Seine Sensible Seite. Amalia Frey

Seine Sensible Seite - Amalia Frey


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armen Sascha im Bett liegend und seinen verkorksten Sohn am Fenster stehend vor. Wie sie einander ansahen – als hätten sie nach Jahren ihren ersten intimen Moment. Dabei störte mein Auftauchen sie offenbar, sie blickten zu mir. Saschas Miene hellte sich sichtlich auf, Doktor A starrte mit einem Mal ungläubig auf meine nackten Beine. Ja, Herrgott, ich weiß, die Hose ist kurz, aber warst du heute mal draußen, Keule?

      Er schüttelte sich und griff im nächsten Augenblick nach seiner Tasche. Kurz nickte er seinem Vater zu, dann lief er an mir vorbei. Ich spürte seinen Blick auf meinem Körper und warf ihm über die Schulter einen Todesblick zu: »Was glotzen Sie so?«

      Daraufhin lief er rot an und verdünnisierte sich.

      Zweitens

      Woolf traf mich am Abend wie fast immer an meinem Schreibtisch an. Ich hatte mir eine Dokumentation rausgesucht, die im Zuge des 40. Jubiläums des Buche Verlags produziert worden war. Darüber fand ich tatsächlich ein paar frühere Interviews von Sascha, die ich mir ebenfalls reinzog. Seine Eloquenz, mit denen er den Reporter*innen begegnete, war nicht von der Hand zu weisen. Und wie gut er als junger Mann ausgesehen hatte, eine richtige Schnitte! Ich stellte fest, dass er abgesehen von seinem dunklen Haar und den fürchterlichen, aber damals modernen Anzügen, Doktor A brutal ähnlich gesehen hatte. Natürlich kannte ich Abbilder von ihm als Enddreißiger, aber nun, da ich seinem Sohn getroffen hatte, rückte sich all das in ein anderes Licht. Mir wurde klar, dass Doktor A viel besser aussehen würde, zöge er sich den Stock aus dem Arsch und blickte nicht immer drein, als wären alle um ihn herum seine Todfeind*innen.

      Endlich fiel mir auf, dass Woolf meinen Schreibtisch umschlich.

      »Hungry Wolf?« Ich grinste.

      Er war ein guter Junge und er traute sich selten, mich tatsächlich anzusprechen, solange ich arbeitete. Und dass ich hier saß, mir Interviews aus den Siebzigern gab und Notizen machte, musste schwer nach Recherche aussehen. Störe ein tapferes Schreiberlein niemals bei der konzentrierten Recherche und schon gar nicht im Schreibfluss. Mein Bruder wusste all das, auch wann ich mich in der ZONE befand, und ich gar nichts mitbekam oder die Phase, in denen jegliche Störfaktoren tödlich geahndet wurden.

      »Worauf hast du Lust?«, fragte Woolf lächelnd.

      »Ach, lass' was bestellen. Ich will grünes Curry und Reis.«

      Brav lief er zum Telefon und rief bei unserem Asia-Fusion

      Restaurant des Vertrauens an, um sich und mir jede Menge scharfes Essen zu ordern. Wir setzten uns grünen Tee auf und platzierten uns mit all den Pappschachteln am Küchentisch. »Hast du schon deinen roten Faden gemacht?«, wollte Woolf erfahren.

      Es war immerhin das fünfte Projekt, das er miterlebte, natürlich wusste er, an welcher Schwelle ich stand. Dass, nachdem ich das Gerüst erstellt hatte, es ein paar Wochen dauern würde und ich mich dann mitten im Fluss befände, in dem ich vergessen würde zu essen, zu schlafen, zu reden. Ich würde nur labil grinsend am Computer hocken, tippen, vermutlich sabbern und dankbar das Wasser bechern, das mein braver Bruder mir brachte. Alle drei Tage würde er mich davon überzeugen, etwas zu essen, doch um Gottes willen zu duschen und mich schlafen zu legen. Und ich würde ihn erst beschimpfen und schließlich gehorchen. Mir war bewusst, dass ich einem nicht mal Sechzehnjährigen damit viel zumutete. Aber immer wenn ich das (im wachen Zustand versteht sich) Woolf gegenüber ansprechen wollte, erklärte er mir: »Ich liebe es, zu erleben, wie deine Bücher wachsen und dass ich immer der Erste bin, der etwas davon hören wird. Bitte lass mich ewig an diesem Rohdiamanten teilhaben. Dafür nehm ich deine creepy Phasen gerne in Kauf.«

      Und ich war beruhigt bis zu meinem nächsten Anfall eines schlechten Gewissens.

