene Wäscherei in Miami eröffnete. Aus dieser verbotenen Liebe ging auch mein Vater hervor. Nana gelang damals, was leider heute noch zu wenigen alleinerziehenden Schwarzen gelingt: ein so großer finanzieller


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