      »Nein, ich habe noch kein Gerüst geschrieben. Sascha war vorhin sehr aufgebracht und hat mich gebeten, ihn übermorgen wieder zu besuchen. Solange werde ich mich intensiv mit der Verlagsgeschichte auseinandersetzen, dachte ich.«

      »Du bist ja so professionell.«

      »Haha!«

      »Weißt du, was ihn so fertig gemacht hat?«

      »Vermutlich sein doofer Sohn, der stand doch tatsächlich in dem Zimmer rum, als ich ankam.«

      »Warum auch nicht? Ist doch sein Paps.«

      »Du bist ja so erwachsen!«

      Natürlich wusste ich, dass es eigentlich ziemlich kindisch von mir war, zu verlangen, Doktor A solle sich von Sascha fernhalten, wenn ich angemeldet war.

      »Du hast ja keine Ahnung, was für ein Stinkstiefel das ist!«

      »Hast du es denn? Du kennst ihn gar nicht. Mir sagst du immer, ich solle mir selbst ein Urteil bilden und nicht zu schnell abwerten.«

      »Haha!«

      »Mal ehrlich, Jane! Du hast ihn erst zweimal erlebt, oder? Und vorher hast du dich vom Tratsch aus dem Verlag mitreißen lassen. Wo bleibt die Autorin, die alles hinterfragt und von allen Seiten beleuchtet?«

      Scheiße, der Junge kannte mich echt zu gut. »Du hast ja recht. Aber du hast Doktor A auch noch nie gesehen. Gleich, als ich ihn das erste Mal sah ...«

      »Was war da?«, hakte Woolf nach, als ich nicht weiterredete.

      Ja, was war da in dem Parkhaus? Beeindruckt hatte er mich, hübsch hatte ich ihn gefunden. Ich war von jeher der Meinung, dass solche Männer nicht SO aussehen dürften. Nicht SO gut.

      »Na ja, wie auch immer. Im Krankenhaus ist er mir jedenfalls ziemlich doof gekommen.«

      »Darüber hab ich auch nachgedacht«, erklärte der Junge und schob sich einen großen Löffel Reis zwischen die Lippen, »das sollte bestimmt nicht gegen dich gehen. Sagtest du nicht, er und sein Vater hätten ein schwieriges Verhältnis?«

      »Mit Doktor A hat jede*r ein schweres Verhältnis«, nuschelte ich mit halbvollem Mund.

      »Kein Wunder, dass er immer so angespannt ist.«

      »Ja, gut okay, ich geb ihm noch ne Chance, bist du nun zufrieden, Wölfchen?«

      »Jupp«, grinste er und trank darauf einen Schluck Tee.

      °°°

      Keusche Unruhe lag in mir. Ich erkannte meinen Ex von Weitem. Seine Körperhaltung, Statur, die Art, wie er eine Hand in die Seite stemmte, und mit der Anderen auf seinem Schlaufon herum wischte. Davids Haar war ganz kurz geschnitten. Ich hatte Jahre gebraucht, ihn davon zu überzeugen, es wachsen zu lassen, damit ich in dieser weichen, braunen Pracht herumwuscheln konnte. Er sah dünner aus, als würde er weniger trainieren. Sein graues Jackett wehte offen im Wind, er trug passende Anzughosen und ein hellblau-weiß gestreiftes Hemd. Die oberen Knöpfe hatte er für seine Verhältnisse salopp geöffnet, und je näher ich kam, desto mehr erinnerte mich das Stück nackte hellbraune Haut daran, was unter dem Stoff verborgen lag. Schließlich sah er auf und sein Gesicht strahlte. Nicht weil wir furchtbar verliebt waren wie einst – sondern weil es nach fast acht Jahren in Knochen und Mark übergegangen war, wie wir aufeinander reagierten. Wir umarmten einander locker, verzichteten auf das obligatorische Küsschen. Als mir sein persönlicher Duft vermischt mit dem Geruch seines Rasierwassers in die Nase stieg, wurden schlagartig Erinnerungen wach. Damals, wenn er sich nach dem Rasieren damit die Wangen vollgeklatscht hatte und ein paar Tropfen seinen Hals hinab auf seine Schlüsselbeine gerollt waren. Dann hatte er sich immer erst die Hände gewaschen und sein Gesicht hinterher. Der Duft auf seiner Brust blieb, und wenn ich ihm abends das Hemd öffnete, schwoll er mir entgegen, so dass ich erleichtert einatmete und wusste: Feierabend!

      Von jeher war ich der Meinung, Sex sollte der kleinste gemeinsame Nenner in einer Liebesbeziehung sein. Bei David und mir war es am Ende der Klebstoff, der uns voneinander nicht loskommen ließ. Wir machten den Fehler, miteinander zu schlafen, obwohl wir uns zuvor gestritten hatten. Es als Versöhnungssex zu verbuchen, uns aus Hassliebe heraus in Ekstase zu versetzen. So blieben die Konflikte unausdiskutiert, verhasste Angewohnheiten des


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